Food for thought – die Zukunft der Ernährung neu denken
München, 7. Februar 2024
Energiewende, Demografischer Wandel, Ressourcenverknappung, weltweite Krisen und Konflikte – die Gestaltung eines zukünftigen Ernährungssystems muss zahlreiche Einflüsse einbeziehen, um für die kommenden Generationen resilient und nachhaltig zu funktionieren. Aber welche technologischen Entwicklungen können dabei helfen, nachhaltige Lösungsszenarien umzusetzen?
So vielfältig die Fragestellungen an Food Systems sind, so zahlreich sind auch die globalen Herausforderungen, mit denen die Ernährung zukünftig konfrontiert sein wird. Diese anspruchsvolle Ausgangslage machte acatech Präsident Jan Wörner bereits in seinem Grußwort zur acatech Themenkonferenz Food Systems im Münchner Amerikahaus deutlich.
„Die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen sind wichtige Orientierungspunkte, die für die Ausrichtung und Gestaltung von Food Systems eine Rolle spielen. Aber auch die technischen Aspekte sind entscheidend. Gerade, wenn es darum geht, wie Konzepte zum Ausbau von Nachhaltigkeit, Resilienz und Versorgungssicherheit in den Food-Markt gelangen können. Hier kann acatech unterstützen, mit gemeinsamen Projekten den Transfer zu beschleunigen und damit den Weg zu einem zukunftsgerechten Ernährungssystem einzuschlagen“, so Jan Wörner.
Hier BR-Podcast zur Themenkonferenz Food Systems anhören:
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„Wir sollten über Themennetzwerke hinweg denken und agieren.“
Neue Nutzpflanzen, neue Konzepte zur Landnutzung, neue Lebensmittelrohstoffe – und nicht zuletzt neue Technologien: Das sollte künftig im Mittelpunkt bei der Entwicklung eines Ernährungssystems stehen. Ein wichtiger Punkt, um in die Anwendung zu kommen: Wie kann es allen Akteuren im Ernährungssystem gelingen, interdisziplinär zusammenzuarbeiten? Also zunächst auf die wichtigsten Aufgabenbereiche zu fokussieren, diese klar aufzuteilen und dann zu orchestrieren.
„Wir wollen alle an Bord bringen und gemeinsam die Zukunft der Ernährung gestalten.“
Zum Auftakt skizzierte Daniela Lüth, DG Research European Commission, die europäische Perspektive auf Ernährungssysteme. Food 2030, der forschungs- und innovationspolitische Rahmen der EU, soll definieren, wie Forschung im Ernährungssystem aussehen kann. Ihre Strategie: Alle Faktoren einzubeziehen, die Einfluss auf Food Systems haben. Nicht nur Gesundheit spiele eine Rolle, auch Klimaneutralität, Zirkularität und Innovationen auf lokaler Ebene seien wichtig, so Daniela Lüth.
Ein Werkzeug dafür, Menschen direkt in diese Transformation einzubeziehen: Living Labs, also Reallabore, die auf lokaler Ebene die Bürgerinnen und Bürger in den Prozess integrieren.
Wichtig sei es hier, verständlich und nachvollziehbar zu kommunizieren – in der Schule und in allen weiteren Lebensbereichen auch. Nur so lasse sich die Akzeptanz der Zugewinne durch Veränderungen im Ernährungssystem unterstützen.
„Wir müssen das Undenkbare mitdenken.“
Als bestimmendes Hauptelement und Fundament aller Szenarien der Ernährungsversorgung seien Technologien zum Wassermanagement von zentraler Bedeutung. Aber auch Maßnahmen zur Verbesserung der Bodenqualität oder alternative Rohstoffquellen spielen als Bausteine für resiliente Ernährungsstrategien eine Rolle.
Insgesamt bedürfe es einer neuen Phase von Strategieprozessen für die Ernährungswirtschaft, so Andrea Büttner. Entscheidend sei die Frage, für was die Akteure gemeinsame Strategien entwickeln müssen – über Institutionen und Ministerien hinweg.
„Nachhaltig ist es, in Innovationen für Lebensmittel
zu denken.“
Thomas Becker, Professor für Brau- und Getränketechnologie an der TU München, rückte Lebensmittel in einen materialwissenschaftlichen Kontext. Eine große Rolle spielte dabei, wie bei künftigen Lebensmitteln die Textur möglichst authentisch natürlichen Vorbildern nachempfunden werden kann. Mithilfe neuer technologischer Verfahren wie 3-D-Printing oder Elektro-Spinning können fibrilläre Strukturen erzeugt werden, die beispielsweise jenen eines Steaks ähneln.
