#FutureWorkDebatte: Transformation der Arbeit erfordert gemeinsame Anstrengungen
München, 28. Juli 2022
Bei der zweiten Ausgabe des neuen HR-Kreis-Debattenformats, diesmal gemeinsam mit der Allianz der Chancen ausgerichtet, wurde deutlich: Die Arbeitswelt steht weiterhin vor großen Umbrüchen. Dem Bereich Human Resources kommt dabei eine Schlüsselrolle zu: als Treiber von Themen und Strategien. Allerdings waren sich die Diskussionsteilnehmenden auch einig, dass es mehr braucht als nur die HR-Abteilungen von Unternehmen. Vielmehr ist eine kollektive Anstrengung nötig.
Am 21. Juli hat der HR-Kreis von acatech wieder Expertinnen und Experten aus Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zusammengebracht, um über die Zukunft der Arbeit zu sprechen. Rund 70 Gäste schalteten sich bei der zweiten Ausgabe der #FutureWorkDebatte zum Thema „Von Arbeit in Arbeit“ hinzu. Auf dem virtuellen Podium saßen diesmal Thomas Ogilvie (Deutsche Post DHL Group, Mitglied des Vorstands, Bereich Personal), Ariane Reinhart (Continental AG, Vorständin für Personal und Nachhaltigkeit), Jutta Rump (Institut für Beschäftigung und Employability, Direktorin) und Stefan Lücking (Hans-Böckler-Stiftung, Referatsleiter). Moderiert wurde die Veranstaltung von acatech Präsidiumsmitglied Frank Riemensperger. Henning Kagermann, Vorsitzender des acatech Kuratoriums und HR-Kreis-Mitbegründer, zog am Ende ein Fazit (siehe Videomitschnitt am Ende der Seite).
Ausgangspunkte für die Diskussion waren die „3 D`s“: Digitalisierung, Dekarbonisierung, Demographie. Während durch die Digitalisierung neue Berufsbilder entstehen und bekannte weiterentwickelt werden, bringt die von der Politik vorangetriebene Dekarbonisierung einerseits die Reduktion von Arbeitsplätzen in bestimmten Beschäftigungsfeldern mit sich, andererseits sorgt sie für eine erhöhte Arbeitskräftenachfrage in den Bereichen Software und Digitales. Als weitere Herausforderung sieht sich Deutschland einem tiefgreifenden Bevölkerungswandel gegenüber: In der aktuellen Dekade werden viele Beschäftigte, die den geburtenstarken Jahrgängen in den 1950er- und 1960er-Jahren zuzurechnen sind („Babyboomer“), in Rente gehen. Es wird also weniger Arbeitskräfte bei einer konstant bleibenden oder gar zunehmenden Anzahl an Jobs geben.
Angesichts dieser Umbrüche kommt dem Personalwesen eine wichtige Rolle zu: HR übernimmt eine Schlüsselrolle in der aktuellen Transformation und wird zum „Change Agent“. Zukünftige HR-Strategien müssen den Zweck erfüllen, einerseits Stabilität und Orientierung zu schaffen und dabei die psychologischen Bedürfnisse der Belegschaft im Blick zu haben und andererseits für ein „Agiles Mindset“ sowie für Offenheit unter den Beschäftigten zu sorgen angesichts einer sich schnell wandelnden Arbeitswelt. Eine Kulturveränderung zu mehr Offenheit ist möglich: Die Etablierung von hybridem Arbeiten und virtueller Kommunikation in der Pandemie hat das eindrucksvoll gezeigt.
„Das ‚neue Normal‘ in der Arbeitswelt bedeutet auch und noch viel stärker als früher, dass Veränderung der Normalzustand ist. Die entscheidende Frage ist nun: Sind die Systeme und Instrumente, mit denen wir dort agieren, tatsächlich darauf ausgerichtet, diese immerwährende und teilweise sehr schnell verlaufende Veränderung abzubilden?“
Jutta Rump I Institut für Beschäftigung und Employability in Ludwigshafen (IBE), Direktorin
Darüber hinaus ist Qualifizierung ein wichtiger Schlüssel. Je nach Tätigkeitsfeld müssen spezifische Weiterbildungspläne entwickelt werden. Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass die Weiterzubildenden auch Selbstwirksamkeit erleben – damit es gelingt, dass das Thema Lernen positiv konnotiert ist, denn noch immer sind vielerorts Vorbehalte seitens der Belegschaft zu beobachten.
Um Qualifizierung in der Breite auf ein höheres Niveau zu heben, müssen zudem auch die gesetzlichen Rahmenbedingungen angepasst werden, insbesondere mit Blick auf das Qualifizierungschancengesetz.
