Skepsis in Wissenschaft und Technik
München, 21. Oktober 2020
Skeptisch sein, Dinge hinterfragen – das ist seit jeher eine Triebkraft der Wissenschaft. Heute trifft Skepsis auch von außen auf die Wissenschaft: In der aktuellen Corona-Krise sehen sich auch manch seriöse Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit gewissen Vorwürfen aus der Bevölkerung konfrontiert. Wo liegt hierfür die Ursache? Und: was sind eigentlich Fakten? Diese Fragen standen bei acatech am Dienstag anlässlich des Internationalen Tags der Skeptiker am 13. Oktober im Zentrum.
Katharina Schüller, Geschäftsführerin und Gründerin des Unternehmens „Stat-up“, beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit dem Verhältnis zwischen Daten, Wissen und Handeln. Zunächst erklärte sie, wie Inzidenzwert und Reproduktionszahl, die zentralen Kennzahlen der Corona-Pandemie, berechnet werden und von welchen Einflussgrößen die Güte der statistischen Schätzung abhängt. Während sich die Dynamik einer Pandemie auch mit schlechten Daten gut abschätzen lasse, sei es schwierig, den genauen Zustand zu bestimmen. Außerdem verwies die Statistikerin auf den Leitspruch „You can’t manage what you don’t measure“ und forderte in Hinblick auf die Pandemie, mehr Daten auch über ökologische und soziale Folgen zu erheben. Zusätzlich brauche es mehr Datenkompetenz in der Gesellschaft, um die Aussagekraft von Statistiken einordnen zu können.
Der international tätige Journalist Wolfang Goede wies in einem Kommentar auf die Schwierigkeit hin, komplexe statistische Zusammenhänge medial aufzubereiten. Zahlen allein seien wenig verständlich, stattdessen müsse man diese durch Text verständlich machen. Eine derzeit sehr große Herausforderung für den Journalismus stelle das Nebeneinander verschiedener wissenschaftlicher Empfehlungen dar. So sei es beispielsweise nicht einfach zu erklären, weshalb in verschiedenen Ländern unterschiedliche Maßnahmen in der Corona-Pandemie zur Anwendung kämen.
Das skeptische Denken sei ein „Motor des Erkenntnisfortschritts“, konstatierte der der Historiker und acatech Mitglied Helmuth Trischler, Deutsches Museum und LMU München, in seinem Vortrag. Wissenschaft sei ein sich selbst korrigierendes System, welches auf das Infragestellen und Anzweifeln bisheriger Erkenntnisse angewiesen ist. Während die Wissenschaft bis in die 1960er Jahre den Anspruch einer umfassenden Welterklärungsmacht erhob, kam es mit der reflexiven Moderne zu einem zunehmend öffentlichen Aushandeln von Wissen. Anhand von drei Fallbeispielen zeigte Helmuth Trischler die Rolle von Skepsis für Wissenschaft und Gesellschaft: Die Kontroverse um Kernenergie habe durch ihre Inklusion verschiedener sozialer Gruppen zu einer weiteren Demokratisierung der Bundesrepublik Deutschland geführt und die Fruchtbarkeit trans- und interdisziplinären Arbeitens vor Augen geführt. Auch die Debatten über das Insektizid DDT in den 1960ern und das umstrittene Carbon Engineering heute zeigten die Bedeutung gesamtgesellschaftlicher Aushandlungsprozesse.
Wolfgang Goede kommentierte, dass Wissenschaft das beste System sei, um zu Wahrheit zu kommen. Dennoch seien auch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler anfällig für Ideologien und Korruption. Als Beispiel führte er den Einfluss der Tabakindustrie auf die medizinische Forschung an, die Jahrzehnte lang Erkenntnisse zur Schädlichkeit von Zigaretten unterdrückte.
In der abschließenden Diskussion wurde der Begriff „Technikskepsis“ diskutiert, der auch im TechnikRadar die ambivalente Einstellung der Deutschen beschreibt. acatech Präsident Dieter Spath verdeutlichte, dass der Begriff „skeptisch“ in der Umgangssprache zwar zunächst negativ konnotiert sei, sich aber gut eigne, um das kritische Hinterfragen von neuen Technologien auszudrücken.