Wetterextreme und Klimarisiken – Müssen nun Gerichte den Klimaschutz beschleunigen?
München, 12. Dezember 2023
2023 war das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, die Schäden durch Wetterextreme nehmen global zu. Doch kann man einzelne Unwetterkatastrophen dem Klimawandel zuschreiben und bestimmte Unternehmen und Organisationen oder Staaten dafür juristisch belangen? Sind Klimaklagen also ein Mittel, um den Klimawandel aufzuhalten? Mit diesen Fragen setzten sich die Experten am 5. Dezember bei acatech am Dienstag intensiv auseinander. Es fand in Kooperation mit der Munich Re Foundation statt.
Der Klimawandel beschäftigt zunehmend die Gerichte. Das prominenteste Urteil stammt vom Bundesverfassungsgericht aus dem Jahr 2021, wie Martin Schulte vom Institut für Internationales Recht an der TU Dresden erläuterte: „Ich halte die Entscheidung für richtungsweisend, weil sie eindeutige Zielvorgaben für den Klimaschutz gemacht hat.“ Ebenfalls für Aufsehen habe das Ende November 2023 veröffentliche Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg gesorgt, das die Bundesregierung zu mehr Klimaschutz im Gebäude- und Verkehrssektor verpflichtet. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wiederum ist eine Klimaklage anhängig, bei der sechs junge Portugiesinnen und Portugiesen die Europäische Menschenrechtskonvention verletzt sehen.
Verfassung gibt Richtung vor
Doch ist der Weg zu mehr Klimaschutz über Gerichtsurteile überhaupt zielführend? „In unserer Verfassung sind die Aufgaben relativ klar verteilt: Klimaschutz ist primär Sache des Gesetzgebers“, machte Martin Schulte deutlich. Denn Entscheidungen zum Klimaschutz seien häufig mit Eingriffen in die Berufs- oder Eigentumsfreiheit und damit mit grundrechtsrelevanten Problemen verbunden. Nach der vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Wesentlichkeitslehre müsse der Gesetzgeber staatliches Handeln in solchen grundlegenden Bereichen durch ein förmliches Gesetz legitimieren, die wesentlichen Entscheidungen also selbst treffen, so der Professor.
Die Gerichte kämen dann ins Spiel, wenn das geltende Recht auslegungsfähig sei und Ansatzpunkte biete, um bestimmte Wertvorstellungen zu transportieren. Diese sogenannte richterliche Rechtsfortbildung sei zulässig, wenn ein Gesetz eine planwidrige Lücke aufweise. „Unzureichender Klimaschutz ist aber keine planwidrige Gesetzeslücke, sondern einzig und allein auf politische Versäumnisse zurückzuführen und muss in erster Linie auf politisch-parlamentarischer Ebene artikuliert und bearbeitet werden“, argumentierte Martin Schulte. Da das OVG Berlin-Brandenburg dies offensichtlich anders sieht, würde den Professor eine Revision gegen das Urteil nicht überraschen. „Dann würde es bis zu einer letztinstanzlichen Entscheidung eine Weile dauern. Ob diese dann so ausfällt, wie sich die Kläger das vorstellen, ist fraglich“, vermutet er. Allerdings gebe es durchaus in der Rechtswissenschaft Stimmen, die diese Art der innovativen Klimajustiz des OVG befürworten, weil nur so der Klimaschutz vorangebracht werden könne. Das Fazit von Schulte: „Klimaschutz bleibt Sache des Gesetzgebers, aber er muss die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umsetzen. Da fehlt es in vielerlei Hinsicht.“
Wem stehen in Deutschland bzw. der EU welche rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung, um die Erfüllung von Klimazielen durchzusetzen?
Martin Schulte im Interview zur Frage: Wem stehen in Deutschland bzw. der EU welche rechtlichen Möglichkeiten zur Verfügung, um die Erfüllung von Klimazielen durchzusetzen?
Attributionsforschung mit großen Unsicherheiten
Dass der Klimawandel eine Rolle bei den zunehmenden Extremwetterereignissen spielt, daran besteht in der Wissenschaft kein Zweifel. Inwieweit jedoch einzelne Ereignisse auf den globalen Temperaturanstieg zurückzuführen sind, ist nach wie vor höchst unsicher. „Die Attributionsforschung, die sich mit dem Thema befasst, hat beispielsweise herausgefunden, dass die Überschwemmungskatastrophe im Ahrtal vor zwei Jahren durch den Klimawandel um den Faktor 1,2 bis 9 wahrscheinlicher geworden ist“, erklärte Tobias Grimm, Head of Climate Advisory and NatCat Data bei Munich Re. Bei den versicherten Schäden durch Naturkatastrophen, die im Durchschnitt etwa ein Drittel der weltweiten gesamtwirtschaftlichen Schäden ausmachen, sei der Trend aber eindeutig. „Seit 2017 wurde in fünf von sechs Jahren die Marke von 100 Milliarden Dollar überschritten oder die Schäden lagen nahe dran. Das hat es in der Vergangenheit nicht gegeben“, stellte Tobias Grimm fest. Wesentlicher Schadentreiber seien die Hurrikane in den USA, die tendenziell stärker und regenreicher würden.
