„Driving the Human“ Open Call: Wissenschaft und Kunst entwickeln gemeinsame Werkzeuge für Innovationsprozesse

München, 10. Februar 2021
Nach dem Opening Festival im November 2020 fiel am 10. Februar der Startschuss für den nächsten Meilenstein von Driving the Human, den Open Call. Wie kann unsere Zukunft aussehen? Wie wollen wir leben? Das Kooperationsprojekt zwischen Wissenschaft, Technologie und Kunst schafft Räume, diese Fragen aus möglichst vielen Blickwinkeln zu beleuchten. Die Diskussion darüber gibt wertvolle Hinweise, wie wir Wege in mögliche Zukünfte gestalten und unsere Gesellschaft nachhaltig verändern können, um den großen Herausforderungen unserer Zeit zu begegnen.
„Wir wollen Einzelpersonen genauso wie Kollektive oder Organisationen mit unterschiedlichen Hintergründen inspirieren, ihre Perspektiven zu teilen. Darüber, was möglich sein kann und was möglich werden sollte. Wir sind sehr gespannt auf neue Ideen und Konzepte, wie man Zukunft verantwortungsvoll gestalten und Transformation anstoßen kann“, erklärt Martina Schraudner, Mitglied des Vorstands bei acatech.
Für acatech bietet die Zusammenarbeit mit dem Mentoring-Programm Forecast, dem ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe und der HfG Staatliche Hochschule für Gestaltung Karlsruhe neue Möglichkeiten, gesellschaftliche Meinungen, Tendenzen und Entwicklungen zu aufzunehmen, und mit den gewonnenen Erkenntnissen über die Politik- und Gesellschaftsberatung nachhaltige Transformationsprozesse anzustoßen.
Zum Start des Driving the Human Open Call diskutieren Martina Schraudner, Vorstandmitglied acatech, und Freo Majer, Gründer von Forecast, wie Wissenschaft und die Künste voneinander lernen können, warum Driving the Human nicht allein ein Kunstprojekt ist, sondern sich auch die wissenschaftliche Community angesprochen fühlen darf, und sprechen über die Rolle von acatech.
acatech: Warum ist acatech als Vertreterin von Wissenschaft und Wirtschaft mit an Bord von Driving the Human?
Freo: Forecast setzt sich wie unsere Kooperation Driving the Human und auch acatech mit der Frage auseinander, wie Innovationsprozesse erfolgreich geformt werden können. Eigentlich muss man nicht mehr darüber diskutieren, dass Silodenken dabei hinderlich ist. Alle wissen es und haben sich nicht-disziplinäres Arbeiten, wie wir es nennen, auf die Fahnen geschrieben. Aber es ist erstaunlich schwer umzusetzen. Gerade wenn es um existenzielle Bedrohungen wie den Klimawandel und Artensterben geht, sind Polemiken, Binsenweisheiten oder Feindbilder eher hinderlich.
Wir versuchen bei Forecast und jetzt auch Driving the Human, die Silos einzureißen, indem wir den richtigen Personen eine gemeinsame Aufgabe stellen. Denn in dem Augenblick, wenn es um das Tun geht, sind Unterschiede auf einmal sekundär und nicht mehr hinderlich. Das jeweilige individuelle Wissen, die Erfahrungen treten in den Vordergrund und werden genutzt, um die Aufgabe gemeinsam zu lösen. acatech ist im Wesen gesellschaftsübergreifend und mit der Erfahrung im Vermitteln, Kommunizieren und Denken zwischen Forschung, unterschiedlichsten Wissenschaften und den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft eine echte Bereicherung. Gemeinsam können wir uns einen Gesamtüberblick verschaffen, wie man Zukünfte verhandeln kann. Wir wollen genau hinhören, zuhören, Fakten verarbeiten – und acatech ist der Idealpartner dafür. Es ist an der Zeit, dass wir eine gemeinsame Sprache finden, gemeinsame Werkzeuge für den Innovationsprozess entwickeln. Wirkliche Kooperationen gibt es bis jetzt kaum.
Martina: Das stimmt. Kunst und Wissenschaft „kennen“ sich, man spricht mit einander, man nutzt einander ab und zu, aber die Beziehung hat noch nicht ihr volles Potenzial entfaltet. Wenn es darum geht, zu diskutieren, wie wir leben wollen, kommt aus der Kunst ein anderer Ansatz. Die Künste sind sensibler und näher an Gesellschaft und gesellschaftlichen Zukünften dran. Sie fassen gesellschaftliche Veränderungen früher und nutzen sie. Genau das Wissen brauchen wir bei acatech. Transformation als Ziel von Innovationen setzt Veränderungen im gesellschaftlichen Verhalten voraus. Dieses Verhalten zu verstehen ist deshalb essenziell – und Kunst ist dafür ein ganz zentrales Medium.
Durch Driving the Human erweitern wir unser Perspektivenspektrum enorm, können Künstlerinnen und Künstler zur Mitarbeit, zum Mitdenken einladen. Ich erhoffe mir neue Impulse für Wissenschaft und Wirtschaft, neue Themen, über die es sich nachzudenken lohnt, und neue Methoden, mit denen man Silos aufbrechen kann; Methoden, die uns zwingen, erklärend über Themen zu reden, nichts mehr als gesetzt vorauszusetzen. Sehr spannend finde ich dabei den globalen Blick – gibt es Unterschiede, und wenn ja, welche?
