Smart und vernetzt: Bessere Energiewende durch Digitalisierung?
München, 23. März 2021
Immer mehr Menschen betreiben eigene Solaranlagen und Batteriespeicher. Elektroautos können bevorzugt dann geladen werden, wenn die Sonne scheint und der Wind weht. Aber wie kann das alles koordiniert werden? Und welche neuen Risiken entstehen, wenn Millionen von Geräten über das Internet kommunizieren? Chancen und Herausforderungen einer zunehmend dezentralen und digitalen Energieversorgung standen im Zentrum eines acatech am Dienstag in Kooperation mit der Münchner Volkshochschule am 16. März.
„Aktuell sind mehr als 80 Prozent der der heute emittierten klimaschädlichen Treibhausgase auf die Verbrennung von Öl, Kohle und Erdgas zur Energiegewinnung zurückzuführen.“ Mit dieser Zahl zu Beginn ihres Vortrags verdeutlichte Berit Erlach, wissenschaftliche Referentin des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“, wie wichtig die Energiewende als Hebel zu mehr Klimaschutz ist. Dass dieser Umbau des Energiesystems äußerst vielschichtig ist, zeigte sie im weiteren Verlauf ihres Vortrags bei acatech am Dienstag.
Wie ändert sich die Stromversorgung durch die Energiewende?
Doch was genau bedeutet dieser Umbau des Energiesystems, wie wird das Energiesystem der Zukunft aussehen? Wind- und Solarenergie werden zukünftig die wichtigsten Energieträger sein und einen Großteil des Strombedarfs decken müssen, wenn Atomkraft-, Kohle- und Erdgaskraftwerke vom Netz gehen. Sie produzieren jedoch wetter-, tages- und jahreszeitabhängig unterschiedlich viel Strom. Zwar ergänzen sie einander gut, dennoch wird es immer wieder die sogenannten Dunkelflauten geben, in denen die Erneuerbaren mangels Wind und Sonne temporär nicht genug Strom für den aktuellen Bedarf erzeugen können.
Das bedeutet auch, dass eine komplett autarke, lokale Stromversorgung, beispielsweise für einen Haushalt, sehr schwierig ist: Zwar erzeugen zunehmend Privatverbraucher Strom mit der eigenen Solaranlage auf dem Dach, aber selbst mit einem Batteriespeicher lassen sich saisonale Schwankungen nicht ausgleichen. Im Sommer wird ein Überschuss an Solarstrom erzeugt und ins Netz eingespeist, im Winter hingegen liefert die Solaranlage nicht genug und es muss Strom aus dem Netz bezogen werden. Neben kleinen, dezentralen Anlagen werden daher auch größere Versorgungseinheiten wie Windparks und Bioenergieanlagen sowie Verfahren zur saisonalen Speicherung eine wichtige Rolle im zukünftigen deutschen Strommix spielen.
Im Zuge der Sektorenkopplung gibt es zudem neue Verbraucher wie Elektroautos und Wärmepumpen. Denn Strom aus erneuerbaren Energien wird zukünftig vermehrt auch zur Wärmeerzeugung und im Verkehrssektor eingesetzt, um Benzin und Diesel, Erdgas und Heizöl zu ersetzen. Der Strombedarf wächst dadurch perspektivisch stark – einige Studien gehen davon aus, dass er sich bis 2050 verdoppeln könnte.
Auch die Stromnetze müssen ausgebaut werden. Ein Grund hierfür ist, dass zunehmend Strom aus den windreichen Regionen an der Küste in windärmere Regionen transportiert werden muss, in denen mehr Industrie beheimatet ist und wegen hoher Bevölkerungsdichte nicht so viele Flächen für Windenergieanlagen zur Verfügung stehen. Aber auch in den Verteilnetzen steigt durch den steigenden Strombedarf und die Einspeisung aus dezentralen Erneuerbare-Energieanlagen die Belastung. Künftig müssen die Verteilnetze viel stärker die Einspeisung und den Verbrauch auf lokaler Ebene austarieren.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der Energiewende?
Neue Akteure, mehr Verbraucher und mehr Erzeuger: „Um dieses diffizile System austarieren zu können, braucht es die Digitalisierung auf verschiedenen Ebenen“, erklärte Berit Erlach und erläuterte dies am Beispiel des Stromnetzes: Dieses hat selbst keinerlei Speicherkapazität, es muss also immer genau so viel Strom eingespeist werden, wie gerade verbraucht wird. Bisher geschieht dies über den Stromhandel und die sogenannte „Regelenergie“, die man sich als Bereitschaftsdienst vorstellen könne. Steigt der Strombedarf beispielsweise schlagartig an, können Anbieter von Regelenergie binnen 30 Sekunden die benötigten Strommengen in das Netz geben. Aktuell gleichen zumeist große Kraftwerke diesen Bedarf aus, sie gehen jedoch in den nächsten Jahren und Jahrzehnte zunehmend aus dem Betrieb.
Virtuelle Kraftwerke können ihre Stelle einnehmen. Sie sind ein Zusammenschluss verschiedener Erzeugungs-, Verbrauchs- und Speicheranlangen, die zentral koordiniert werden und die in diesen kleinen Anlagen erzeugte und gespeicherte Energie zusammenführen und vermarkten. Durch das Zusammenspiel der verschiedenen Anlagen können virtuelle Kraftwerke bedarfsgerecht Strom einspeisen – ähnlich wie beispielsweise ein regelbares Erdgaskraftwerk. Ein Teil der Stromversorgung verlagert sich somit hin zu virtuellen Einheiten, die mittels Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) betrieben werden.
Auch die Digitalisierung des privaten Wohnraums wirkt sich auf das Energiesystem aus. So können Smart Home-Anwendungen zu einer effizienten Stromnutzung beitragen, wenn beispielsweise der Wärmespeicher der Heizanlage befüllt wird, wenn Strom gerade zur Genüge vorhanden ist. Mit dieser zunehmenden Verknüpfung des Energiesystems mit IKT wird die Stromversorgung zwar effizienter und flexibler, jedoch auch anfälliger für Fehlverhalten von IKT. Im Zuge dieser Entwicklung wäre es möglich, dass beispielsweise von Hackern attackierte Haushaltsgeräte Netzschwankungen verursachen, wenn sie zeitgleich an- oder ausgeschaltet werden.
Was bedeutet diese Entwicklung für die deutsche Stromversorgung?
Für solche Szenarien gibt es bisher keine ausreichenden Bewältigungsstrategien. Deshalb gelte es, so Berit Erlach, das System jetzt resilient auch gegen unvorhergesehene und unvorhersehbare Störereignisse zu gestalten. Diese müssten nicht mal immer von kriminellen Energien gelenkt sein, auch Softwarefehler könnten hierfür ursächlich sein und schlimmstenfalls einen Blackout verursachen, der wiederum in kurzer Zeit teils drastische Auswirkungen auf andere Kritische Infrastrukturen wie Transportsysteme, Gesundheitswesen und Wasserversorgung und -entsorgung hätte.
Für eine erfolgreiche Energiewende ist die Digitalisierung unabdingbar. Sie muss aber so gestaltet werden, dass neuen Risiken gut begegnet werden kann und die gewohnte hohe Versorgungssicherheit aufrechterhalten wird. Eine Arbeitsgruppe des Akademienprojekts „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS) hat jüngst eine Stellungnahme veröffentlicht, die 15 Handlungsoptionen für ein sicheres, digitalisiertes Energiesystem vorstellt.