Die recycelte Stadt – wenn Beton zur Mangelware wird
München, 8. Juni 2021
“Wie Sand am Meer”. Der sprichwörtliche Überfluss natürlicher Ressourcen kehrt sich langsam aber sicher in Mangel. Vor allem Bausand wird knapp, mit weitreichenden Folgen für den wichtigen Bausektor. Es ist höchste Zeit für ein Umdenken, für einen anderen Blick auf Städte und Siedlungen: Wo verbergen sich Rohstoffe und wie lassen sich diese (zurück) gewinnen? Welche Rolle spielen Recycling-Baustoffe heute in der Baupraxis? Unter anderem darüber haben Volker Thome (Fraunhofer IOF), Natalie Essig (Hochschule München) und Elisabeth Merk, Münchener Stadtbaurätin, am 8. Juni bei acatech am Dienstag diskutiert.
acatech Präsident Prof. Dr. Jan Wörner gab sich bei der Begrüßung als Experte zu erkennen. Als Bauingenieur hat er seine angestammte Branche, den Bausektor, fest im Blick: größter Verbraucher von natürlichen Ressourcen, größter Abfallproduzent in Deutschland. Gerade der Sandmangel habe Auswirkungen, die mittlerweile einem Wirtschaftskrimi ähnelten. Seine Botschaft wurde deutlich: Wir müssen endlich Städte und Siedlungen als Rohstofflager nutzbar machen. Beton spielt als wichtigster Baustoff eine zentrale Rolle beim Urban Mining – und stellt gleichzeitig eine große Herausforderung dar.
Das anthropogene Lager:
Sinnvolles Beton-Recycling: Weg vom Downcycling
Volker Thome, der am Fraunhofer-Institut für Bauphysik IBP forscht, erklärte in seinem einführenden Impulsvortrag, wie es gelingen kann, aus bereits verbautem Beton wieder hochwertige sekundäre Rohstoffe zu gewinnen. Derzeit kommen in der Bauindustrie weltweit nur 12,7 Prozent sekundäre Rohstoffe zum Einsatz. Auch der vermeintliche Recycling-Musterschüler Deutschland wird bei genauerem Hinsehen enttarnt: Mehr als die Hälfte der Bauabfälle werden verfüllt, während weniger als ein Fünftel tatsächlich recycelt wird. Das Problem: das Recycling ist kompliziert. Ein vielversprechender Lösungsansatz für das Betonrecycling aus dem Fraunhofer Forschungslabor sei die elektrodynamische Fragmentierung. Damit ist es möglich, Verbundmaterialien wie Altbeton selektiv aufzutrennen und somit die einzelnen Komponenten effizient zurückzugewinnen. So ließe sich in Zukunft auch wieder Zement aus Altbeton herstellen, was Thome so beschreibt: “Das ist geradezu so, als würde man aus altem Brot wieder das Mehl herausholen”.
Nachhaltiges Bauen: Weniger Müll, mehr Trennbarkeit und besserer Rückbau
Schon am 5. Mai war in diesem Jahr der Earth Overshoot Day in Deutschland. Seit diesem Tag ist das natürliche Ressourcenbudget hierzulande aufgebraucht, wir leben sozusagen täglich “auf Pump”. 50 Prozent der verbrauchten Ressourcen gehen auf das Konto des Bausektors, wie auch 60 Prozent des Mülls und 50 Prozent des Energieverbrauchs, wie Natalie Essig, Professorin für Baukonstruktion und Bauklimatik an der Hochschule München, berichtete. Deshalb brauche es dringend einen Wandel hin zu einer nachhaltigen Bauweise.
Nachhaltiges Bauen betrifft aber nicht nur Neubauten, sondern beginnt bereits beim Rückbau von Gebäuden. Bisher gelten alle verbauten Stoffe als Müll. Rechtlich gesehen ist eine Wiederverwertung deshalb schwierig und zudem auch sehr teuer. Es bräuchte nun ganzheitliche Ansätze: Beim nachhaltigen Bau müsse auch der Rückbau bereits mitgedacht werden. Das sollte in Zukunft auch bei internationalen Nachhaltigkeitsbewertungen miteinfließen. Echtes zirkuläres Bauen im Sinne des Urban Mining würde erst erreicht werden, wenn weniger Müll entsteht, sich die eingesetzten Materialien sauber trennen lassen und der Rückbau bereits von Anfang an mitgedacht wird.
Was tut sich bereits? München recycelt eine Bundeswehrkaserne
Inwieweit sich diese Idee des Urban Mining in der kommunalen Baupraxis heute schon umsetzen lässt, war von Elisabeth Merk zu erfahren: Es brauche Kreativität und unbedingten Willen. Denn oft kennen man die Herausforderungen noch nicht und müsse auch bei deren Lösung Neuland betreten. Die Münchener Stadtbaurätin ist derzeit unter anderem mit der Abwicklung der Bayernkaserne beschäftigt, einer großen, 2006 aufgegebenen, militärischen Liegenschaft, auf der in Zukunft über 15.000 Menschen wohnen sollen.
Beim Abriss und der folgenden Neubebauung würden beispielweise 600.000 Tonnen Material anfallen, von dem so viel wie möglich recycelt und wiederverwendet werden soll – in dieser Größenordnung eine neue Herausforderung für die Stadt. Eine Lösung: Vor-Ort-Recycling von Beton. Aber auch davon mussten die städtischen Gesellschaften zunächst überzeugt werden. Zwar spart die Wiederverwertung von Materialien Geld, aber das Recycling gibt es nicht umsonst. Gerade bei DIN-Normen und Haftungsnormen wünscht sich Münchens oberste Architektin mehr Spielraum und wies darauf hin, dass dies im Denkmalschutz zum Beispiel bereits möglich sei. Um Fortschritte zu erzielen, müsse man stets den Rahmen ausreizen und manchmal auch dehnen. In München war dies möglich, weil es auch große politische Unterstützung aus dem Rathaus gab. Für die Zukunft aber brauche es noch mehrere Projekte dieser Art, die in eine experimentelle Phase eintreten würden und damit aufzeigen, wie man sinnvolles Baustoff-Recycling, am besten vor Ort, schaffen kann.
Betonrecycling, nachhaltiges Bauen und die Stadt als Rohstofflager: All das wird in der neuen acatech HORIZONTE Ausgabe zu Urban Mining thematisiert, die im Mai 2021 erschienen ist. Die acatech HORIZONTE informieren über den Stand der Forschung, erklären die wichtigsten Begriffe, illustrieren zentrale Anwendungsgebiete und identifizieren Handlungsfelder für Wissenschaft, Wirtschaft und Politik – kompakt, anschaulich und auf dem Stand des Wissens.
Weiterführende Informationen:
acatech HORIZONTE Urban Mining
acatech HORIZONTE logbuch: Expertenmeinungen zu den HORIZONTE Themen