Zwischen Innovation und Verantwortung – Perspektiven der Bioökonomie
Tutzing, 19. Oktober 2020
Die Bioökonomie ist Hoffnungsträger und Zankapfel zugleich. Sie beschreibt eine Ökonomie, die sich am natürlichen Stoffkreislauf orientiert und die Umwelt schont: Reifengummi aus Löwenzahn, Biosprit aus Abfall, Fleisch ohne Schlachthöfe sind Beispiele. Doch wie lassen sich Zielkonflikte zwischen Teller und Tank oder auch zwischen Ertrag und Artenschutz vermeiden? Ist Fleisch aus dem Labor eine appetitliche Vorstellung? Finden Synthetische Biologie und CRISPR/Cas Akzeptanz? Die Diskussion „Innovation und Verantwortung“ am 4. und 5. Oktober in Tutzing bewegte sich im Spannungsfeld zwischen Möglichkeiten, gesellschaftlicher Akzeptanz und Verantwortung.
Die Bioökonomie beschreibt eine Wirtschaft, die Nachhaltigkeit erhöhen möchte, indem sie nachwachsende, biologische Ressourcen zur Basis unserer Wirtschafts- und Stoffkreisläufe macht. Bioökonomie lässt sich jedoch nicht allein auf Basis technologischer und ökonomischer Aspekte verstehen und bewerten. Wie lassen sich technische Innovation und Wettbewerb mit Nachhaltigkeit und Ernährungssicherheit vereinbaren? Wie lassen sich Zielkonflikte und unbeabsichtigte gesellschaftliche und ökologische Folgen frühzeitig erkennen und vermeiden?
Hier gibt es höchst unterschiedliche Antworten: Einige fordern von den Bürgern vor allem einen Wandel ihrer Konsumgewohnheiten. Andere vertreten die These, dass ohne technischen Fortschritt, Wachstum und Verstädterung keine humane und ökologische Zukunft möglich ist. Für die Entkoppelung von Wachstum, Wohlstand und Ressourcenverbrauch gibt es unterschiedliche Ansätze. Manche Anhänger der Bioökonomie argumentieren, dass nicht die Abkopplung von der Natur, sondern die technisch ermöglichte, bessere Einpassung der Wirtschaft in natürliche Kreisläufe und Organisationsprinzipien das Ziel sein müsse.
Bessere Alternativen statt Verzicht?
Die Bioökonomie ziele auf das Schließen von Stoffkreisläufen, um soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit zu erhöhen, sagte Jürgen Eck zu Beginn seines Vortrages. Der Biochemiker ist Mitgründer des mittelständischen Biotechnologieunternehmens Brain Biotech AG. Rohstoffinhaber seien lange Zeit Gewinner des Wirtschaftssystems gewesen. Immer stärker nehmen nach seinen Worten Technologieinhaber diese Rolle ein. Er betonte, dass alle Industriebereiche von der Bioökonomie erreicht werden können, eine Markbegrenzung gebe es nicht. 60 Prozent aller derzeit weltweit genutzten Stoffe könnten durch biotechnologische Prozesse hergestellt werden. Die Bioökonomie eröffne alternative Herstellungsprozesse, für die nicht das Produkt geändert werden müsse, sondern nur die Herstellungsweise – basierend auf nachwachsenden Rohstoffen. Als Beispiele nannte Jürgen Eck moderne Waschmittel, die statt erdölbasierter Tenside Enzyme verwenden, und Isomalt, einen Zuckeraustauschstoff, der synthetisch-enzymatisch aus der Saccharose des Rübenzuckers hergestellt wird. Seine Vorteile: Isomalt hat nur halb so viele Kalorien wie herkömmlicher Zucker und löst kein Karies aus.
Von Erbgutveränderungen zu Innovationsräumen
Detlef Bartsch, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Berlin, sprach über die Mutagenese, also die Erzeugung von Veränderungen im Erbgut von Lebewesen. Sie wird in der biologischen und medizinischen Forschung sowie in der Züchtung genutzt, um erwünschte Eigenschaften zu erreichen. Traditionell werden solche Veränderungen per Zufallsprinzip herbeigeführt, indem man Organismen Chemikalien oder auch Strahlung aussetzt. Mitte der 1970er Jahre folgte dann die klassische Gentechnik, die bereits deutlich präzisere Eingriffe erlaubte, indem spezifische Abschnitte des Erbguts durch Erbinformationen anderer Organismen ersetzt werden. Seit etwa 2010 gibt es neue Techniken, wie das Genome Editing, das zielgenau einzelne Teile des Erbguts von Viren Bakterien, Pflanzen und Tieren verändert. Die Geschichte der Eingriffe des Menschen in die Natur ist also lang und lässt sich als Entwicklung hin zu immer zielgerichteteren, punktgenaueren Eingriffen beschreiben.
Von der Biologie zur Innovation – mittels Design Thinking
Doch wie lassen sich Entwicklungen der Biowissenschaft mit Blick auf ihre ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen in sinnvolle und erfolgreiche Innovationen überführen? Julia von Thienen, Hasso Plattner Institut Universität Potsdam, stellte die Methode des „Design Thinking“ vor. Dieser Ansatz zur Innovationsentwicklung werde methodisch von grundlegenden menschlichen Werten geleitet, sagte sie. Der Raum, das heißt die Umgebung, in der die Menschen arbeiten, habe dabei einen erheblichen Einfluss auf ihre Kreativität. So habe sowohl die Natur einen förderlichen Einfluss auf kreatives Arbeiten als auch Städte und virtuelle Räume. In vielen Fällen seien es nach ihren Worten Probleme vorausgegangener Erfindungen, die neue Kreativprozesse und Erfindungen anstoßen. Oftmals ergäben sich Probleme bezogen auf Werte, wenn diese im Kreativprozess nicht verfolgt worden seien.
