Milchkanne versus Melkroboter – Wunsch und Wirklichkeit in der Werbung für Lebensmittel. Oder: Wie geht zeitgemäße Werbung für Lebensmittel?
München, 18. Februar 2020
Die melkende Bäuerin nebst Milchkanne, der Obstbauer mit Strohhut, der vorsichtig sonnengereifte Orangen pflückt – wie für Lebensmittel geworben wird, hat oft wenig mit der Realität der Produktion zu tun. Das Problem: Die Bilder in der Werbung prägen unser Verständnis von Landwirtschaft entscheidend mit – und sorgen wie in kaum einem anderen Wirtschaftszweig für ein Auseinanderfallen von Image und Wirklichkeit. Heike Zeller plädiert deshalb für mehr Ehrlichkeit und Authentizität.
Lassen Sie uns gemeinsam einmal genauer ansehen, wie regionale oder handwerklich hergestellte Lebensmittel im Laden angeboten werden: Wir entdecken zum Beispiel Dekorationen aus Altholz, Strohballen in Quaderform, nostalgische Gerätschaften, karierte Stoffe, Korbgeflecht und insgesamt viele natürliche Materialien. Schauen wir in die Regale, stehen dort Produkte, deren Etiketten wie von Hand in Schreibschrift beschrieben wurden, die mit Bildern von Landschaften bedruckt sind und prominent die Region zeigen, aus der sie kommen. Und wenn wir uns Werbebroschüren ansehen, blicken uns kernige, von der Hand- und Landarbeit geprägte Menschen entgegen, die entweder bei der Arbeit oder im Kreise ihrer Familie abgelichtet sind, Tracht tragen und mit ihrem Gesicht für ihr Produkt werben.
Anheimelnde Details, echte Personen, Tradition und Regionalbezug: Es sind diese Bildwelten, an die wir alle gewöhnt sind und die wir fast automatisch mit Land und bäuerlicher Kultur verbinden. Sähen wir weiße, schmucklose Räume oder glänzende Maschinen, würden wir erstmal nicht an landwirtschaftliche Produkte denken. Die in der Lebensmittel-Bewerbung verwendete Bildsprache soll persönlichen Bezug herstellen und dafür sorgen, dass sich die Verbraucher dem Hintergrund und der Geschichte der Waren – beziehungsweise den Waren selbst – möglichst nahe fühlen. Kaufen wir ein Produkt, von dem wir (zu glauben) wissen, wo und von wem es hergestellt wurde, wird der Bezug mit der Zeit zur Beziehung. Angesichts eines überbordenden Angebots an Lebensmitteln hilft so eine Beziehung, sich zwischen den vielen gleichförmigen Optionen zu entscheiden. Die Waren werden angereichert mit der hinter ihnen stehenden „heilen Welt“, wie sie das Marketing für Lebensmittel zeichnet. Sie zu kaufen, wird zu einer „kleinen Flucht“ aus dem mittlerweile oft hektischen Alltag. Eine Art „Landleben to go“.
Werbebilder sind aber wie alle (Ab-)Bilder der Wirklichkeit nicht die Wirklichkeit selbst. Bilder sind notwendig vereinfachend, lassen stets etwas weg, zeigen immer nur eine Auswahl und stilisieren das Gezeigte. Was gezeigt wird, soll möglichst den Verbraucherwünschen entsprechen. Die Werbetreibenden zeigen dem Verbraucher, was vermeintlich von ihm gesehen werden will, und nicht unbedingt das, was ist. Das wird zunehmend zum Problem, weil Bild und Wirklichkeit – mittlerweile – weit auseinander liegen. Wenn wir uns beispielsweise Bärenmarke-Werbungen aus den 1950ern ansehen, so sehen wir zwar viel Kitschiges, doch immerhin entsprechen die gezeigten Milchkannen den damaligen Produktionsbedingungen. Heutzutage werden nurmehr selten Milchkannen verwendet; in der Werbung sind sie jedoch nach wie vor weit verbreitet.
Heruntergebrochen heißt das, dass sich zwar die Produktion weiterentwickelt hat, jedoch nicht die Werbung für das Produzierte. Nostalgische Werbebilder knallen auf Medienberichte über moderne Landwirtschaft. Die vielen Verbraucher, die Landwirtschaft nicht aus persönlicher Erfahrung kennen und daher nicht selbst (Werbe-)Bild und Wirklichkeit miteinander abgleichen können, werden so immer wieder mindestens irritiert.
Der Konsument wird irritiert – mit welchen Folgen?
Diese Irritation hat Konsequenzen: Aus dem AnREIZ der Werbung wird ein AnSPRUCH der Konsumenten. Wir wollen die Milchkanne nicht nur auf der Milchpackung, sondern auch beim Vorbeifahren oder auf einem Instagram-Foto vor dem Stall stehen sehen. Lebensmittelerzeuger sollen die ländliche Beschaulichkeit einlösen, die die Werbung seit Jahrzehnten verspricht. Dies schlägt teils bizarre Blüten, zum Beispiel wenn ein Bauer für Schulkinder-Besuche extra eine Latzhose anzieht, weil sie ihm sein Bauer-Sein sonst nicht abnehmen. Baudrillards Simulacrum lässt grüßen.
Als Beraterin für regionale Vermarktung frage ich mich (und als Speaker auch mein Publikum) immer wieder: Wie kann ich die zeitgenössische Lebensmittelproduktion ehrlich zeigen und emotional erlebbar machen, ohne zu sehr zu idealisieren? Kann oder muss ich vielleicht sogar den Melkroboter auf eine Milchpackung drucken? Oder das Smartphone, das die Landwirtin rund um die Uhr in den Stall ruft, wenn Sensoren auf eine auffällige Kuh anschlagen? Wie kann den Leistungen moderner Technik für die Qualität der Milch und für die Gesundheit der Tiere in der Werbung ein positiver Wert verliehen werden?
Ich finde, wir alle haben mehr Ehrlichkeit verdient. Sowohl die Verbraucher, die wissen und verstehen sollen, wie ihre Lebensmittel erzeugt werden. Als auch die Erzeuger, die ihre tagtägliche Arbeit so zeigen sollen, wie sie eben ist. Alles andere ist vorgegaukelte Idylle, die früher oder später mehr oder weniger skandalisierend enttarnt wird. Letztlich ist doch die Authentizität – oder nennen wir es ruhig: Wirklichkeit – immer die entspannendste Position.
Heike Zeller berät mit ihrer Firma aHEU – Regionale Vermarktungsstrategien Landwirtschaften und andere Lebensmittelbetriebe vor allem in Fragen des Marketings und der Öffentlichkeitsarbeit, und gibt ihr Wissen auch als Lehrbeauftragte der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, Trainerin der Andreas Hermes Akademie, Speaker und Bloggerin weiter. Die Diplom-Betriebswirtin und Diplom-Soziologin hat vor aHEU unter anderem an der Ludwig-Maximilians-Universität München geforscht und gelehrt, sowie im Lebensmitteleinzelhandel und auf Almen gearbeitet. Sie ist zweite Vorständin des Verbandes der Käse-Sommeliers e.V.
Die Beiträge im HORIZONTE logbuch geben die Meinungen und Experteneinschätzungen der Autorinnen und Autoren wieder und nicht Positionen von acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften.