Klimawandel und Naturgefahren in Deutschland: Strategien gegen Überflutungen, Dürren und Hitzewellen

München, 7. Februar 2024
Die Menschen in Deutschland spüren den Klimawandel zunehmend in Form von Hochwasser, Dürren und Hitzewellen. Wo sind die Folgen besonders gravierend und welche Anpassungsstrategien sind sinnvoll? Vor welchen Herausforderungen stehen die Kommunen? Die Podiumsgäste von acatech am Dienstag, das am 30. Januar in Kooperation mit der Munich Re Foundation, stattfand, diskutierten lebhaft mit dem Publikum.
„Der Klimawandel ist da. Wir müssen alles tun, um ihn beherrschbar zu machen“, gab acatech Präsident Jan Wörner in seinem Eingangsstatement die Richtung vor. Vielfältige zusätzliche Herausforderungen wie die Energiewende oder der Krieg in der Ukraine würden es den Menschen jedoch erschweren, die Anpassung an den Klimawandel voranzutreiben. „Wir in Deutschland können uns zwar noch relativ gut gewappnet schätzen, aber wir leben nicht auf einer Insel!“, gab er zu bedenken.
Welche Strategien können insbesondere beim Bauen im Bestand zu einer Anpassung an Klimawandel und Wetterextreme beitragen?
Jan Wörner im Interview zur Frage: Welche Strategien können insbesondere beim Bauen im Bestand zu einer Anpassung an Klimawandel und Wetterextreme beitragen?
Klimakennwerte geben die Richtung vor
Entscheidend für viele desaströse Folgen des Klimawandels sind nicht die langsam steigenden Durchschnittswerte, sondern die immer häufiger auftretenden Extremsituationen, erläuterte Michael Außendorf. Er ist stellvertretender Leiter des Klimazentrums am Bayerischen Landesamt für Umwelt. Anhand von Klimakennwerten wie Häufigkeit von Hitzetagen, Niederschlagsmengen oder Intensität von Trockenperioden ließen sich Trends erkennen und Projektionen für die Zukunft entwerfen. Je nach Szenario – Einhalten der Pariser Klimaziele oder Weitermachen wie bisher – ergäben sich höchst unterschiedliche Werte. So könnte es in Bayern im Jahr 2085 bis zu 22 zusätzliche Hitzetage geben, also Tage mit einer Höchsttemperatur von über dreißig Grad. Zum Vergleich: Im Referenzzeitraum von 1970 bis 2000 waren es gerade einmal vier Hitzetage pro Jahr. „Das ist für den menschlichen Organismus sehr belastend. Schon heute sterben in Deutschland viele Menschen an Hitze, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit“, machte er deutlich. Auch Pflanzen und Tiere reagieren empfindlich auf die Erwärmung.
Wie können sich Kommunen gegen Wetterextreme wie Hitze, Dürre oder Starkregen wappnen?
Michael Außendorf im Interview zur Frage: Hitze, Dürre, Starkregen sind Wetterextreme, die in den letzten Jahren auch Bayern vermehrt getroffen haben. Welche Ansätze gibt es, damit sich Kommunen dagegen wappnen?
Kommunen sind wichtige Partner
Bei der Anpassung an den Klimawandel sind die Kommunen besonders gefordert. „Sie kennen die Verhältnisse vor Ort, haben Entscheidungsbefugnisse und sind nah an den Menschen“, so Michael Außendorf. Es gebe viele Möglichkeiten, wo Kommunen aktiv werden könnten. Etwa indem sie Versickerungsmulden für Starkregen schaffen, für mehr Grün auf den Dächern oder für kühlende Frischluftschneisen sorgen. Hindernisse seien Interessenskonflikte, der Flächendruck in vielen Städten sowie rechtliche Hürden. Hier wiederum sind Bund und Länder gefragt. „Es fehlte bisher ein gesetzlicher Rahmen. Ich hoffe, dass das Klimaanpassungsgesetz des Bundes diesen Rahmen bietet, damit das Thema bei den Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger auf allen Ebenen ankommt“, so Michael Außendorf. Ungeklärt sei jedoch die Frage, woher die notwendigen finanziellen Mittel für die Kommunen kommen sollen. Das Klimaanpassungsgesetz wurde Ende 2023 verabschiedet und soll Mitte 2024 in Kraft treten.
Die Zeit läuft uns davon
Jeder für schadensmindernde Klimaanpassung investierte Euro ist gut angelegtes Geld. „Im Jahr 2023 verursachten Naturgefahren wie Stürme oder Überschwemmungen in Deutschland versicherte Schäden von knapp fünf Milliarden Euro, der volkswirtschaftliche Schaden lag noch einmal um den Faktor zwei bis drei höher“, verdeutlichte Ernst Rauch, Chief Climate and Geo Scientist bei Munich Re. Steigende Schäden seien nur zum Teil auf sozioökonomische Faktoren wie steigende Gebäudewerte zurückzuführen. „Analysiert man die über fünfzig Jahre aufgebaute Schadendatenbank von Munich Re, zeigt sich, dass vor allem Naturgefahren wie zu viel oder zu wenig Niederschlag die Schadenentwicklung beeinflussen. Das verstärkt die Indizienkette, dass der Klimawandel eine, wenn nicht die entscheidende Rolle spielt.“ Rauch plädierte dafür, sich verstärkt mit Fragen der Anpassung zu beschäftigen. Denn die Zeit läuft uns davon. Der Klimawandel werde noch Jahrzehnte weitergehen, selbst wenn wir heute alle klimaschädlichen Emissionen stoppen würden. „Das Klima reagiert sehr träge. Viele extreme Wetterereignisse werden wir gar nicht mehr verhindern können“.
