Argumente für und wider Fracking: Öffentlicher Dialog über technische, wirtschaftliche und regulatorische Aspekte
München, 22. November 2023
Die USA nutzen Hydraulic Fracturing, kurz Fracking, intensiv. Deutschland verzichtet auf die Förderung unkonventioneller Erdgasvorkommen in tiefen Gesteinsschichten. Angesichts hoher Energiepreise nimmt die öffentliche Diskussion zu, ob Deutschland Fracking doch noch einsetzen sollte. Bei acatech am Dienstag erörterten Karen Pittel (ifo Institut, Mitglied des acatech Präsidiums und ESYS-Direktoriums), Hans-Joachim Kümpel (acatech Mitglied, ehemaliger BGR-Präsident) und Matthias Hartung (Wintershall Dea Deutschland GmbH) am 14. November Argumente für und wider eine Nutzung der Technologie in Deutschland.
Die Abendveranstaltung beleuchtete Technik, Sicherheit, wirtschaftliche Perspektiven, regulatorische und juristische Fragen und die Wechselwirkungen mit dem fortlaufenden Umbau der heimischen Energiesysteme. Ebenso erörterten die Diskutanten, wie und wieso Fracking bislang in Deutschland verhindert wurde. acatech Präsident Jan Wörner führte in das Thema ein. Er betonte die Notwendigkeit einer resilienten Energieversorgung: Diversifizierte Liefernetzwerke sollten nach seinen Worten die Energieversorgung unabhängiger machen von einzelnen Quellen und Importwegen. Er formulierte Fragen für die Diskussion: Kann uns Fracking mehr Unabhängigkeit bringen? Wie ist die zeitliche Perspektive? Wie die Klimabilanz?
Was ist Fracking und wo wird es eingesetzt?
Beim Fracking wird unter hohem Druck eine Flüssigkeit („Frac-Fluid“) in einen Untergrund gepumpt. Dies erzeugt Risse, die durch Additive in der verwendeten Flüssigkeit offengehalten werden und durch die in der Gesteinsschicht vorhandenes Erdgas entweichen kann. Fracking wird sowohl in konventionellen als auch nicht konventionellen Lagerstätten eingesetzt. Diese unterscheiden sich in ihren geologischen Eigenschaften:
- Konventionelle Lagerstätten bezeichnen Vorkommen, in denen sich Kohlenwasserstoffe in durchlässigen Speichergesteinen angesammelt haben. Aus ihnen kann Erdgas ohne den Einsatz von Fracking gewonnen werden. Jedoch wird Fracking teilweise auch in konventionellen Lagerstätten genutzt, um wirtschaftliche Förderraten aufrechtzuerhalten. Fracking in konventionellen Lagerstätten kam zu diesem Zweck seit den sechziger Jahren circa dreihundertmal in Deutschland zum Einsatz und ist auch heute nicht verboten. Im Vergleich zu nicht konventionellen Lagerstätten ist hier der Einsatz wegen anderer Verfahrensweisen (zum Beispiel hinsichtlich der Art und Menge der verwendeten Chemikalien) weniger umstritten.
- Der Begriff der nicht konventionellen Lagerstätten ist unscharf und wird nicht einheitlich verwendet. Nicht konventionelle Lagerstätten weisen in der Regel eine sehr geringe Durchlässigkeit auf, sodass es für die Förderung von Gas erforderlich ist, das Gestein aufzubrechen und Risse („Fracs“) zu erzeugen. Fracking ist daher Voraussetzung für die Förderung von Erdgas aus nicht konventionellen Lagerstätten. Zu diesem Zweck wird eine Tiefbohrung in die gasführenden Sedimentschichten vorgenommen und durch Horizontalbohrungen fortgesetzt. Durch die Bohrung wird das Frac-Fluid in den Untergrund gepumpt. Da es sich bei den Gesteinsschichten oft um Schiefer handelt, wird das so geförderte Erdgas oft als „Schiefergas“ bezeichnet.
aus: Gierds, Jörn/Stephanos, Cyril/Erlach, Berit/Fischedick, Manfred/Henning, Hans-Martin/Matthies, Ellen/Pittel, Karen/Renn, Jürgen/Sauer, Dirk Uwe/Spiecker genannt Döhmann, Indra: „Fracking: eine Option für Deutschland? Chancen, Risiken und Ungewissheiten beim Fracking in nicht konventionellen Lagerstätten (Impuls)“, Akademienprojekt „Energiesysteme der Zukunft“ (ESYS), 2023, https://doi.org/10.48669/esys_2023-5, S. 4
Möglichkeiten und Risiken der Fracking-Technologie
Hans-Joachim Kümpel, früherer Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe und acatech Mitglied, hatte an einem acatech Positionspapier zum Thema anno 2015 mitgewirkt. Er führte in seinem Impuls in die Fracking-Technologie ein.