Insgesamt sprach er sich für einen generellen Ausbau der Innovationsoffenheit aus, um die Herausforderungen eines zukunftsgerechten, resilienten Ernährungssystems zu meistern. Denn Food-Resilienz sei auch gleichbedeutend mit zivilem Frieden, so Thomas Becker. „Lasst uns an Lebensmitteln und Technik forschen“, lautete sein Appell für die Akzeptanz von Lebensmittelinnovationen und neuen Produktionsverfahren.
Gemeinsam Initiativen gestalten
True Costs – und was ist mit den True Benefits?
Justus Wesseler, Professor für Agricultural Economics and Rural Policy an der Wageningen University & Research, zeigte, in welchem Maßstab Lebensmittel bei Berücksichtigung produktionsbedingter Folgekosten für Umwelt und Gesellschaft eigentlich bepreist sein müssten. Dabei reichte die Bandbreite bei konventionellen Produkten von +28% für pflanzliche bis hin zu +196% für tierische Lebensmittel, bei biologisch erzeugten Produkten schrumpft diese Spanne auf +6% (pflanzlich) bis +86% (tierisch).
Die Herausforderung, True Costs zu berechnen, seien aber groß, so Justus Wesseler. Neben unterschiedlichen Ansichten zu Nachhaltigkeit, Kosten für die Anpassung in der Produktion von Lebensmitteln sowie den fixen Kosten führte er das Thema Transparenz ins Feld. Denn ein häufiger Fehler im Umgang mit True Costs sei es, dass die True Benefits oft nicht mit eingepreist werden.
Bezahlbar und gesund – der Faktor soziale Nachhaltigkeit
Bei den einzelnen Faktoren einer gesunden Lebensmittelumwelt – , die einen großen Einfluss auf die Ernährungsqualität hat – zeigten sich deutliche Verbesserungspotenziale. So sei die Implementierung von Maßnahmen für eine gesunde Lebensmittelumwelt in Deutschland im europäischen Vergleich in vielen Punkten noch ausbaufähig.
Treibhausgas-Emissionen in der Landwirtschaft verringern
Aus der Industrie hatte Matthias Wiemann von DSM-Firmenich ein anschauliches Beispiel für Innovationen zur Steigerung der Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft dabei. Sein Ansatz: Ein Futterzusatzstoff, der den Methan-Ausstoß von Kühen verringert.
Bei Kühen könnte so der Methan-Ausstoß um 30% reduziert werden, bei Mastrindern sogar um 45%, so Matthias Wiemann. Die Mehrbelastung pro erzeugtem Liter Milch bezifferte er mit einem Cent pro Liter Milch.
„Wichtig ist, dass wir klar und schnell auf der Gesetzesebene sind.“
Die technologischen Herausforderungen im Bereich New Food seien zwar groß, noch bedeutender schätzte Matthias Hobbie aber die gesetzlichen Rahmenbedingungen ein. Diese müssten klar und transparent sein. Nur so ließen sich Investitionen von Unternehmen und Instituten fördern, die die kreative Arbeit von heimischen Start-ups ermöglichen.
Interagieren und diskutieren auf Themeninseln und Podiumskussion
Im Anschluss konnten die Teilnehmenden die Eindrücke aus den Impulsvorträgen vertiefen. Dazu gingen sie auf interaktiven Themeninseln zu den Bereichen ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit in einen direkten Austausch mit den Vortragenden.
In der anschließenden, von Martina Schraudner (TU Berlin / Wissenschaftliche Leiterin Fraunhofer CeRRI) moderierten Podiumsdiskussion wurden die Erkenntnisse dann im Dialog mit allen Teilnehmenden diskutiert. Dabei zeigte sich trotz der vielfältigen Themenbereiche und Lösungsansätze deutlich: Die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen klar in den Mittelpunkt gestellt werden, wenn es darum geht, den Weg zu einem nachhaltigen und resilienten Ernährungssystem zu beschreiten.
Eine weitere Erkenntnis: Technikwissenschaften können eine zentrale Rolle dabei übernehmen, das Ernährungssystem in der Transformation zu mehr Nachhaltigkeit, Resilienz und Souveränität zu unterstützen. acatech nimmt das Signal aus der Themenkonferenz Food Systems auf, um sich in diesem gesellschaftlich und wirtschaftlich bedeutenden Themenbereich künftig durch wissenschaftsbasierte Beratung stärker zu engagieren.