Mobilität im Corona-Jahr – und ein Ausblick auf die diverse Mobilität von morgen
17. Dezember 2020
Ein Beitrag von acatech Präsident Karl-Heinz Streibich
Debatten über die Mobilität von morgen drehen sich zumeist um einzelne Technologien, insbesondere bei den Antrieben. Um die Vor- und Nachteile von E-Fahrzeugen, Hybriden und Wasserstoff-Fahrzeugen, um Batterien, Brennstoffzellen, Syn-Fuels, um Autobahnen mit Oberleitungen, um autonomes Fahren. Zusätzlich müssen wir Mobilität ganzheitlich vom Menschen aus denken. Wir haben die Bevölkerung in unserem Mobilitätsmonitor 2020 gefragt – es zeichnet ein Bild unserer Wege im Corona-Jahr und unserer Wünsche für die Zukunft.
Im Corona-Jahr hat sich unser Mobilitätsradius verkleinert. Das Auto blieb für die befragten Bürgerinnen und Bürger das am häufigsten genutzte und für viele unverzichtbare Verkehrsmittel. Mehr als jeder zweite Deutsche nutzt es Tag für Tag. Ein Gewinner der Krise ist das Fahrrad, in dessen Pedale im Corona-Jahr gut jeder fünfte täglich tritt (22 Prozent, 2019: 17 Prozent). Dagegen blieben die öffentlichen Verkehrsmittel leerer, nur jeder Zehnte nutzt sie täglich. Das liegt natürlich an der Corona-Pandemie, aber auch am Angebot – ein „besserer“ ÖPNV steht für mehr als jeden zweiten Deutschen oben auf der Wunschliste für den Verkehr von morgen.
Jeweils zwei von drei Befragten finden schadstoffarme Antriebssysteme im Hinblick auf den Klimaschutz wichtig und glauben, dass der technische Fortschritt ganz wesentlich dazu beitragen kann, die Klimabelastung zu verringern. Das Interesse und die Unterstützung für Innovationen im Verkehr sind also da.
Das Elektrofahrzeug ist für viele Expertinnen und Experten der Hoffnungsträger für einen umweltfreundlicheren Individualverkehr. Immerhin ermöglicht es die Umsetzung von erneuerbarem Strom in Bewegung mit gutem, umweltfreundlichem Wirkungsgrad.
Bei den Bürgerinnen und Bürgern ist E-Mobilität noch kein Selbstläufer. Der Anteil der Menschen, für die ein E-Auto grundsätzlich in Betracht kommt, stieg von 21 auf 24 Prozent. Ein Marktpotenzial, auf das sich aufbauen lässt. Jedoch ist der Anteil der Menschen, die sich E-Mobilität als Antriebsform der Zukunft wünschen, von 34 auf 24 Prozent zurückgegangen. Mit 59 Prozent bezweifeln mehr Befragte als im Vorjahr (48 Prozent), dass das E-Auto wirklich eine umweltverträgliche Alternative ist.
Das Meinungsbild ist komplex – Wünsche nach mehr Umwelt- und Klimaschutz treffen auf das Bedürfnis nach Verlässlichkeit, Bezahlbarkeit und Einfachheit, von A nach B zu gelangen. Allgemeine Unterstützung eines technologischen Wandels trifft auf Zögern bei der Einschätzung zur Alltagstauglichkeit.
Verbindet man Expertendebatte und Meinungsbild in der Bevölkerung, lässt sich ein Schluss ziehen: Eine ebenso attraktive wie umweltfreundliche Mobilität erreichen wir nicht, indem wir einzelne Antriebsformen ersetzen. Es geht um eine Vielzahl von Alternativen und Veränderungen in den Mobilitätsgewohnheiten – um ihre gute Verknüpfung.
Der Verkehr wird divers. Er muss in einem Ökosystem für Mobilitätsdaten vernetzt werden
Ein nutzer- und umweltfreundlicheres Mobilitätssystem entsteht aus vielen Bausteinen. Aus umweltfreundlicheren Antrieben, aus einem weiter verbesserten ÖPNV, aus besseren Wegen und mehr Raum für Fußgänger und Fahrradfahrer, aus Sharing-Modellen und ihren urbanen Varianten wie den E-Scootern.
