acatech Studie zeigt, wie Finanzierungslücke für Wachstumsunternehmen geschlossen werden kann

München, 27. Juni 2019
Deutschland braucht mehr erfolgreiche und innovative Wachstumsunternehmen. Mit diesem Ziel im Blick haben acatech, KfW und Deutsche Börse in einem gemeinsamen Projekt Akteure aus dem Finanzbereich sowie Vertreterinnen und Vertreter von Hightech-Wachstumsunternehmen, Industrie und Wissenschaft zusammengebracht. Erstmals konnte so ein aussagekräftiges Stimmungsbild in der Szene erhoben werden, das nun in Form einer acatech Studie vorliegt. Die Studie enthält Handlungsoptionen zur Stärkung des Ökosystems für Wachstumsfinanzierung in Deutschland.
In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern reißt die Finanzierungskette für aufstrebende Unternehmen häufig in ihrer Wachstumsphase ab. Zum Vergleich: In Asien werden in dieser Phase im Schnitt pro Wachstumsunternehmen rund 60 Millionen Euro investiert – viermal so viel wie in Europa. Das hat Folgen: Viele betroffene Unternehmen holen sich ihr Kapital von ausländischen Investoren und wandern später vollständig ins Ausland ab.
Damit der Innovationsstandort Deutschland seine gute Wettbewerbsposition halten und ausbauen kann, braucht es hierzulande innovative und erfolgreiche Wachstumsunternehmen. Sie können mit ihren Ideen Märkte tiefgreifend verändern und neue Märkte schaffen. Dabei geht es nicht nur darum, dass in Deutschland „Einhörner“ entstehen, also Start-ups mit einer Marktbewertung von über einer Milliarde US-Dollar. Wie acatech, KfW und Deutsche Börse in einer Studie herausstellen, geht es vielmehr vor allem auch um die Förderung von Hightech-Wachstumsunternehmen, die in Business-to-Business-Märkten (B2B) agieren – denn sie nehmen in innovativen Ökosystemen und für die digitale Transformation der bestehenden Industrie eine entscheidende Rolle ein.
Für die Studie hat acatech erstmalig zentrale Akteure aus der Technologie- und Finanz-Szene zusammengebracht, um ein aussagekräftiges Stimmungsbild zu erheben und gemeinsam Handlungsoptionen für die Wachstumsfinanzierung speziell im Hightech-Bereich zu formulieren. Die Empfehlungen beziehen sich dabei nicht nur auf die Mobilisierung klassischen Wagniskapitals. In den Augen der Autorinnen und Autoren fehlt es in Europa und in Deutschland auch an anderen, alternativen Instrumenten der Außenfinanzierung – insbesondere mit Blick auf geduldiges Kapital, hybrides Kapital und innovatives Fremdkapital. Ebenso erkennen sie vielfältige und noch nicht ausgeschöpfte (Win-win-)Potenziale in der Zusammenarbeit zwischen Wachstumsunternehmen, etablierten Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen.
Konkret haben acatech, KfW und Deutsche Börse acht Handlungsoptionen in drei wichtigen Bereichen herausgearbeitet, darunter:
- Aufbau einer neuen Co-Investment-Plattform für Direktinvestitionen, um geduldiges Kapital zu mobilisieren: Besonders kapital- und wissensintensive Technologien haben häufig lange Entwicklungszeiten. Vom Start der Produktentwicklung bis zum Exit brauchen Hightech-Unternehmen häufig zehn Jahre oder länger. Das klassische Wagniskapitalmodell ist mit seinen inhärenten Anreizsystemen nicht auf solche langen Laufzeiten ausgelegt. Das Potenzial von Unternehmen mit besonders hohem Innovationsgrad bleibt so möglicherweise unausgeschöpft. Ein neuer liquider Markt für Direktinvestitionen in Hightech-Wachstumsunternehmen würde helfen, die kürzeren Anlagehorizonte von Investoren mit dem Bedarf an länger laufenden Finanzierungen zur Realisierung besonders entwicklungsintensiver Geschäftsmodelle in Einklang zu bringen – und auf diese Weise mehr geduldiges Kapital bereitzustellen: Wenn Investoren ihre Beteiligungsanteile auf einem Sekundärmarkt handeln könnten, würde der Druck sinken, ein Unternehmen schnell zum Exit zu führen. Co-Investments ermöglichen zudem deutlich größere Finanzierungsrunden für Wachstumsunternehmen, als sie bislang in Deutschland üblich sind. Operativ könnte eine neue Co-Investment-Plattform die Funktion eines Marktplatzes für Unternehmensbeteiligungen erfüllen: Aktive Leitinvestoren (z.B. hochspezialisierte Wagniskapitalfonds) würden dabei fundierte Einschätzungen/Risikoanalysen über Wachstumsunternehmen beisteuern. Deren Bewertung würde die Basis für den Einstieg weiterer passiver (Co-)Investoren liefern. Dieser Marktplatz wäre eine echte Finanzmarktinnovation und würde gleichzeitig dem Ökosystem für Wachstumsfinanzierung einen entscheidenden Schub verleihen.