Ebenso schätzte er Möglichkeiten und Risiken des Frackings ein – auch vor dem Hintergrund der neuen Diskussion um Fracking durch den Ausfall russischen Erdgases seit vergangenem Jahr. Ausführlich erörterte er die kontroverse Diskussion über Fracking in Politik und Gesellschaft. Fakten seien hier nicht immer im Vordergrund gestanden. Er verwies auf irreführende Bilder in den Artikeln Rohstoffe und Ressourcen und Für ein Fracking-Verbot in Österreich!: Diese suggerieren nach seinen Worten, dass Gesteinsschichten nahe der Erdoberfläche und vor allem nahe an Grundwasservorkommen gefrackt werden – dabei liege zwischen Fracs und Grundwasser mindestens 1000 Meter Gestein; eine Vermischung von Frac-Flüssigkeit und Grundwasser sei damit ausgeschlossen. Ebenso ging er auf Narrative ein, die nicht immer dem Stand des Wissens entsprochen haben, teils auch bewusst in die Irre führten – beispielsweise die Bilder vom brennenden Wasserhahn. Sein Fazit, wie bereits in der acatech POSITION von 2015: Ein generelles Fracking-Verbot lasse sich auf der Basis wissenschaftlicher und technischer Fakten jedenfalls nicht begründen.
Kann eine nationale Schiefergasförderung die Versorgungssicherheit in Deutschland erhöhen?
Karen Pittel, ifo Institut, Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München, wirkt als acatech Präsidiumsmitglied und Mitglied des ESYS-Direktoriums in den Energieprojekten der Akademien mit. Die Ökonomin hat am ESYS-Papier „Fracking: eine Option für Deutschland? Chancen, Risiken und Ungewissheiten beim Fracking in nicht konventionellen Lagerstätten“ mitgewirkt und stellte in ihrem Impuls die Hauptaussagen vor.
Fracking könnte nach Schätzungen der Wirtschaft sechs bis zwölf Prozent des momentanen Erdgasverbrauchs in Deutschland decken. Es bestehen aber große Ungewissheiten über die Reserven, die durch Fracking mittelfristig gefördert werden könnten, sowie über die Entwicklung der Nachfrage für Erdgas in Deutschland und international. Im Vergleich zum Import von Fracking-Gas aus den USA würden bei einer nationalen Förderung kurzfristig sicherlich weniger CO2-Emissionen entstehen: Der Transport per Schiff und die dafür notwendige Verflüssigung kosten Energie und verursachen damit zusätzliche Emissionen. Zudem entweicht in der Transportkette ein Teil des Erdgases und das darin enthaltene Methan verursacht einen wesentlich stärkeren Treibhausgas-Effekt als CO2. Allerdings sei unklar, ob die durch eine reduzierte Nachfrage Deutschlands auf internationalen Märkten freiwerdende Menge nicht in andere Weltregionen geliefert würde. Der Beitrag von deutschem Fracking zum Klimaschutz, zumal der langfristige, lässt sich laut Karen Pittel entsprechend nicht abschließend bewerten. Auch die von Karen Pittel vertretene ESYS-Gruppe schätzt die Umwelt- und Gesundheitsrisiken als gering ein. Sollte das Fracking-Verbot aufgehoben werden, wäre aufgrund der technisch und rechtlich notwendigen Schritte eine Gasförderung voraussichtlich frühestens in drei bis vier Jahren möglich. Eine nationale Schiefergasförderung würde die Versorgungssicherheit in Deutschland dann mittelfristig erhöhen.