Freo: Dieses „Verstehenwollen“ ist etwas, das wir gerade von den Wissenschaften lernen können. Auch die Einsicht, dass es verschiedene Zukünfte und oft auch kein eindeutiges Ergebnis gibt. Wir als Kreative können hier die Bereitschaft zum Scheitern und Zweifeln lernen. Und mehr Nüchternheit.
Künstler erfinden, spinnen, fantasieren – haben eine andere Grundenergie als Wissenschaftler und Technologen, die viel fokussierter auf Prozesse, Daten und Fakten sind und ihre Arbeit ständig hinterfragen. Kunst wird an irgendeinem Punkt eingefroren, wie forschend der Prozess auch gewesen sein mag, und präsentiert.
acatech: Welche Rolle kann – und sollte – Kunst in Innovationsprozessen einnehmen?
Martina: Die Frage, wohin sich Gesellschaft eigentlich bewegen will, ist wissenschaftlich sehr schwer zugänglich. Kunst hat ein anderes Instrumentarium, um diese Frage zu verhandeln. Dieses Wissen einzubringen und immer wieder zur Diskussion zu stellen, das gehört für mich zu modernen, iterativen Innovationsprozessen. Reallabore könnten beispielsweise viel mehr mit Kunst arbeiten, um Menschen über einen anderen Zugang zum Thema einzubinden – ohne Formeln oder Text.
Das gerade erwähnte Einfrieren von Kunst sehe ich beispielsweise als iterativen Schritt in Innovationsprozessen, an dem die Wissenschaft anknüpfen kann, wo sie Input aufnehmen und damit weiterarbeiten kann. Das wird sich durch Driving the Human hoffentlich immer wieder ergeben. Ein beständiger Austausch zwischen Forschung und Kunst in einem strukturierten Prozess – das im Rahmen des Projektes erleben zu können wäre für mich ein absolutes Highlight.
Freo: Ich würde mir wünschen, dass die Künste nicht nur instrumentalisiert, sondern die Eigenheiten synergetisch genutzt werden. Wissenschaft hat sich schon immer von Kunst inspirieren lassen, ganz massiv zum Beispiel von Science Fiction Literatur. Darüber können wir weit hinauskommen, ins gemeinsame Tun kommen.
Martina: Das Opening Festival von Driving the Human hat da bereits einen wichtigen Schritt getan, wie ich finde. Es war kein klassisches Kunst-Festival, das sich hauptsächlich mit Kunstwerken beschäftigt. Im Fokus standen stattdessen inhaltlich tiefe, transdisziplinäre Diskussionen. Das Themenspektrum war sehr groß und manchmal ungewöhnlich, aber für die Wissenschaft doch sehr zugänglich.
Freo: Der offene Austausch beim Opening Festival, das tiefe Eindringen in Themen, das intensive Zuhören der Beteiligten und ihr ehrliches Interesse an anderen Perspektiven haben mich sehr beeindruckt. Die virtuell durchgeführte Veranstaltung hat mich endgültig davon überzeugt, dass Nähe auch digital möglich ist – das lässt uns nicht nur für das Projekt hoffen!
acatech: Welche Idee steckt hinter dem Open Call, welche Hoffnungen oder Erwartungen knüpft Ihr daran?
Freo: Wir hoffen, einen wirklichen offenen „Open Call“ formuliert zu haben, von dem sich couragierte und innovative Köpfe unterschiedlichster Couleur angesprochen fühlen. Kollektive, Büros oder Organisationen sind ebenso gemeint wie individuelle Köpfe aus Kunst, Ingenieurwissenschaft oder Erfinderinnen und Erfinder, mit ihrem jeweils individuellen Können. Wir wollen „Frictions“ aufdecken, also Reibungsfelder, Fragen, Zweifel. Uns interessieren die Themen, die in der Luft liegen. Was gibt es für Wünsche, Ambitionen, Prioritäten in der Gesellschaft? Welche Visionen spuken in den Köpfen der Menschen, in den verschiedenen Milieus, in den verschiedenen Regionen der Welt.
Martina: Diese absolute Offenheit ist die Grundvoraussetzung dafür, Lösungsvorschläge für soziale Innovationen zu bekommen. Es wird auch sehr spannend sein zu sehen, ob und wenn ja, welche Auswirkungen die Covid19-Pandemie hat. Treibt diese globale Erfahrung auch Visionen und Ideen weltweit in dieselbe Richtung?
acatech: Wann wird es spannend für die acatech Community und warum?
Martina: Schon der Open Call wird sehr interessant. Gerade die eben erwähnte Frage, ob es globale „Trends“ in der Gesellschaft gibt, Visionen oder aber auch Lösungsansätze, ist für unsere Arbeit sehr spannend. Aber die Community ist hier nicht nur Beobachterin, sondern wird hoffentlich auch teilnehmen. Denn auch und gerade in den Technikwissenschaften und der Technikbranche gibt es viele visionäre Geister. Ich hoffe, dass sich einige auf das transdisziplinäre Abenteuer einlassen und sich am Driving the Human Open Call beteiligen. Spätestens wenn es an die Ausarbeitung und die Umsetzung der sieben ausgewählten Prototypen geht, können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit den Projektverantwortlichen ganz konkret an neuen und innovativen Ideen und Konzepten arbeiten, wie man gemeinsam eine Zukunft gestalten und Transformation anstoßen kann.
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