acatech am Dienstag: Die Digitalisierung verändert die Arbeit bereits heute radikal
München, 6. Juli 2016
Die Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung hat lange begonnen, wird aber in ihrer Radikalität und Geschwindigkeit in Deutschland vielfach unterschätzt. Dies geht aus der Diskussion „acatech am Dienstag“ am 5. Juli im acatech FORUM in München hervor. Dort diskutierten Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Automobilindustrie und Start-up-Szene.
Tanja Schwarzmüller, Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strategie und Organisation der Technischen Universität München (TUM), Simon Werther, Gründer und CEO von HR-instruments und Inga Jürgens, Leiterin Personalpolitik und -strategie der BMW Group zeichneten ein Bild der zukünftigen Arbeit: Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden in Zukunft mehr Mitsprache, Einfluss und Gestaltungsräume haben. Neue Formen der Arbeitsorganisation und mehr Flexibilität – beispielsweise durch Home-Office – erleichtern die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Die Digitalisierung bringe aber auch mehr Eigenverantwortung, eine höhere Arbeitsintensität und mehr Wettbewerb untereinander.
Eine Grundlage der Diskussion bildete der kürzlich erschienene acatech Impuls „Die digitale Transformation gestalten“. Er präsentiert ein Stimmungsbild aus dem acatech Human-Resources-Kreis, in dem Personalvorstände gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über die Arbeit der Zukunft beraten. Freelancertum, Selbständigkeit und Projektarbeit seien Beschäftigungsformen, die in Zukunft erheblich an Bedeutung gewinnen werden, bilanziert Thomas Lange, Leiter des Themenschwerpunkts Bildung und Fachkräfte bei acatech. In allen Branchen würden sich die Geschäftsmodelle in den kommenden fünf Jahren radikal verändern. Thomas Lange: „In der Folge werden sich Unternehmen nach innen vollkommen neu aufstellen müssen. Künftige Herausforderungen für die Arbeitswelt sind: Agilität in der Arbeitsorganisation fördern, Pluralität nutzen, nicht nur tolerieren, Mitbestimmung modernisieren und organisationale Ambidextrie managen, das heißt gleichzeitig alte Geschäftsmodelle optimieren und Experimentierräume für neue Geschäftsmodelle schaffen.“
In einer Studie des Lehrstuhls für Strategie und Organisation der TU München wurden Digitalisierungsexperten in Unternehmen befragt: Diese „sehen vielschichtige Veränderungen auf Arbeitnehmer zukommen“, resümierte Tanja Schwarzmüller. „Das Arbeitstempo wird schneller, die Komplexität der Aufgaben nimmt zu, der Grad der Technisierung wird erhöht und die Zusammenarbeit zwischen Mensch und intelligenter Maschine wird selbstverständlich.“
„Viele Kriterien, die die Veränderung der Arbeit bestimmen werden, sind heute noch offen“, sagte Simon Werther. „Denn die digitale Vernetzung ist kein Abbild bisheriger Prozesse, sondern etwas völlig neues.“ Sie erhöhe einerseits die Präsenz im Unternehmen, weil sie auch die virtuelle Anwesenheit ermöglicht. Zugleich erhöhe sie die Absenz – Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien seltener persönlich vor Ort. Die digitale Vernetzung werfe in der Arbeitswelt spannende Fragen von Freiheit und Disziplin auf, verändere den Wissens-Transfer in Unternehmen: „Herrschaftswissen des Managements wird verloren gehen, Top-down war gestern, Bottom-up im Sinne von Demokratisierung und Partizipation werden sich zunehmend etablieren.“
Inga Jürgens von der BMW AG betonte, dass die neue Arbeitswelt die Menschen mitnehmen müsse, von denen viele keine Digital Natives seien. Sie betonte jedoch die Chancen, die in der Digitalisierung steckten: „Wir haben ein Gebäude komplett umgebaut und arbeitsorganisatorisch neu gestaltet. Moderne Bürokonzepte mit Desk Sharing ersetzen individuelle Schreibtische, Werkstattflächen ersetzen Meetingräume, damit besprochene Ideen gleich Gestalt gegeben werden kann.“ In der BMW START UP GARAGE würden Konzern- und Start-up-Mitarbeiter zusammenarbeiten. Ein wichtiges Instrument sei das Konzept des „mobilen Arbeitens“. Es werde die Work-Life-Balance verbessern und die Zufriedenheit merklich steigern Und das obwohl dadurch Grenzen zwischen Beruflichem und Privatem verschwimmen können und Regelungen zur Erreichbarkeit einen höheren Organisationsaufwand erforderten, räumte Inga Jürgens ein.