Voraussetzungen für die Investitionsbereitschaft privater Unternehmen
Matthias Hartung von der Wintershall Dea Deutschland GmbH knüpfte an Aspekte der Wirtschaftlichkeit an und thematisierte Voraussetzungen für Investitionsbereitschaft privater Unternehmen: Diese hänge maßgeblich von einer Planungssicherheit ab. Investitionen in Deutschland seien erst dann denkbar, wenn gesellschaftliche Akzeptanz, politischer Wille und ein rechtlicher Rahmen gegeben seien. Denn ohne einen klaren und verlässlichen Rechtsrahmen würden Öl- und Gasunternehmen weiterhin nicht die umfassenden Investitionen tätigen, die über viele Jahre hinweg notwendig sind, um das mögliche Potenzial des heimischen Schiefergases zu nutzen. Vielleicht könne man von der Windkraft lernen, schilderte Hartung: Auch hier habe es Akzeptanzschwierigkeiten gegeben, weil die Nachteile der Anlagen (Veränderung der Landschaft) vor allem in den Kommunen vor Ort lagen. Die Akzeptanz stieg oft unmittelbar, wenn Windkraftanlagen mit einer Art Gewinnbeteiligung oder gesellschaftlichen Beteiligungsformen entstanden, wo also die Gemeinde oder die Landbesitzer mitbeteiligt wurden an dem Unternehmen Windenergie. Solche Public-Private-Partnerships könnten Lösungsansätze bringen, die für alle ein Gewinn sind.
Kann Fracking zum Klimaschutz in Deutschland beitragen?
In der Diskussion, moderiert von Marc-Denis Weitze, acatech Geschäftsstelle, wurde zunächst die Bewertung des Beitrags von Fracking in Deutschland zum Klimaschutz thematisiert: Bei Flüssiggas (LNG), das aus den USA nach Europa importiert wird, entstehen durch Transport und Verflüssigung mehr CO2-Emissionen, hinzu kommt eine vergleichsweise laxe Regulierung in einigen US-Bundesstaaten. In Summe entsprechen die CO2-Emissionen (bezogen auf die Energieeinheit) durch aus den USA importiertes LNG-Gas in etwa denen eines Kohlekraftwerks in Deutschland. Bei Fracking-Gas aus Deutschland lägen diese etwa bei der Hälfte. Karen Pittel betonte, dass die Bilanz im globalen Kontext gezogen werden müsse, nicht nur bezogen auf einzelne Prozesse. Diese Bilanz sei freilich mit vielen Unsicherheiten behaftet. Unsicher sei beispielsweise, ob eine heimische Gewinnung US-Exporte von Fracking-Gas reduzieren oder vielmehr in andere Länder verschieben würde, wo sie dann unter Umständen CO2-intensivere Energieträger ersetzen könnten.
Karen Pittel betonte, dass das ESYS-Papier keine Empfehlung darstelle, sondern auf, wissenschaftlicher und neutraler Basis Möglichkeitsräume auslote und eine Entscheidungsgrundlage darstellen kann. Es werde deutlich, dass eine Grundlage für ein generelles Fracking-Verbot nicht gesehen werde. Und letztlich müsse die Wirtschaft dann über Investitionen in diesem Feld entscheiden.
Akzeptanz von neuen Technologien
Fragen der Akzeptanz (und der Nicht-Akzeptanz) wurden thematisiert: Wie entsteht diese, wie könne mehr Akzeptanz für Fracking entstehen, wenn man sich dafür in Deutschland entscheide? Die aktuell hohen Energiepreise seien sicherlich eine Ursache, dass Fracking nun erneut diskutiert werde. Hans-Joachim Kümpel zeigte jedoch wenig Hoffnung, dass sich das Blatt nochmals wendet. Für ihn sei es nun vordringlich, diese Art des Debatten-Verlaufs, in dem eine sachorientierte Abwägung von Chancen und Risiken kaum möglich ist, in Zukunft zu vermeiden. CCS sei ein weiteres, aktuelles Feld, in dem Falschinformationen schon viel Verunsicherung geschürt hätten.
Matthias Hartung bemerkte, dass neben Fracking und CCS auch die Geothermie bei Fragen der Akzeptanz von Technologie „unter der Erde“ mitzudenken sei. Die benötigten technologischen Kompetenzen seien ähnlich, hängen damit zusammen.
In seinem Schlusswort betonte Jan Wörner als Herausforderung der Technikkommunikation, dass von Interessenvertretern oftmals selektiv informiert und kommuniziert werde. Die interdisziplinäre Diskussion bei „acatech am Dienstag“ ermögliche dagegen, verschiedene Perspektiven zu aktuellen und kontroversen Technikthemen im Dialog zu erörtern.