„Wir können es uns schlicht nicht mehr leisten Potentiale ungenutzt zu lassen. In den vergangenen drei Jahren sind in Deutschland rund drei Milliarden Stunden Kurzarbeit angefallen. Davon wurden nur fünf Prozent für Weiterbildung genutzt. Wir brauchen einen gesetzlichen Rahmen, der Qualifizierung in Kurzarbeit nicht nur ermöglicht, sondern sogar fördert.“
Ariane Reinhart | Continental AG, Vorständin für Personal und Nachhaltigkeit
In diesem Zusammenhang wird deutlich: HR-Abteilungen allein können die Herausforderungen, die der Wandel der Arbeitswelt mit sich bringt, nicht bewältigen. Hier benötige es die Unterstützung seitens der Politik und anderer Akteure, hieß es aus der Runde. Eine kollektive Anstrengung sei nötig.
„Das Entwickeln einer ‚Digital Culture‘ für die Arbeitswelt ist eine kollektive, von vielen Akteuren zu tragende Aufgabe – die am Ende aber eben vor Ort in Betrieben umgesetzt werden muss. Also muss es dort entsprechende Strukturen und Möglichkeiten geben, damit die Beschäftigten sich nicht getrieben fühlen. Sondern damit sie diese Kultur aus eigener Initiative und mit eigenen Ideen vorantreiben können.“
Stefan Lücking | Hans-Böckler-Stiftung, Referat „Mitbestimmung und Wandel der Arbeitswelt“, Referatsleiter
Das gilt auch mit Blick auf das Thema Zuwanderung, das bei der Diskussion immer wieder zur Sprache kam. Aufgrund des demographischen Wandels und in Anbetracht von 700.000 Auswanderinnen und Auswanderern pro Jahr bedarf es in Deutschland jährlich etwa einer Million Arbeitskräfte aus dem Ausland. Ansonsten droht eine Verschärfung des Fachkräftemangels (z.B. im Handwerk) und eine zu starke Belastung des Rentensystems.
„Jährlich wandern immer noch mehr Menschen aus Deutschland aus als neue zu uns kommen. Und zunehmend entstehen Lücken gerade auch bei den weniger qualifizierten Tätigkeiten, die aber das Land am Laufen halten. Daher ist Zuwanderung aus meiner Sicht ein Schlüssel für die Sicherung der Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes und den Erhalt der Sozialsysteme in Deutschland. Dafür wir brauchen verlässliche, einfache und berechenbare Prozesse bei Behörden und Institutionen.“
Thomas Ogilvie | Deutsche Post DHL Group, Mitglied des Vorstands, Bereich Personal, Arbeitsdirektor
Es brauche daher dringend eine gesellschaftliche Debatte um eine gesteuerte Zuwanderung, war man sich in der Runde weitestgehend einig. Auch für Unternehmen reiche es nicht mehr aus, einfach nur auf die eigenen offenen Stellen zu verweisen. Sie müssten sich stärker bei der Integration, beim Spracherwerb, also bei der Gestaltung der sozialen Integration einbringen.
Moderator und acatech Präsidiumsmitglied Frank Riemensperger leitete folgende Lehren aus der Diskussion ab: „Die Digitalisierung wird auch weiterhin große Produktivitätssteigerungen ermöglichen. Das ist wichtig – und wird dennoch nicht reichen, um den demographiebedingten Rückgang der Fachkräfte in den nächsten Jahren zu kompensieren. Deshalb brauchen wir mehr Anstrengung bei der Qualifizierung von Beschäftigen und bei der unbürokratischen Zuwanderung von Talenten. Kurz gesagt: Es geht um mehr Digitalisierung, mehr Qualifizierung, mehr Fachkräfte! Und es geht um Neues Denken, neue Lösungen und mehr Flexibilität.“
Allianz der Chancen
Die Allianz der Chancen (AdC) versteht sich als Plattform, die die Veränderungen der Arbeitswelt aktiv mitgestalten will. Initiiert wurde die Plattform im September 2021 von Personalvorständen namhafter Unternehmen und Institutionen, darunter auch HR-Kreis-Mitglied Thomas Ogilvie, die bei der #FutureWorkDebatte am 21. Juli zu Gast waren und Einblicke in die Arbeit der AdC gaben (siehe Videomitschnitt weiter unten).
Das erklärte Ziel der Plattform: Die Unternehmen der Allianz möchten ihren Belegschaften wirtschaftlich und sozial nachhaltige Beschäftigungsperspektiven bieten und Beschäftigte branchenübergreifend von Arbeit in Arbeit bringen, z.B. durch Weiterqualifizierungsmaßnahmen.
Mitschnitt der Veranstaltung
Die zweite #FutureWorkDebatte am 22. Juli gibt es hier nochmal in voller Länger zu sehen (Video ist mit Zeitstempeln versehen).