Was die Deutschen über Bioökonomie denken
Jürgen Hampel, Universität Stuttgart, stellte Ergebnisse des repräsentativen TechnikRadar über Einstellung der Deutschen zur Bioökonomie vor. Die Umfrageergebnisse zeigen, dass die Ziele der Bioökonomie (wie Kreislaufwirtschaft und Nutzung nachwachsender Rohstoffe), unter den Deutschen auf große Zustimmung stoßen. Ebenso sehen sich die Befragten bei Umweltfragen in der Verantwortung. Jedoch zeigt das TechnikRadar auch ein verbreitetes verklärt romantisches Bild der Natur, was zu Nutzungskonflikten führt, so Hampel. So stimmt dem TechnikRadar zufolge jeder zweite Befragte (50,7 Prozent) der Aussage „sehr stark“ oder „eher“ zu, dass die „konsequente Verwertung der Natur durch den Menschen verwerflich“ sei. Wenn jedoch gefragt wird, ob beispielsweise „der private Autoverkehr in Zukunft stark eingeschränkt werden sollte“ (lediglich 33,4 Prozent dafür), oder ob „der Staat die Menschen zu einem umweltgerechten Handeln zwingen sollte“ (lediglich 34,7 Prozent dafür), dann schwindet die individuelle Bereitschaft. Zudem sei die Bereitschaft auf individuellen Verzicht in der Bevölkerung nicht sehr ausgeprägt. Grüne Gentechnik werde von einer Mehrheit (57,5 Prozent) der Befragten abgelehnt, ebenso jedoch auch die traditionell vorherrschende Mutagenesezüchtung (61,1 Prozent), die durch Bestrahlung oder Chemikalien Mutationen im Erbgut von Nutzpflanzen auslöst.
Was bringen Smart Farming und Digitalisierung der Landwirtschaft?
acatech Mitglied Hans-Georg Frede von der Justus-Liebig-Universität Gießen gab mit seinem Vortrag Einblicke in die Sensorsteuerung in der Landwirtschaft und in die Nutzung autonomer Feldroboter. Sie ermöglichen eine zentimetergenaue Düngung und Unkrautbekämpfung, sodass Landwirte mit viel weniger Düngemittel und Pestiziden auskommen. Die Umweltfolgen der Landwirtschaft werden auf diese Weise reduziert. Er zeigte, wie Pflanzenschutz mittels Drohnen funktioniert. Auch diese Technik wirft neue Fragen auf, insbesondere zu Datenschutz, Datensicherheit und Datenhoheit. Er wies darauf hin, dass die Digitalisierung zwar einen erheblichen Beitrag zu einer nachhaltigen Landwirtschaft leiste. Sie sei aber nicht die Lösung aller Probleme. Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft bedeute ein Gleichgewicht von ökonomischer Tragfähigkeit, gesellschaftlicher Akzeptanz und ökologischer Ausgewogenheit. Das Ziel lasse sich nicht allein mit neuen Technologien erreichen, es komme ebenso auf ein Umdenken aller gesellschaftlicher Gruppen an und auf entsprechende politische Rahmenbedingungen.
Über die Ethik Bioökonomie-Innovation
Markus Vogt, Lehrstuhl für Christliche Sozialethik der Ludwig-Maximilians-Universität München, beschrieb den Weg zu einer Ethik in der Bioökonomie. Bioökonomie bedarf einer ethischen Basis, die den Innovationen Richtung und Maß gibt. Er beschrieb die Bioökonomie als ein Gesamtkonzept, das orientiert ist an Nachhaltigkeitszielen. Die Bioökonomie wird konkret daran zu messen sein, wie sehr sie fruchtbare Böden und sauberes Wasser, Wälder und ein stabiles Klima als elementare Güter schützt.
Konzipiert und moderiert wurde die Veranstaltung von Marc-Denis Weitze, acatech Geschäftsstelle, und Stephan Schleissing, Institut Technik – Theologie – Naturwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München. Sie bekräftigten, dass Bioökonomie wichtige Chancen in Bezug auf Nachhaltigkeit bietet. Diese kann aber nur zum Erfolg geführt werden, wenn Wissenschaft, Technik, Unternehmen und Landwirtschaft gemeinsam mit Gesellschaft und Politik wirken, wenn neue Produkte und Verfahren von den Konsumenten angenommen werden, wenn sich Lebensstile und Konsumgewohnheiten verändern und sich die Industrie entsprechend wandelt. Tagungen wie diese ermöglichen die dazu notwendigen Diskussionen unter den Beteiligten.
Experten im Interview mit acatech:
Prof. em. Dr. Hans-Georg Frede, ehemaliger Leiter des Instituts für Landeskultur bzw. der Professur für Ressourcenmanagement, Justus-Liebig-Universität Gießen
Veröffentlicht am 19. Oktober 2020
Dauer: 1 Minute 51 Sekunden
Prof. Dr. Markus Vogt, Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München
Veröffentlicht am am 19. Oktober 2020
Dauer: 2 Minuten 16 Sekunden