Digitale Bildung: Lernen und Lehren im virtuellen Klassenzimmer
München, 28. Mai 2020
In Zukunft wird es mehr Unterricht im virtuellen Klassenzimmer geben: Schülerinnen und Schüler werden in ihren Schulen in modernen und technisch zeitgemäß ausgestatteten Lernumgebungen unterrichtet – ein eigenes digitales Lern-Endgerät ermöglicht zudem das bedarfsgerechte und abwechslungsreiche Lernen von zuhause oder an außerschulischen Lernorten. Noch ist das virtuelle Klassenzimmer vielerorts nicht Realität. Als Konzept aber existiert es bereits. Die Erfahrungen mit digitaler Wissensvermittlung während der Corona-Krise haben darüber hinaus gezeigt, wo digitales Lernen und Lehren noch verbessert werden kann. In einem Schaubild haben wir die Ideen der acatech Mitglieder Kristina Reiss (TU München), Olaf Köller (IPN Kiel) und Manfred Prenzel (Universität Wien) zusammengetragen.
Zum Klicken: Das virtuelle Klassenzimmer
Schülerinnen und Schüler lernen – auch digital
Alle Schülerinnen und Schüler – unabhängig von ihrer sozioökonomischen Herkunft – sollten über eigene digitale Lern-Endgeräte verfügen, die von den Schulen bereitgestellt werden. Unter diesen Voraussetzungen können sie rasch computer- und informationstechnologische Grundkompetenzen aufbauen, d.h. sie lernen die Funktionsweise digitaler Technologien kennen und können sich digital verfügbares Wissen aneignen und verarbeiten.
Der Unterricht im virtuellen Klassenzimmer könnte – je nach Jahrgangsstufe in unterschiedlichem Ausmaß – abwechselnd in Präsenz- und Distanzphasen im Sinne von Blended Learning-Konzepten stattfinden; persönlicher Kontakt zu und direkte Interaktion zwischen Mitschülern und Lehrkräften ist dabei stets gegeben. Diese Unterrichtsorganisation ermöglicht es den Lernenden, unabhängig von Ort und Zeit auf die für sie passgenauen digitalen Lerninhalte zuzugreifen, wobei diese Inhalte datenschutzkonform auf einer Lernplattform im Internet bereitgestellt werden. Eine intelligente Lernsoftware macht es zudem möglich, dass sich die Inhalte an die Schülerinnen und Schüler anpassen – nicht umgekehrt. So kann die Lehrkraft die Lernenden auch mit technischer Unterstützung individuell motivieren und fördern.
Lehrkraft bleibt zentrale Figur
Die Lehrkräfte sind im virtuellen Klassenzimmer weiterhin der zentrale Bezugspunkt für Schülerinnen und Schüler. Sie benötigen entsprechendes Know-How, um Online-Lernangebote auf einer Lernplattform bereitzustellen und den persönlichen Kontakt zu den Lernenden sowie zu ihrem Kollegium in den Distanzphasen aufrechtzuerhalten. Dieses Know-How wird im Rahmen der Aus- und Weiterbildung sowie im kollegialen Austausch aufgebaut.
Damit Lehrkräfte frühzeitig auf den individuellen Förderbedarf von Schülerinnen und Schülern reagieren können, sollten computergestützte Analysemöglichkeiten eingesetzt werden. Mit diesen Möglichkeiten können Wissenslücken oder Lernprobleme früh erkannt werden, um daraus Förderbedarfe auch im Sinne eines Coachings abzuleiten.
Zeitgemäße IT-Ausstattung
Eine zeitgemäße IT-Ausstattung in den Schulen (d.h. digitale Tafeln, Lern-Endgeräte wie Notebooks, Tablets mit einheitlichen Hard- und Softwarestandards) ermöglicht vernetztes Lehren und Lernen – dank datenschutzkonformer Lernplattform auch zeit- und ortsunabhängig. Dies bietet auch die Chance digitaler Prüfungsformate. Aktuell besteht allerdings gerade bei schriftlichen digitalen Prüfungen die Gefahr von Täuschungsversuchen. Open-Book-Prüfungen beispielsweise mittels Keylogger („Tasten-Protokollierer“) würden diese Gefahr verringern. Dazu sind aber Anpassungen in den Sicherheitsstandards und Prüfungsregularien notwendig.
Die verwendete Lernsoftware selbst sollte sich an den Curricula orientieren. Hier bietet es sich an, dass sich Schulbuchverlage, Softwareanbieter und Wissenschaft zu Joint Ventures zusammenschließen, um intelligente Lehr-Lernsoftware zu entwickeln. Darüber hinaus sollten schulische Medienkonzepte fortlaufend qualitätsorientiert weiterentwickelt werden.
Bildung und Forschung an der Universität
Die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften berücksichtigt die Digitalisierung bislang zu wenig. Deshalb soll das notwendige Know-How für den Umgang mit digitaler Lehre in allen drei Phasen der Lehrkräftebildung systematisch verankert werden: während des Studiums, im Vorbereitungsdienst und in Fort- und Weiterbildungen. Erforderlich sind dazu auch eine entsprechende personelle und technische Ausstattung der Landesinstitute und Seminare. Wichtig ist zudem der kollegiale Austausch untereinander, sodass sich die Lehrkräfte beim didaktischen Einsatz digitaler Tools gegenseitig unterstützen und stärken.
Dazu muss es Aufgabe der Bildungsforschung sein, die Qualität der Lerninhalte zu sichern und digitale Lernprogramme hinsichtlich des Lernerfolgs zu evaluieren, zum Beispiel durch wissenschaftliche Begleitstudien.