Brauchen wir eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden und braucht es dazu Lösungen in Public Private Partnership?
Ernst Rauch im Interview zur Frage: Im Zusammenhang mit großen Naturkatastrophen in Deutschland wird immer wieder eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden gefordert. Was halten Sie von dieser Debatte und braucht es hierzu Lösungen in Public Private Partnership?
Bürgerinnen und Bürger beteiligen statt Akzeptanz einfordern
„Wir wissen, was zu tun ist“, stimmte Michael Außendorf zu. Versicherer, Politik und Kommunen müssten sich überlegen, wie sie die Menschen von den notwendigen Maßnahmen überzeugen. Es sei wichtig zu vermitteln, dass Klimaanpassung die Lebensqualität erhöhen und dazu beitragen kann, dass wir gut leben können. „Wenn die Kommunalvertreter dies gut kommunizieren, machen auch die Bürgerinnen und Bürger mit“, ist er überzeugt. Jan Wörner ergänzte: „Allein Akzeptanz einzufordern ist der falsche Weg. Man muss sich darum bemühen, die Menschen zur aktiven Trägerschaft zu motivieren.“ Bei der Mediation zum umstrittenen Bau einer neuen Start- und Landebahn am Frankfurter Flughafen habe er die Erfahrung gemacht, dass Konflikte mit guter Kommunikation und Kompromissbereitschaft zur Zufriedenheit aller gelöst werden können.
Eine Möglichkeit, sich besser vor den Folgen des Klimawandels zu schützen, ist klimagerechtes Bauen. „Das fängt bei der Wahl der Materialien an, geht über die richtige Quartiersentwicklung und umfasst auch technische Innovationen zur Energieeinsparung“, machte acatech Präsident Jan Wörner deutlich. Zudem brauche es flexiblere Lösungen, um den sich verändernden Bedürfnissen gerecht zu werden. Das klassische Einfamilienhaus mit relativ viel Fläche und wenig Volumen sei nicht mehr zeitgemäß, wenn statt einer Familie nur noch die Eltern darin wohnen.
Vom Wissen zum Handeln – aber wie?
Vor dem klimagerechten Bauen stehe die Standortwahl, mahnte Ernst Rauch und nannte als Negativbeispiel das vor rund zwei Jahren von einer Hochwasserwelle überflutete Ahrtal. „Bis auf 34 Häuser wurden alle Gebäude am ursprünglichen Standort wieder aufgebaut“, bestätigte auch Moderatorin Renate Bleich von der Münchener Rück Stiftung. Der Chefklimatologe von Munich Re beklagte die häufige Diskrepanz zwischen Taten und Fakten. „Wir müssen angesichts des Klimawandels umdenken und neue Lösungen für altbekannte Probleme finden, da sind wir noch nicht angekommen.“ Versicherer können durch die Gestaltung ihrer Policen nur einen kleinen Beitrag zum klimaangepassten Wiederaufbau leisten. Die weitaus größeren Hebel finden sich woanders. Standortaufgaben und Ausweisung von neuen, sicheren Bauflächen sind durchaus möglich, wenn Politik und Kommunen das wollen. Das zeigen die Umsiedlungsprogramme beim Kohletagebau. Im Endeffekt ist es eine Frage der Prioritäten. Und risikobewusstes Handeln hat auf vielen Ebenen noch nicht den Stellenwert, den es eigentlich haben müsste.
Mit mehr und besserer Aufklärung über Risikovermeidung und Prävention in den Medien könnte man versuchen, die Menschen aufzurütteln und zu mehr Vorsorge zu bewegen, auch wenn laut Michael Außendorf der Gestaltungsspielraum in einer Mietwohnung begrenzt ist. Durch die Einflussnahme auf Abgeordnete im eigenen Wahlkreis oder das Engagement in Nichtregierungsorganisationen hat die einzelne Bürgerin und der einzelne Bürger aber durchaus Möglichkeiten, die Politik in die richtige Richtung zu lenken. „Man darf sich als Einzelner nicht machtlos fühlen. Entscheidungen werden getroffen, wenn die Gesellschaft hinter der Politik steht. Da bin ich sehr optimistisch“, zeigte sich Ernst Rauch überzeugt.
Der Beitrag wurde vom Kooperationspartner Munich Re Foundation verfasst und ebenfalls veröffentlicht.
Eindrücke der Veranstaltung
Fotos: Oliver Jung/Munich Re