So lange all diese Angebote mehr schlecht als recht verbunden sind, werden die Menschen im Zweifel auf das eigene Fahrzeug in der Garage vertrauen. Das eigene Fahrzeug ist dann im Alltag einfacher, sicherer, bequemer. Längst dringen Verkehrsexperten auf integrierte Mobilitätssysteme, so auch in unserer Studie zur Mobilität 2030+. Erst wenn die Menschen in nutzerfreundlichen Anwendungen ihre Strecken und Anbieter verkehrsträgerübergreifend planen, buchen und bezahlen können, sind sie bereit, auf die Sicherheit eines eigenen Fahrzeugs zu verzichten.
Ein Datenökosystem für intermodale Mobilität dient dem Gemeinwohl
Die Integration gelingt durch digitale Vernetzung und Künstliche Intelligenz. Beide fußen auf verkehrsübergreifend und gemeinsam genutzten Daten. Ihr Ermöglicher ist ein gemeinsames Datenökosystem Mobilität – Basis für übergreifende, plattformbasierte Mobilitätsdienste, für eine intelligente, prädiktive Verkehrssteuerung und letztlich für ein intermodales Mobilitätssystem, in dem Menschen und Güter sicherer, umweltfreundlicher und verlässlicher unterwegs sind.
Mobilitätsdaten unterschiedlichster Quelle sind so gesehen ein Gemeingut und der Datenraum Mobilität dient dem Gemeinwohl. Er verhindert Unfälle, er spart Energie und CO2-Emissionen und ja, er spart uns wertvolle Lebenszeit, die wir heute mit komplizierten Buchungen oder in Staus vergeuden.
Zudem trägt ein Datenökosystem Mobilität entscheidend zur digitalen Souveränität unseres Landes und der EU bei: Unternehmen, öffentliche Anbieter und Behörden, Bürgerinnen und Bürger teilen und nutzen Mobilitätsdaten. Sie definieren gemeinsame Spielregeln für vertrauenswürdige Datentransaktionen, die Privatheit, geistiges Eigentum und kritische Unternehmensinformationen sichern.
Ein gemeinsamer Datenraum Mobilität reduziert die wirtschaftliche und technische Abhängigkeit von Hyperscalern. acatech setzt sich dafür ein, dass öffentliche und private Mobilitätsanbieter in einem solchen Datenökosystem Mobilität zusammenfinden.
Wir brauchen eine proaktive gesellschaftliche Debatte
Die Akzeptanz der Nutzerinnen und Nutzer ist eine Grundvoraussetzung für den Erfolg. Wir sollten uns als Gesellschaft klar machen: Wir steuern in Sackgassen, so lange wir einzelne Technologien oder Verkehrsmittel als Allheilmittel für die Mobilität sehen. Elektromobilität wird für viele, aber nicht für alle Mobilitätsbedürfnisse die Lösung sein. Es werden auch nicht alle Menschen überall auf ÖPNV oder auf Fahrräder umsteigen.
Neue Wege eröffnet der intelligente Mix der Antriebsformen mit privaten, öffentlichen und sharing-basierten Mobilitätsangeboten. Wenn wir mit einem gemeinsamen Datenökosystem eine Basis für diesen Mobilitätsmix schaffen, wenn wir Mobilität gleich welcher Form so einfach wie möglich buchen können, dann schaffen wir echte Alternativen zum heutigen Mobilitätsparadigma.
Wir brauchen dafür eine viel proaktivere gesellschaftliche und politische Debatte: Über den Mobilitätsmix in Stadt und Land. Aber auch über die Nutzung von Mobilitätsdaten. Daten müssen sicher sein und wir brauchen vertrauenswürdige Organisationen, die dafür Sorge tragen und geradestehen. Wir müssen aber herausfinden aus einer übertriebenen Verklemmtheit bei Daten: Gegenwärtig erlauben wir uns in Deutschland kaum eine Nutzung von Daten, sei es in der Mobilität, im Gesundheitssystem oder in anderen Bereichen. Gleichzeitig überlassen wir ebenjene Daten massenweise den Hyperscalern: Auf deren Datennutzung haben Deutschland und die EU kaum Einfluss und – noch schwieriger – keine Alternative.
Besser ist es, die Datennutzung nach europäischen Rechts- und Wertemaßstäben zu gestalten. Nicht nur, aber auch im Datenraum Mobilität. Wir erlangen in einem gemeinsamen Datenraum Hoheit über die eigenen Daten der Nutzer, Hersteller und Mobilitätsanbieter. Es muss ein gemeinsames Verständnis werden, dass Privatheit und unternehmenskritische Daten strukturell gesichert werden und dass es sich um ein gemeinsames, gesellschaftliches Unterfangen handelt: Um eine gemeinsame Informationsbörse für eine sichere, umweltfreundliche und bedarfsgerechte Mobilität.