IT-Infrastruktur in (außer-)schulischen Lernorten
Alle Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte müssen über die notwendigen technischen Möglichkeiten verfügen – in schulischen wie außerschulischen Lernumgebungen. Eine funktionierende WLAN-Verbindung ist dabei ebenso Voraussetzung wie ein digitales Lern-Endgerät (idealerweise Notebook und Tablet). Nur so können Schülerinnen und Schüler die Online-Lernangebote und Lernplattformen im Klassenzimmer in der Schule, an außerschulischen Lernorten (z.B. im Schülerlabor) oder auf Exkursionen nutzen.
Dies erfordert sowohl eine flächendeckende Versorgung mit schnellem Internet, den Ausbau der Netzwerkkapazitäten in Schulen und an außerschulischen Lernorten sowie eine Bereitstellung digitaler Endgeräte für Lehrkräfte und Lernende mit überregional einheitlichen Hard- und Softwarestandards.
Virtuelles Lernen zuhause
Erfolgsversprechendes virtuelles Lernen zuhause kann nur funktionieren, wenn gewisse häusliche Lernbedingungen gegeben sind: ein ruhiger Arbeitsplatz, die Verfügbarkeit eines geeigneten digitalen Lern-Endgeräts sowie eine stabile Internetverbindung. Datenschutzrechtliche Vorgaben zum virtuellen Lernen müssen auch im häuslichen Umfeld der Schülerinnen und Schüler berücksichtigt werden.
Die Lehrkräfte sollten die Lernenden darin unterstützen, zunehmend eigenverantwortlich und selbstorganisiert auch zuhause zu lernen. Jüngere Schülerinnen und Schüler können dies umsetzen, wenn virtuelle Unterrichtsphasen von relativ differenzierten Leitlinien für ein koordiniertes, organisiertes eigenes Lernen begleitet werden. Mit zunehmendem Alter sollten die Lehrkräfte die Lernenden ermuntern, ihr Lernen mit Unterstützung von Lernprogrammen und der Lernplattform immer selbstständiger zu überwachen und zu steuern.
Multiprofessionelle Teams: IT-Support und Medienpädagogen
Damit Lehrkräfte sowie Schülerinnen und Schüler im Falle von Problemen mit Soft- oder Hardware schnell Unterstützung erhalten, sollten ausgebildete IT-Fachkräfte vor Ort oder auf Abruf bereitstehen. Diese Fachkräfte sollten auch das regelmäßige Warten und Updaten der IT-Ausstattung sowie die Überprüfung technischer Einstellungen hinsichtlich DSGVO-Konformität übernehmen.
Dazu sollten den Lehrkräften qualifizierte Medienpädagogen als Ansprechpartner für Fragen zum didaktisch sinnvollen Einsatz von Lernprogrammen und -plattformen zur Verfügung stehen. Sie sollten gemeinsam mit dem IT-Support und den Lehrkräften multiprofessionelle Teams bilden, die eine zeitgemäßere Vorbereitung und Durchführung des Unterrichts möglich machen.
Innovative Lernmethoden einsetzen
Für bestimmte Lerninhalte eignen sich innovative Lernmethoden und -mittel wie z.B. Virtual Reality-Brillen besonders gut: In MINT-Fächern können beispielsweise chemische Reaktionen, mathematische Modelle oder physikalische Experimente besser anschaulich gemacht werden. Auch in Fächern wie Geschichte kann mit Hilfe dieser Methoden ein tieferes Verständnis historischer Ereignisse vermittelt werden.
Und auch ohne Virtual Reality lassen sich an Computern oder Tablets beispielsweise mit interaktiven Grafiken viele Inhalte spannender gestalten. Die Lern- und Lehrsoftware sollte auch unter Berücksichtigung dieses Gesichtspunkts ausgewählt werden. Dabei gilt es zudem stets, die DSGVO-Konformität der Software zu prüfen.
Außerschulische Lernorte stärken
Eine stärkere Öffnung und Vernetzung mit außerschulischen Initiativen und Akteuren kann Schulen in der digitalen Transformation helfen, schneller und beweglicher mit Veränderungen umzugehen und Zukunftskompetenzen besser zu vermitteln – im Sinne eines lebendigen Ökosystems für Lernen und Innovation. In Verbindung mit außerschulischen Lernorten wie Schülerlaboren kann übergreifendes Lernen realisiert und die Lerninhalte für die Schülerinnen und Schüler können mittels Lernplattform im virtuellen Klassenzimmer wieder aufgegriffen werden. Dazu erhalten Lehrkräfte wichtige Impulse für ihre Lehre und Unterrichtsgestaltung und können sich gewissermaßen „en passant“ weiterbilden.
Agiles Arbeiten in der Gruppe
Die Schülerinnen und Schüler lernen und arbeiten auch im Klassenzimmer agil und in direktem Austausch in Einzel- und Gruppenarbeiten zusammen. Flexibles Schulmobiliar, das verstellbar, rollbar und verschiebbar ist, sowie unterschiedliche Raumkonzepte sind hierfür Voraussetzung.
Ergänzt durch die Möglichkeiten des virtuellen Klassenzimmers (digitale Lernplattformen, hochwertige Lernsoftware, passgenaue Lernangebote, etc.) wird den Schülerinnen und Schülern so selbstorganisiertes, orts- und zeitunabhängiges Lernen ermöglicht.
Grafiken: Shutterstock.com/elenabsl und acatech