MINT-Berufsqualifikation für alle

München, 31. März 2022
Wie können wir in Deutschland dem Mangel an Fachkräften und Auszubildenden im MINT-Bereich entgegenwirken? Wie kann Jugendlichen ein qualifizierter Einstieg in die (MINT-)Berufs- und Arbeitswelt gelingen? Der acatech Arbeitskreis Bildung hat zu dieser Thematik das Impulspapier „MINT-Berufsqualifikation für alle“ vorgelegt und darin verschiedene Handlungsfelder für die chancengerechte und zukunftsfähige Gestaltung des Schul- und Bildungssystems skizziert. Das Papier war Ausgangspunkt für eine mit Expertinnen und Experten aus Theorie und Praxis besetzte Diskussion bei acatech am Dienstag am 29. März.
Kristina Reiss, acatech Mitglied und Sprecherin des Arbeitskreises Bildung, führte mit Blick auf den Status quo der MINT-Berufsqualifikation in Deutschland ins Thema ein: Etwa 20 Prozent aller Schülerinnen und Schüler in Deutschland hätten laut PISA-Studie in Mathematik und Naturwissenschaften einen zu geringen Wissensstand, um für den weiteren Ausbildungsweg gut gewappnet zu sein. Fehlende Kompetenzen und eine hohe Abbruchquote der Ausbildungsverhältnisse führten außerdem dazu, dass Tausende Ausbildungsplätze unbesetzt blieben. Kristina Reiss griff in ihrem Vortrag die Inhalte des Impulspapiers „MINT-Berufsqualifikation für alle“ auf und regte an, Bildungsangebote bedarfsgerechter aufzubereiten und diese besser auf die jungen Menschen abzustimmen. Darüber hinaus solle durch Mindeststandards gesichert werden, dass Schülerinnen und Schüler beim Verlassen der Schule über ein Basisniveau an MINT-Kompetenzen verfügten. Zudem müsse den Schülerinnen und Schülern frühzeitig eine umfassende Berufsorientierung ermöglicht werden. Sie betonte abschließend, dass Deutschland bezüglich der MINT-Berufsqualifikation auf einem guten Weg sei, der entscheidende Schritt aber noch fehle.
Birgit Ziegler, Professorin für Berufsbildungsforschung an der Technischen Universität Darmstadt, begann ihren Impulsvortrag mit der Einschätzung, dass es im Vergleich zur Situation in den sechziger Jahren sehr gut um Deutschlands Bildungssystem stehe. Es sei sehr durchlässig: derzeit erwerben 50 Prozent der Schülerinnen und Schüler einen Schulabschluss mit Hochschulzugang über verschiedene Bildungswege. Die Zahl der Erstsemesterstudierenden sei immens angestiegen, sagte Birgit Ziegler. Die Kehrseite der Medaille sei allerdings, dass dadurch immer weniger Ausbildungsplätze besetzt würden. Ein zentrales Problem seien Barrieren und Stereotype in den Köpfen sowie alte Denkmuster, die sehr schwer aufzubrechen seien. Eine integrative Lehrkräftebildung, Schulpartnerschaften und abgestimmte Curricula zur Berufsorientierung könnten die Situation verbessern. Wichtig sei auch, das allgemeinbildende und das berufliche Schulsystem besser zu verzahnen sowie die bestehende Verzahnung auf schulstruktureller Ebene weiter auszubauen, betonte Birgit Ziegler abschließend.
Vor welchen Herausforderungen die Wirtschaft aktuell steht, berichtete Kirsten Kielbassa-Schnepp, Referatsleiterin Abteilung Berufliche Bildung, Zentralverband des Deutschen Handwerks. So hätten insbesondere kleine und Kleinstbetriebe durch das veränderte Bildungsverhalten Wettbewerbsnachteile. Für sie sei es schlichtweg ein Ressourcenproblem, schwächere Auszubildende zu fördern und mitzunehmen. Wohingegen große Unternehmen, wie beispielsweise die BMW Group, achtmonatige Vorbereitungsprogramme anbieten können, um die Auszubildenden mit den nötigen „skills“ auszustatten, wie Thomas Dehn, Leiter der Berufsausbildung der BMW Group am Standort München, bestätigte. Darüber hinaus würden die Auszubildenden mit Laptops ausgestattet und über eine unternehmenseigene Lern-Plattform gefördert. Als mögliche Lösung für kleine und Kleinstbetriebe sieht Thomas Dehn die (Weiter-)Qualifizierung der Ausbilderinnen und Ausbilder als Coaches und die Anwendung von agilen Methoden.
Auf die Frage, wie Jugendlichen ein qualifizierter Einstieg in die MINT-Berufs- und Arbeitswelt gelingen könne, antwortete Kirsten Kielbassa-Schnepp, dass es wichtig sei, Ausbildung und Studium nicht einander gegenüberzustellen. Es sei wichtig, den Schülerinnen und Schüler zu zeigen, dass der Weg zum individuellen MINT-Wunschberuf nicht notwendigerweise über ein Studium führe, sondern eine Ausbildung durchaus eine gleichwertige Alternative darstelle und es vielfältige Qualifizierungsmöglichkeiten gebe. Man müsse vermeiden, die Schülerinnen und Schüler in eine bestimmte Richtung zu drängen. Hier sei auch die Rolle der Eltern sehr wichtig. Wie beispielsweise Eltern mit Migrationshintergrund dabei besser unterstützt werden können, ist eine Frage, die auch mit Blick auf die vielen Schutzsuchenden aus der Ukraine, noch stärker berücksichtigt werden muss.
Moderatorin Rebecca Ebner, acatech Geschäftsstelle, verwies abschließend nochmal auf die neue Publikation „MINT-Berufsqualifikation für alle. Impulse des acatech Arbeitskreises Bildung für die Politik“. Darin würden drei Instrumente für die chancengerechte und zukunftsfähige Gestaltung des Schul- und Bildungssystems hervorgehoben: Mindeststandards für die MINT-Bildung, Einstiegsqualifizierung für die Ausbildung und Angebote zur Berufsorientierung und -vorbereitung.