Dialogreihe #DIGITALESHESSEN: Frauen in der digitalen Gesellschaft – was ändert Corona?

München, 30. November 2021
Die Pandemie beschleunigt den digitalen Wandel – und wirft Fragen der Gleichstellung von Frauen und Männern in der digitalen Gesellschaft auf. Genau darum ging es am 25. November beim fünften Online-Dialog #DIGITALESHESSEN.
Frauen sind in der deutschen Digitalbranche dramatisch unterrepräsentiert. Sie stellen nur etwas mehr als 16 Prozent aller IT-Fachkräfte. Digitale Anwendungen werden noch viel zu oft von Männern für Männer entwickelt. Was muss sich also ändern, damit mehr Frauen MINT-Laufbahnen einschlagen und digitale Technologien prägen? Darüber diskutierte Hessens Ministerin für Digitale Strategie und Entwicklung, Kristina Sinemus, mit Martina Schraudner (acatech Vorstand), Iris Plöger (Hauptgeschäftsführung BDI), Ira Diethelm (Präsidium der Gesellschaft für Informatik) und Verena Brodbeck (Entwicklerin, Mitbegründerin der Techettes, einem Frankfurter Netzwerk für Frauen im Tech-Sektor). Moderiert wurde der Online-Dialog von Hülya Deyneli, Journalistin und Moderatorin der Hessenschau.
Vertrauen stärken, Rollenvorbilder schaffen
„Die IT-Branche und die Informatik sind männlich geprägt“, konstatierte Kristina Sinemus zu Beginn der Veranstaltung. „Wenn wir nicht aufpassen, werden Frauen dadurch benachteiligt“. Dass Frauen deutlich weniger an der digitalen Transformation teilhaben als Männer, liege auch daran, dass Frauen sich selbst nicht genug zutrauen. Bei gleichen Kompetenzen würden sich Männer häufig besser einschätzen. Doch die Ministerin zeigte sich überzeugt, dass Frauen nach der Pandemie eine viel größere Rolle in der Digitalisierung spielen können als bisher. Mit der Initiative „Women Go Digital“ vernetzt das hessische Digitalministerium Frauen in der Digitalbranche, motiviert Schulabgängerinnen für IT-Laufbahnen und schafft Rollenvorbilder, an denen sich Mädchen und junge Frauen orientieren können.
Die digitale Transformation aktiv gestalten
„Frauen sind nicht weniger digitalfähig, sie bewegen sich aber in einem anderen gesellschaftlichen Umfeld“, sagte Martina Schraudner, Leiterin des Fraunhofer Centers for Responsible Research and Innovation (CeRRI). Der Anteil von Frauen in der Digitalbranche müsse deshalb erhöht werden: „Chancen ergeben sich für Frauen dann, wenn sie die digitale Transformation aktiv gestalten“. Das sei auch dringend notwendig, um bessere digitale Angebote zu entwickeln. Mehr Diversität bedeute mehr Kreativität – und führe zu besseren, verantwortlicheren und erfolgreicheren Innovationen. Mehr Frauen in gestaltende Positionen zu bringen, werde aber nur als gesamtgesellschaftliche Aufgabe gelingen.
Bessere Innovationen durch mehr Diversität
Die BDI-Vertreterin Iris Plöger beleuchtete das Thema aus wirtschaftlicher Perspektive: „Der Handlungsbedarf für mehr Frauen in der Digitalwirtschaft ist groß im Wettstreit um digitale Technologieführerschaft und Fachkräfte.“ Strukturelle Effekte wie Digitalisierung, Dekarbonisierung und Demographie würden die Nachfrage nach MINT-Fachkräften erhöhen. Auch deshalb könne Deutschland es sich nicht leisten, auf Frauen zu verzichten. Frauen säßen zudem viel zu selten mit am Tisch, wenn über Zukunftsfragen gesprochen und entschieden wird. Es gehe nicht nur um eine angemessene gesellschaftliche Repräsentation und Teilhabe, sondern auch um den Wirtschaftsstandort Deutschland und seine Innovationskraft. Die Politik müsse Frauen in allen Lebensphasen unterstützen, um mehr Diversität der Digitalwirtschaft zu erreichen.
Das Pflichtfach Informatik für alle Mädchen
Ira Diethelm von der Gesellschaft für Informatik plädierte für das Pflichtfach Informatik für alle Mädchen. Dann ging sie auf kulturelle Prägungen ein: Schon in der Werbung für Technikprodukte würden auf Stereotypen beruhende Rollenbilder vermittelt. Auch das familiäre Umfeld fördere Mädchen und junge Frauen oft in eine andere Richtung. Eltern sollten Töchter ermutigen und sie nicht bewusst oder unbewusst vom Informatikunterricht fernhalten: „Denn nur wer die Systeme versteht, kann sie beherrschen.“ Bundesweit nähmen lediglich 4 Prozent aller Schülerinnen eines Jahrgangs am Informatikunterricht teil. Deshalb müsse mehr Selbstverständlichkeit beim Informatikunterricht für Mädchen erzeugt werden. Darüber hinaus seien Lehrkräfte genderneutral aus- und fortzubilden sowie Stereotype aus Werbung und Schulbüchern zu verbannen.
Interesse wecken und fördern
Verena Brodbeck berichtete zuletzt von ihrer Erfahrung als Frontend-Entwicklerin. Sie sei erst nach einem erfolgreichen Medizinstudium in den Beruf eingestiegen. „Es gibt wahrscheinlich viel mehr digitalaffine Frauen, als Statistiken vermuten lassen“, meinte Verena Brodbeck. „Wir müssen das versteckte Talent und Interesse nur finden und hervorlocken.“ Dafür brauche es positive Vorbilder, überzeugende berufliche Perspektiven und neue Mobilisierungsinitiativen. Auch sie hätte in ihrer Karriere mit Vorurteilen zu kämpfen gehabt. Die Frankfurter Techettes habe sie daher als Plattform für Frauen in der Digitalbranche mitgegründet. Sie wolle anderen Frauen Mut machen, einen ähnlichen Weg wie sie einzuschlagen. Die Pandemie habe dieser Arbeit aber einen Dämpfer versetzt. Es sei im Moment einfach schwerer, andere Frauen zu erreichen.