- Entwicklung einer Jump-up-Initiative: Ebenso wird in der acatech Studie eine neue Jump-up-Initiative vorgeschlagen, die gezielt Hightech-Wachstumsunternehmen mit etablierten Unternehmen und Top-Wissenschaftlern zusammenbringt, um gezielt gemeinsam an innovativen Lösungen und großen Zukunftsherausforderungen zu arbeiten. Die neue Jump-up-Initiative würde dabei auch die in Deutschland verfügbare Finanzkraft und die technische Expertise zielgerichtet bündeln.
- Aufbau und Stärkung professioneller Entrepreneurship-Center an Hochschulen: Der Aufbau beziehungsweise die Stärkung professioneller Entrepreneurship-Center an Hochschulen im gesamten Bundesgebiet stellt einen wichtigen Baustein dar, um regionale Innovationscluster zu fördern: Besonders erfolgreich sind diese Zentren dann, wenn sie marktnah agieren, aus klassischen Hochschulstrukturen ausgekoppelt sind, eine eigene Rechtsform besitzen und die gezielte Einbindung der Wirtschaft fördern.
- Stärkung der Wagniskapitalszene in Deutschland: Mehr klassisches Wagniskapital ist bei weitem nicht der einzige, aber ein wichtiger Hebel, um das Ökosystem für Wachstumsfinanzierung in Deutschland und Europa zu stärken – denn es führt zu positiven, sich selbst verstärkenden Mechanismen. Hierbei sind die großen Kapitalsammelstellen besonders relevante Akteure: So verwalten die größten Pensionskassen und Versorgungswerke Europas circa sieben Billionen Euro. Weniger als ein Prozent davon würden ausreichen, um den Wagniskapital-Rückstand Europas gegenüber den USA auszugleichen. Eine Lockerung bestehender Anlagerestriktionen, aber auch das Aufzeigen von immer besser werdender Wagniskapital-Investitionsmöglichkeiten in Europa – auch für größere Investitionsrunden – sind hierbei wichtige Schritte in die richtige Richtung. Wagniskapital kann aber auch durch Bündelung der Investitionen anderer institutioneller Anleger, wie Family Offices, Stiftungen und vermögender Privatleute, erfolgen, etwa durch deren Einbindung in die zuvor erwähnte neue Co-Investment-Plattform.
Zitate der Projektleitungen:
Ann-Kristin Achleitner, acatech Präsidiumsmitglied und Leiterin des Projekts:
„Der Mangel an adäquater Wachstumsfinanzierung bleibt eine zentrale Schwäche des deutschen Innovationssystems. Impulse zur Stärkung der Kapitalbildung in der Wachstumsphase würden hierzulande mehr Börsengänge ermöglichen, Investitionen in Unternehmen attraktiver machen und damit eine größere inländische Szene für Venture Capital etablieren. Allerdings, so wichtig das klassische Wagniskapital-Modell ist: nicht alle Finanzierungsbedarfe lassen sich dadurch abbilden. Wir müssen eine Erweiterung der Instrumente zur Außenfinanzierung vorantreiben.“
Reiner Braun, Co-Projektleiter und Inhaber des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance an der TU München:
„Wachstumsunternehmen brauchen einen besseren Zugang zu sogenanntem geduldigerem Kapital, damit sie über einen längeren Atem verfügen und aus komplexen innovativen Technologien auch innovative, disruptive Geschäftsmodelle entwickeln können. Zudem muss eine noch intensivere Zusammenarbeit zwischen etablierten Unternehmen und Wachstumsunternehmen erreicht werden. Vom Wissen und den Ideen der Hightech-Wachstumsunternehmen können Großkonzerne oder KMU gerade beim Vorantreiben der eigenen Digitalisierungsbemühungen profitieren – und zudem leisten die Aufträge einen wichtigen Beitrag zur Innenfinanzierung der Wachstumsunternehmen.“