Lassen sich einzelne Extremwetterereignisse eindeutig auf den Klimawandel zurückführen?
Tobias Grimm im Interview zur Frage: Lassen sich einzelne Extremwetterereignisse eindeutig auf den Klimawandel zurückführen?
Trotz der höheren Schäden, die sich in bestimmten Regionen in drastisch steigenden Preisen für Versicherungspolicen niederschlagen, ist es um das Risikobewusstsein in der Bevölkerung nicht besonders gut bestellt. „Menschen können mit Wahrscheinlichkeiten nicht umgehen“, führte Ortwin Renn zur Begründung an. Er ist Mitglied im acatech Präsidium und war lange Zeit als Direktor am Forschungszentrum für Nachhaltigkeit – Helmholtz-Zentrum Potsdam tätig. Der Risikoforscher zitierte das Ergebnis einer Umfrage, wonach 95 Prozent der Menschen sagen, der Klimawandel existiere, 75 Prozent ihn für menschgemacht hielten, aber nur 30 Prozent sich persönlich betroffen sähen. Das Dilemma sei: Wer Klimaschutz betreibt und seinen CO2-Fußabdruck verringere, muss sich einschränken, sieht aber unmittelbar keine positiven Effekte in seiner direkten Umgebung.
Mehr Ehrlichkeit, mehr Partizipation
Zudem sei zu viel Alarmismus kontraproduktiv, denn: „Katastrophenrhetorik lähmt.“ Stattdessen sollte man mit den Bürgerinnen und Bürgern ehrlich die Belastungen ansprechen und aufzeigen, wie sich die Welt nach Jahrzehnten der Transformation zum Besseren entwickeln könnte. „Die Aussicht auf eine zukunftsfähige Gesellschaft für nachfolgende Generationen kommt mir in der Diskussion zu kurz“, kritisierte Ortwin Renn. „Man kann Politik nicht aus dem Elfenbeinturm heraus verordnen, sondern muss die Bevölkerung mitnehmen“, ergänzte Munich-Re-Experte Tobias Grimm. Ortwin Renn spricht sich beim Klimaschutz neben der Vergabe von Verschmutzungsrechten, also CO2-Zertifikaten, auch für Absprachen im Sinne von mehr Partizipation aus, wie etwa bei Energiegenossenschaften. Diese Genossenschaften setzen in einer überschaubaren Gruppe freiwillig auf mehr Erneuerbare Energien, ohne dass es zu größeren Protesten kommt, wie sie bei einer Verordnung von oben häufig der Fall sind.
Zentrale Lehre für Beteiligung der Gesellschaft aus den Polykrisen?
Ortwin Renn im Interview zur Frage: Zentrale Lehre für Beteiligung der Gesellschaft aus den Polykrisen?
Einen Beitrag, um die Welt rascher zu dekarbonisieren, kann auch die Rückversicherungsbranche leisten, indem sie etwa die Grenzen der Versicherbarkeit neu auslotet. „Unsere Lösungen für Leistungsgarantien bei Windkraftanlagen oder Solarparks bieten die nötige Sicherheit, um in den Aufbau neuer Energiesysteme zu investieren“, erläuterte Tobias Grimm. „Ich hoffe, dass wir die Transformation schaffen, bevor sie uns aufgezwungen wird. Denn wenn wir die nicht schaffen, haben wir keine gute Zukunft“, befürchtet Ortwin Renn. Auch wenn ihn die weiter steigenden CO2-Emissionen eher pessimistisch stimmen, sei kollektiver Optimismus Bürgerpflicht. „Denn um etwas zu tun, brauchen wir die Zuversicht, dass es besser werden kann.“ Die Wege, möglichst viele Akteurinnen und Akteure zu mehr Klimaschutz zu bewegen, sind also höchst unterschiedlich. Die Erwartung, dass Gerichte den Klimaschutz beschleunigen können, trifft aber laut Rechtsexperten wie Martin Schulte nur sehr bedingt zu.
Der Beitrag wurde vom Kooperationspartner Munich Re Foundation verfasst und ebenfalls veröffentlicht.
Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und ist hier im Video auf der Homepage der Munich Re Foundation zu sehen.
Eindrücke der Veranstaltung
Fotos: Oliver Jung/Munich Re