Grüner Neustart der Wirtschaft nach Corona?
München, 14. Dezember 2020
Die aktuellen Konjunkturprogramme zur Coronakrise, sei es auf europäischer Ebene oder auf Ebene von Bund und Ländern in Deutschland, beinhalten neben Aufbauprogrammen stets Verweise auf die Krise vor der Krise: die Notwendigkeit die Wirtschaft stärker auf Nachhaltigkeit auszurichten, um der Klimakrise und der Zerstörung ökologischer Kreisläufe zu begegnen. Wie können die ebenfalls viel beschworenen Chancen solch einschneidender Wendepunkte genutzt werden, um den gewünschten „grünen“ Neustart der Wirtschaft erfolgreich zu gestalten? Wie lassen sich kurzfristige Wirtschaftshilfen mit langfristigen ökologischen Zielvorgaben kombinieren? Diese Frage diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei acatech am Dienstag am 8. Dezember.
„Die Notwendigkeit der Transformation zur Nachhaltigkeit war vor der Krise präsent und ist es nach wie vor“, begrüßte acatech Vizepräsident Christoph M. Schmidt das Publikum. Die Zukunftsfähigkeit dürfe auch in der Krise nicht aus dem Blick geraten. Dafür brauche es interdisziplinäre Zusammenarbeit und Dialog. Auch Martina Schraudner, Vorständin bei acatech, betonte die Aktualität des Themas und wies auf eine neue acatech Publikation zum Green Deal hin.
Man müsse zwischen kurzfristig und langfristig wirkenden Maßnahmen unterscheiden, stellte Karen Pittel, Leiterin des ifo Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen, heraus. Auf kurze Sicht sei in einigen Bereichen die Rettung emissionsintensiver Branchen unvermeidbar, um größere soziale und wirtschaftliche Verwerfungen zu vermeiden. Dabei sollte jedoch überprüft werden, ob Wirtschaftshilfen mit ökologischen Bedingungen verknüpft werden können. Auf lange Sicht müssten hingegen Klimawirkungen bei Investitionshilfen berücksichtigt werden. Ein stabiler Rahmen könne so die Erwartungen der Marktteilnehmer über alle Branchen hinweg steuern. Ein Konjunkturpaket messe sich daran, wie gut es ökonomische, sozialpolitische und klimapolitische Kriterien erfüllen kann. Die wirkmächtigste Maßnahme des aktuellen Konjunktur-, Krisenbewältigungs- und Zukunftspakets der deutschen Bundesregierung sei die Senkung der EEG-Umlage. Einerseits fördere diese die angestrebte Sektorenkopplung, andererseits entlaste die Absenkung wirtschaftlich schwache Haushalte. Dies zeige, dass Klima- und Sozialverträglichkeit nicht unbedingt im Widerspruch zueinanderstehen müssen. Trotzdem hätte die Politik noch ambitionierter vorgehen können. So wäre es möglich gewesen, die CO₂-Preise anzuheben oder die Energiesteuer weitgehender zu reformieren.
Die Pandemie habe weltweit zu Rückschritten bei fast allen Sustainable Development Goals geführt, betonte Nils aus dem Moore vom RWI Essen. Deswegen sei es im Sinne des Bewahrens von bereits Erreichtem hinsichtlich der Nachhaltigkeitsziele notwendig, auch kurzfristige Maßnahmen zu ergreifen, sogenannte „rescue“ Strategien. „Grüne“ Maßnahmen wirken hingegen eher zeitverzögert und sollten damit zum Kern längerfristiger „recovery“ Strategien gehören. Im Anschluss zeigte Nils aus dem Moore anhand der Szenarien der EU-Kommission für die neuen Klimaziele 2030, dass es einen Konflikt zwischen kurzfristiger Umsetzbarkeit und langfristiger Zielerreichung geben könne. Kurzfristig politisch leichter umzusetzende Lösungen könnten das Erreichen langfristiger Ziele durch zu wenig aufeinander aufbauende Gesetzesgrundlagen verkomplizieren oder verunmöglichen. Aus einer Beteiligung an einer Studie für das Umweltbundesamt kam außerdem die Analyse, dass verschiedene Nachhaltigkeitsstrategien auch über ihr Verhältnis zu harten wirtschaftlichen Kennzahlen wie dem Bruttoinlandsprodukt oder dem generellen Wirtschaftswachstum beschrieben werden können.
Der europäische Green Deal beispielsweise sei laut Nils aus dem Moore eine Green Growth Strategie, die sich grundlegend von einer Postwachstums- und einer Degrowth-Strategie unterscheidet. Diese auf „Nachhaltigem Wachstum“ basierende Strategie beruht auf der Annahme, dass man Wohlstand und Ressourcenverbrauch absolut und insbesondere durch technologische Innovation entkoppeln könne, was Nils aus dem Moore auch als „technologische Wette“ bezeichnet. Diese Annahme wurde zwar theoretisch bewiesen, entspreche aber nicht aktuellen Entwicklungen. Davon ausgehend entwickelte Nils aus dem Moore mit Kollegen, unter anderem vom Wuppertal Institut, die „Vorsorgeorientierte Postwachstumsposition“, die sich agnostisch zur Entkopplungsannahme verhält, aber auf marktwirtschaftlichen Grundlagen aufbaut. Die Position bestehe aus vier Elementen: (I) einem Wandel zu einer Kultur der Nachhaltigkeit, der sich durch einen kritischen Blick auf den vorherrschenden Wohlstandsbegriff und die Nutzenmaximierung durch ein gesteigertes Bruttoinlandsprodukt auszeichnet, (II) marktbasierten Instrumenten gegen Umweltschädigung, (III) gesellschaftlicher Partizipation und Innovation, (IV) sowie einer Wachstumsunabhängigkeit von Institutionen und Prozessen.