Nudging: Wie unser Verhalten als Verbraucher gesteuert wird
München, 22. Dezember 2022
Unternehmen versuchen seit jeher, Kaufentscheidungen zu beeinflussen, etwa durch Werbung. Auch die Politik beeinflusst Verhalten, klassische Instrumente hierzu sind Steuern und Gesetze. Seit einigen Jahren hat sich ergänzend die unbewusste Verhaltenslenkung etabliert, das Nudging. Doch wie lässt sich schnell erkennen, wenn wir als Konsumenten beeinflusst oder gar manipuliert werden sollen? Wie können wir uns gegen sogenannte Dark Patterns und Designtricks wappnen? Darüber sprach Lucia A. Reisch, Cambridge Judge Business School, am 6. Dezember bei acatech am Dienstag mit über 750 Gästen. vhs.wissen live war Partner der Veranstaltung.
Jeden Tag treffen Menschen hunderte von Entscheidungen – oft unbewusst und „aus dem Bauch heraus“. Doch wie kommen wir zu diesen Entscheidungen? Lucia A. Reisch, Cambridge Judge Business School, University of Cambridge / UK, nannte verschiedene Mechanismen, die unsere Entscheidungsfindung beeinflussen. Die menschliche Rationalität und Verarbeitungskapazität sei begrenzt. Deshalb betrieben wir nur so viel Aufwand wie unbedingt erforderlich, um zu einer Entscheidung zu gelangen – über 90 Prozent aller täglichen Entscheidungen finden unterbewusst statt. Menschen entschieden entlang ihrer Wünsche und Präferenzen, aber auch entsprechend ihrer Stimmungen und Emotionen.
An dieser Stelle kommen die so genannten Nudges ins Spiel: kleine „Stupser“, die ein bestimmtes Verhalten anstoßen. Sie kommen ohne finanzielle Anreize oder gar Zwang aus, sondern basieren auf echtem, zum Teil auch unterbewusstem, Entscheidungsverhalten der Menschen, sagte Lucia A. Reisch. Nudges unterstützen die Handlungsabsichten der Menschen. Wenn wir uns beispielsweise mehr Bewegung nach Weihnachten vornehmen, helfen ein Schrittzähler und stetige motivierende Erfolgsmeldungen. Dabei wirken sie durch eine ansprechende Gestaltung der Entscheidungssituation.
Staatliche Akteure setzen regulative Nudges als Politikinstrument ein. Unternehmen setzen kommerzielle Nudges ein, mit dem Ziel, dass der Kunde etwas Bestimmtes kauft. Ideologische Nudges werden von Parteien eingesetzt, um zu erreichen, dass der Bürger eine bestimmte Partei wählt.
Typen von Nudges und Wirkmechanismen
Die bekannteste Art von Nudges sind Standardvorgaben, die Defaults. Sie sollen Menschen in eine empfehlenswerte Richtung „stupsen“, indem sie in Entscheidungssituationen einen vermeintlich optimalen Standard als Vorauswahl anbieten. Als Beispiel für diese Art von Nudges nannte Lucia A. Reisch beim Drucker die Standardeinstellung „doppelseitig“, die zum Papiersparen anhält. Standardmäßig ausgegebenes vegetarisches Essen in Krankenhäusern und Kitas hat Vorteile für Umwelt- und Gesundheitsschutz. Das voreingestellte Akzeptieren aller Cookies auf Webseiten wiederum gibt den Betreibern weitreichende Nutzerinformationen. Auch die Positionierung vorhandener Optionen, zum Beispiel wo Dinge auf einer Webseite stehen, spielen eine Rolle. Der einfache Zu- und Umgang ist ein verbreiteter Nudge, dazu zählen zum Beispiel die Platzierung von Produkten auf Augenhöhe im Supermarktregal. Auch die Benennung von Produkten sei relevant. Es mache emotional einen Unterschied, ob auf dem Joghurt „97 Prozent fettfrei“ oder „3 Prozent Fettanteil“ stehe, erklärte Lucia A. Reisch.
Dark Patterns und Designtricks
Neben den kleinen Verhaltensstimuli, die transparent sind und durch Gestaltung des Entscheidungsumfelds Menschen in die gewünschte Richtung „stupsen“, gebe es „Dark Patterns“. Gemeint sind Techniken, die Verbraucherinnen und Verbraucher an etwas hindern sollen – etwa an der Kündigung eines Accounts oder Abos, so Lucia A. Reisch. Online-Designtricks sind Techniken, die Nutzer unwillentlich zu etwas verleiten sollen, etwa zum Abschluss ungewollter Abos oder die Preisgabe persönlicher Daten. Hier sei die Politik gefragt, die Bürgerinnen und Bürger durch Förderung digitaler Souveränität (digitale Kompetenz, Regulierung und Technologie) besser zu schützen. Insbesondere, wenn es um Meinungsbildung, Wahlen und große gesellschaftliche Debatten gehe, sei ein gesellschaftliches Bewusstsein für diese Mechanismen geboten, formulierte Lucia A. Reisch das Fazit ihres Vortrags.
Zum Vortrag (Audio) von Lucia A. Reisch:
Podcast: Überall, unbemerkt und unterschätzt – Wie unser Verhalten als Verbraucher gesteuert wird
Dauer: 1 Stunde 7 Minuten und 34 Sekunden
Weitergehende Informationen
Nudging hell und dunkel: Regeln für digitales Nudging | SpringerLink