Sektorkopplung als Schlüssel für ein klimafreundliches Energiesystem
Berlin, 15. November 2017
Wie können die Sektoren Strom, Wärme und Verkehr stärker miteinander verknüpft und viel mehr erneuerbare Energien in das Gesamtsystem integriert werden als heute? Welche Technologien und Energieträger machen die Energieversorgung in Deutschland langfristig klimafreundlich? Wie teuer wird die Energiewende, und wie lassen sich diese Kosten stemmen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Diskussionsforums Energie.System.Wende. des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS). Am 14. November 2017 kamen Fachleute aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik im Berliner dbb forum zusammen und diskutierten Handlungsoptionen für die Sektorkopplung in Deutschland.
Die Veranstaltung startete mit einer Eröffnungsrunde von acatech Präsident Dieter Spath und dem Sprecher des Akademienprojekts ESYS, Dirk Uwe Sauer (RWTH Aachen). Dieter Spath würdigte die bisherige Leistung der Initiative ESYS und betonte die kommenden Herausforderungen: „Energie muss langfristig sicher und bezahlbar bleiben. Das Akademienprojekt ESYS hat hier schon viel erreicht. Dort müssen wir ansetzen und Lösungen für die Zukunft entwickeln.”
Nach einem Grußwort von Georg Schütte (Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung) stellten Eberhard Umbach (acatech Präsidium) und Hans-Martin Henning (Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE) wesentliche Ergebnisse der neu veröffentlichten Stellungnahme „Sektorkopplung“ vor. Sie betonten, dass die Klimaziele nur durch einen klaren Kurswechsel erreicht werden können. Strom werde in einem integrierten Energiesystem zum dominierenden Energieträger. Um ihn sektorübergreifend einsetzen zu können, müsste die Kapazität aus Windkraft- und Photovoltaikanlagen um ein Fünf- bis Siebenfaches ansteigen. Die Leiter der ESYS-Arbeitsgruppe „Sektorkopplung” gingen auch auf die Mehrkosten der Energiewende ein – mit 30 bis 60 Milliarden Euro pro Jahr könnten sie etwa ein bis zwei Prozent des heutigen deutschen Bruttoinlandsprodukts betragen, bei ungünstigen Bedingungen sogar mehr. Klug gesetzte Rahmenbedingungen seien notwendig, damit diese Kosten nicht noch weiter steigen.
Wie die Vorschläge aus der ESYS-Stellungnahme in die Praxis umgesetzt werden könnten, war Thema der anschließenden Fishbowl-Diskussion. Hans-Martin Henning, Karen Pittel (ifo Zentrum für Klima, Umwelt und erschöpfbare Ressourcen und ESYS-Mitglied), Jochen Kreusel (ABB) und Julia Verlinden (Bundestagfraktion Bündnis 90/Die Grünen) diskutierten mit Gästen aus dem Publikum. Ein wichtiger Aspekt war die in der Stellungnahme genannte Forderung nach einem einheitlichen, wirksamen CO2-Preis. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten, zum Beispiel die Einführung einer europaweiten oder nationalen CO2-Steuer. „Bisher ist Strom mit viel höheren Abgaben, Umlagen und Steuern belastet als beispielsweise Erdgas und Heizöl. Durch eine CO2-Steuer wäre grüner Strom preiswerter, fossile Energieträger hingegen würden teurer und damit unattraktiv”, erklärte die Ökonomin Karen Pittel. Julia Verlinden sah einen CO2-Mindestpreis im europäischen Emissionshandelssystem (EU ETS) als wichtige Voraussetzung für die Sektorkopplung an. Das EU ETS müsse auf alle Sektoren ausgeweitet werden, damit auch die Emissionen des Verkehrs- und Wärmesektors erfasst werden. Wie die einzelnen Sektoren klimafreundlicher werden konnten, war ein weiteres Thema der Diskussion. Im Wärmebereich etwa reiche es nicht, nur die Wohnhäuser zu dekarbonisieren, sondern auch die Prozesswärme. Dafür seien unter anderem Biomasse oder Power-to-X-Technologien geeignet, erklärte Julia Verlinden.
Das Diskussionsforum Energie.System.Wende. bildete den zweiten Teil der ESYS-Jahresveranstaltung. Ergänzt wurde diese von der ESYS-Mitgliederversammlung, die bereits tagsüber im dbb forum stattgefunden hatte. Dort präsentierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erste Zwischenergebnisse aus den laufenden Arbeitsgruppen Governance für eine europäische Energieunion, Bioenergie und Energieversorgung zentral-dezentral. In drei Workshops tauschten sie sich außerdem mit Abgeordneten und Fachleuten parteinaher Stiftungen über die Energiepolitik der künftigen Bundesregierung aus.