Neue Möglichkeiten und ethische Grenzen der Gen-Schere CRISPR-Cas

München, 7. Juni 2019
Kein Werkzeug hat in den vergangenen Jahren die Biologie und Medizin so euphorisiert wie die Gen-Schere CRISPR-Cas. Mit diesem Verfahren können Gene eingefügt, entfernt oder ausgeschaltet werden. Die Durchführung ist einfach, die Kosten vergleichsweise gering. Steven Hildemann (Merck KGaA), Martin Schulte (TU Dresden) und Matthias Braun (Universität Erlangen-Nürnberg) informierten und diskutieren am 4. Juni bei acatech am Dienstag in der evangelischen Stadtakademie München zu diesem hochaktuellen Thema.
Gezielte Veränderungen des Genoms werden schon seit über 150 Jahren vorgenommen, erklärte Steven Hildemann, Chief Bio-Ethics and Employee Health Officer bei Merck KGaA in Darmstadt. Mit dem neuen CRISPR-Cas9-Verfahren sei es nun aber darüber hinaus möglich, genetische Informationen in die Zelle zu transportieren, die bestehende Erbsubstanz aufzutrennen und gezielt neue Informationen zu integrieren. Die natürlichen Reparaturmechanismen der Zelle nutzend ermögliche die Technologie, die defekten Gene eines Patienten durch intakte Gene zu ersetzen, sagte Steven Hildemann. Es bedürfe allerdings gewissenhafter Analyse und Handhabung sowie klarer und transparenter Handlungsrichtlinien im Umgang mit der Gen-Schere, da über Langzeitfolgen aktuell noch nichts bekannt sei.
Die Werte haben sich in unserer Gesellschaft pluralisiert
„Die Rechtslage ist unübersichtlich“, erklärte Martin Schulte, Professor für Öffentliches Recht, insbesondere für Umwelt- und Technikrecht, an der TU Dresden, gleich zu Beginn. So unterscheide sich die Regelung zu Eingriffen in die Keimbahn im internationalen Recht grundlegend vom supranationalen Recht und verschiedenen nationalen Regelungen. Darüber hinaus sorgten biomedizinische Fortschritte für rechtliche Unklarheiten, die oft durch die bestehende Gesetzesgrundlage nicht abgedeckt würden. In Deutschland seien Eingriffe in die Keimbahnzellen derzeit über die Menschenwürde und das Embryonenschutzgesetz geregelt, sagte Martin Schulte. Die biomedizinische Entwicklung sei jedoch nicht mehr aufzuhalten, beurteilte er zusammenfassend die Situation. Letzten Endes werde sich das Bundesverfassungsgericht mit dieser Problematik auseinandersetzen und im Zuge dessen entscheiden müssen, ob solche Keimbahninterventionen mit der Menschenwürde vereinbar sind.
Die Wissenschaft kann nicht allein entscheiden
CRISPR-Cas sei eine emergierende Biotechnologie – eine Technologie, die einerseits Lösungen für gesellschaftliche Probleme liefere, andererseits gesellschaftliche Normen und Werte infrage stelle, so Matthias Braun vom Lehrstuhl für Systematische Theologie II (Ethik) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Hauptprobleme seien, dass bestehende Regularien nicht genau passen, ein hohes Maß an Vagheit in Bezug auf mögliche Risiken bestehe und Stellvertreterdebatten geführt würden. Wichtig sei laut Matthias Braun, dass die Wissenschaft nicht allein über den Einsatz dieser Methode entscheiden könne, sondern auch die Zivilgesellschaft in diesen Prozess einbezogen werde. Die Sicherheit der Gen-Schere sei nur ein Aspekt der Debatte, es gehe aber auch um Fragen der Gerechtigkeit. Gemeinsam müsse nun diskutiert werden, unter welchen Bedingungen die Anwendung der CRISPR-Cas Methode vertretbar sei.
Bei der anschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von Thomas Zeilinger, Beauftragter für Ethik im Dialog mit Technologie und Naturwissenschaft der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, wurde zunächst erörtert, wie der Umgang mit der Gen-Schere nun weitergeführt werden solle. Auch die Rolle der Menschenwürde in Deutschland, Fragen nach Enhancement und Langzeitfolgen wurden diskutiert. Das Publikum interessierte dabei vor allem, wie die rechtliche Grundlage in Deutschland aussehe und inwieweit die Risiken der Methode in Fachkreisen bekannt sei. Einig waren sich die Referenten darüber, dass es sich bei den Experimenten in China, in deren Rahmen Ende letzten Jahres Zwillinge mit genmanipuliertem Erbgut geboren wurden, um Menschenversuche handele, die unter keinen Umständen zum jetzigen Stand der Forschung durchgeführt werden dürften.