Quantentechnologien – zwischen Forschungsförderung und Wertschöpfung

München, 4. November 2020
Wer Quantentechnologien hört, denkt an Grundlagenforschung, an Phänomene jenseits der klassischen Physik, vielleicht an Quantencomputer. Doch mittlerweile stehen viele Lösungen vor dem Transfer in die Anwendung. Noch ist der Quantenmarkt klein, aber vielversprechend. Wie also können sich Unternehmen und Startups positionieren? Für wen lohnt sich das Engagement? Wie kommen Forschung und Wirtschaft zusammen – und welche Rolle kann die öffentliche Hand spielen? Diese Fragen haben wir mit Vertretern aus Wissenschaft, Mittelstand und der Startup-Szene am 27. Oktober bei acatech am Dienstag diskutiert.
Quantencomputing ist gegenwärtig die vielleicht bekannteste Anwendung der Quantenmechanik. Doch auch in vielen anderen Bereichen kommen die Erkenntnisse der Quantenforschung zum Einsatz: Beispielsweise in Sensorik, Bildgebung und Metrologie, in Atomuhren, Magnetresonanztomographen, in hochpräzisen Mikroskopen. Quantentechnologien sind dort keine Zukunftsmusik mehr. Sie sind für viele Unternehmen bereits die Basis erfolgreicher Geschäftsmodelle. Als disruptive Technologien, die Märkte von Grund auf verändern können, gewinnen sie aktuell enorm an Relevanz. Erste Ökosysteme aus Forschung und Anwendung bilden sich bereits heraus. Zulieferer für Komponenten werden immer wichtiger. Kurz: Quantentechnologien sind dabei, einen großen Schritt auf ihrem Weg von der Forschung in die Märkte zu machen.
Einstieg in den Quantenmarkt auch ohne große Finanzmittel möglich
Artur Zrenner, der an der Universität Paderborn forscht, erklärte in einem einführenden Impuls die grundlegende Funktion von Quantensystemen, die zentralen Quantenphänomene – Verschränkung, Superposition, Beobachtereffekt – und wie diese in den Quantentechnologien zum Tragen kommen. Sie ermöglichen beispielsweise im Quantencomputing die rasche Berechnung von Aufgaben, für die ein klassischer Computer hunderte, wenn nicht sogar tausende von Jahren benötigt. Eine der Herausforderungen im Quantencomputing, die Kühlung der Hardware auf Tiefsttemperaturen, ist gleichzeitig eine Chance für die sich gerade entwickelnde Zulieferindustrie. Daneben führte Zrenner noch die Quantenkommunikation, die Photonik und vor allem Sensorik als relevante Geschäftsfelder im sich entwickelnden Quantenmarkt ins Feld. Allerdings seien die Einstiegshürden sehr unterschiedlich. Die Entwicklung von Software für das Quantencomputing, ultrakompakten Laserquellen oder Quantenfrequenzkonvertern basierend auf nichtlinearen Kristallen seien beispielsweise auch für Startups mit überschaubarer Finanzierung zu stemmen. Wer in die deutlich aufwändigere Entwicklung von supraleitenden Detektoren investiere, der würde aber nicht nur den Quantenmarkt aufrollen. Damit könne zum Beispiel auch den Bioimaging-Markt adressiert werden.
Wissenschaft muss sich mehr für den Mittelstand öffnen
Khaled Karraï kennt die Herausforderungen der Gründung und Weiterentwicklung eines Unternehmens aus eigener Erfahrung. Er hat 2001 aus der Forschung heraus das Unternehmen attocube, Hersteller von Nanotechnologie-Lösungen, mitgegründet und sich seit 2007 ganz der Wirtschaft zugewandt. Als Scientific Director treibt Khaled Karrai maßgeblich die Entwicklung von Produkten für den Quantenmarkt voran und wirkt als Brückenbauer zwischen der akademischen Welt und der Wirtschaft. Kooperationen sind nach seinen Worten sowohl zwischen Forschung und Wirtschaft, aber auch zwischen Unternehmen für den Erfolg des Quantenstandorts Deutschland essenziell und müssen rasch etabliert werden. Aktuell dauere der Markttransfer von Forschungserkenntnissen in Deutschland viel zu lange.
Diese Meinung teilten sowohl Artur Zrenner als auch der Mitgründer des Startups kiutra, Alexander Regnat. Der Weg von der Forschung hin zu einem fertigen, kommerziell nutzbaren Produkt sei oft sehr weit und teuer. Forschungsinstitute müssten sich für den Mittelstand öffnen und gemeinsam nutzbare Ressourcen wie zum Beispiel Quantenrechenzentren aufbauen. Das sei aber keine Einbahnstraße. Laut Artur Zrenner brauchen Forschungsinstitute auch die Innovationsleistung der Wirtschaft, um ihre Projekte voranzutreiben und sollten daher verstärkt den Kontakt suchen.
Förderung für Gemeinschaftsressourcen kann Einstiegshürden senken
Die Kooperation zwischen Forschung und Wirtschaft wäre aus Alexander Regnats Sicht ein Bereich, in dem staatliche Forschungsförderung und Wirtschaftsförderung einhergehen könnten – diese haben in Deutschland sowohl der Bund als auch einzelne Bundesländer stark ausgebaut. Es fehlten aber noch passgenaue Instrumente zur Verteilung der Gelder aus den großen Fördertöpfen. Die finanziellen Mittel einzelner Programme reichten oft nicht aus, der Aufwand für die Beantragung stehe oft in keinem Verhältnis. Der Zugang zu Gemeinschaftsressourcen könne die Einstiegshürden in den Quantenmarkt für Startups aber auch für den Mittelstand senken und damit nicht nur den Forschungsstandort voranbringen, sondern dank unternehmerischer Pionierleistung auch den Wirtschaftsstandort Deutschland an der Spitze des internationalen Wettbewerbs positionieren.
Die gar nicht mehr ferne Quantenzukunft erörtern die acatech HORIZONTE in ihrer Ausgabe zu Quantentechnologien. Sie erscheint in wenigen Wochen. Die acatech HORIZONTE informieren über den Stand der Forschung, erklären die wichtigsten Begriffe, illustrieren zentrale Anwendungsgebiete und identifizieren Handlungsfelder für Wissenschaft, Wirtschaft und Politik – kompakt, anschaulich und auf dem Stand des Wissens.