Industrie 4.0 – Blick zurück und nach vorn
München, 5. November 2021
Im Jahr 2011 entstand bei acatech der Begriff „Industrie 4.0“. Damit erhielten die Entwicklungen im Zusammenhang mit intelligent vernetzten Produktionssystemen einen prägnanten Namen. Nach zehn Jahren ist „Industrie 4.0“ den Kinderschuhen entwachsen – und dennoch bleibt noch viel zu tun. Im Rahmen einer Online-Ausgabe von acatech am Dienstag am 26. Oktober diskutierten Vertreterinnen und Vertreter von Wissenschaft, Wirtschaft und Politik die Vergangenheit und Zukunft von Industrie 4.0.
acatech Präsident Jan Wörner verdeutlichte in seinem Eröffnungsvortrag die aktuelle Relevanz der Industrie 4.0: Insbesondere seit der Corona-Krise seien neue Strukturen und Prozesse angestoßen worden, deren Wurzeln sich in Industrie 4.0 wiederfänden.
Henning Kagermann, Vorsitzender des Kuratoriums von acatech und einer der Väter des Begriffs Industrie 4.0, gab den Teilnehmenden der Veranstaltung anschließend einen Überblick über die Entstehungsgeschichte des industriepolitischen Leitbilds, die vor über zehn Jahren ihren Anfang nahm. Über den für Jahre geprägten Begriff verriet er:
Wir haben nach einem zündenden Namen gesucht. Den Begriff „Cyberphysische Systeme“ kannst du nicht in der Öffentlichkeit verkaufen.
Henning Kagermann
Henning Kagermann blickte auch in die Zukunft von Industrie 4.0: Man müsse davon ausgehen, dass weltweite Krisen häufiger und heftiger auftreten werden. Industrie 4.0 könne hier dazu beitragen, flexibler auf veränderte externe Einflüsse zu reagieren. Auch im globalen Systemwettbewerb mit den USA und China und mit Blick auf eine strategische digitale Souveränität sei „I40“ der Schlüssel, um in technologischer und wirtschaftlicher Hinsicht nicht ins Hintertreffen zu geraten.
Katja Windt, Mitglied der Geschäftsführung der SMS group GmbH, betonte in ihrem Beitrag die Performancesteigerung, welche durch Industrie 4.0-Technologien erzielt werden konnten. Wesentliche Ziel: Fehler in der Produktion vermeiden und die Ausbringung der Anlage zu erhöhen. Ihrer Ansicht nach sei Industrie 4.0 in der Wirtschaft angekommen und habe sich in der Realität etabliert:
Damit hat für mich Industrie 4.0 mittlerweile auch den Nachweis erbracht, dass Performancesteigerungen, die bisher nicht möglich waren, zu realisieren sind.
Katja Windt
Sie sprach jedoch auch eine Warnung aus: Fragen des Datenschutzes müssten mit den Interessen und Bedürfnissen der Industrie zusammengebracht werden. Konkret benannte sie die Sorge vor dem Verlust der Souveränität über die eigenen Daten. Hier müsse Vertrauen geschaffen werden.
Peter Liggesmeyer, wissenschaftlicher Sprecher des Forschungsbeirats der Plattform Industrie 4.0, sprach sich in seinem anschließenden Vortrag dafür aus, den Begriff Industrie 4.0 als Methode zu verstehen – und nicht als Zielvorstellung misszuverstehen. Als Ziele seien eine höhere Wandlungsfähigkeit und die „Losgröße 1“, also die Fertigung individualisierter Produkte im Kostenrahmen einer Massenfertigung, zu verstehen. Industrie 4.0 stelle lediglich die Methoden dar, mit denen diese Ziele erreicht werden könnten. Über die Zukunft des Themas Industrie 4.0 äußerte er sich – auf Grundlage der Arbeit der Plattform Industrie 4.0 und ihres kürzlich vorgestellten 5-Punkte-Plans – optimistisch:
Ich glaube, dass wir da einen guten Fahrplan haben, um die nächsten zehn Jahre Industrie 4.0 erfolgreich zu gestalten.
Peter Liggesmeyer
Peter Liggesmeyer wies außerdem auf das große Potenzial von Gaia-X, dem u.a. von acatech koordinierten europäischen Dateninfrastruktur-Projekt, hin, und forderte mehr Interdisziplinarität in der Hochschulbildung.
Thomas Sattelberger, Mitglied des Deutschen Bundestages, kritisierte die aus seiner Sicht unzureichende Qualifizierungsoffensive für eine Umsetzung der Industrie 4.0-Ziele. Laut einer aktuellen BITKOM-Umfrage würden sich 66 Prozent der Unternehmen als Nachzügler einschätzen, obgleich 95 Prozent der Unternehmen Industrie 4.0 als Chance wahrnehmen würden. Trotz der bisher erreichten Erfolge identifizierte Thomas Sattelberger einen Bereich, dem mehr Aufmerksamkeit zugestanden werden sollte:
Wir sind im Bereich Business-to-Consumer längst in der zweiten Halbzeit und liegen nach wie vor zurück. Handeln ist überfällig!
Thomas Sattelberger
In der anschließenden Diskussionsrunde, die von Anna Frey, Stellv. Leiterin Technologien bei acatech, moderiert wurde, wurde ebenfalls ein thematisch breiter Bogen aufgespannt: Neben den Herausforderungen im Bereich der Aus- und Weiterbildung wurde auch die Situation von klein- und mittelständischen Unternehmen (KMU) diskutiert. Ein Zuschauer stellte seine eigenen Erfahrungen als Geschäftsführer eines KMU bei der Implementierung von Industrie 4.0 in seinem Unternehmen dar. Neben Problemen beim Thema Datenschutz wies er auch auf die Herausforderung hin, dass häufig Lösungen unter dem Branding von Industrie 4.0 verkauft werden würden, die die entsprechenden Erwartungen nicht befriedigen könnten.
acatech Präsident Jan Wörner schloss die Veranstaltung mit einer Zusammenfassung und einem Ausblick ab. Er resümierte, dass Industrie 4.0 in vielen Unternehmen bereits teilweise implementiert sei und dennoch eine große Bandbreite an Herausforderungen vorhanden sei. Neben der Bedeutung von Aus- und Weiterbildung verwies Jan Wörner auf die Thematik von Safety und Security sowie auf die Setzung von Normen und Standards.
Zum Audio-Vortrag „Themenführerschaft durch Industrie 4.0“ von Henning Kagermann:
Veröffentlicht am 17. November 2021
Dauer: 15 Minuten und 08 Sekunden