KI – besser als der Mensch? Oder: Was uns bleibt
München, 19. Juli 2021
Es sind uralte Fragen: Wer sind wir als Menschen? Wer wollen und wer sollen wir sein? Neue Technologien geben Anlass, diese Fragen zu stellen: Digitalisierung und Biotechnologien rütteln an traditionellen Konzepten wie der Freiheit des Menschen oder dem etablierten Verhältnis der Menschen zur Technik. Heute ist der Mensch nicht mehr einfach Subjekt und die Technik Objekt – der autonomen Technik wächst selbst zusehends eine Subjektrolle zu. Müssen wir uns Gedanken machen über die Zukunft des Menschen? Darüber diskutierten Gäste und Publikum bei acatech am Dienstag am 13. Juli.
Sorge vor Kontrollverlust – dieser zentrale Topos in der Diskussion um KI sei historisch nichts Neues, stellte Armin Grunwald, Professor für Technikphilosophie und Technikethik am KIT und acatech Präsidiumsmitglied, zu Beginn seines Impulsvortrages fest. Diese Sorge speist sich aus zwei Quellen: Einerseits ist jede KI in irgendetwas besser als der Mensch, sonst hätten wir keinen Anreiz sie zu entwickeln und zu verwenden – und das trifft auf jegliche Form der Technik zu. Andererseits neigen wir dazu, KI zu vermenschlichen, beispielsweise durch Ausdrücke wie „Die KI entscheidet“ oder „Die KI ist hilfsbereit“. Deswegen stellten sich viele nun die Frage, was aus dem Menschen werde, so Armin Grunwald. Es gebe aber nach wie vor einige Felder, die für KI unzugänglich sind: Das Abwägen, die Unterscheidung von Sein und Sollen, das „Verstehen“ von Situationen. Auch wurde noch nicht berichtet, dass KI nachdenken kann über die Bedeutung von Begriffen wie Hoffnung oder Trost. Anders als einer KI ist es auch nur dem Menschen möglich, begründet Regeln zu verletzen.
Martina Heßler, Professorin für Technikgeschichte an der TU Darmstadt, bezog sich in ihrem Vortrag u.a. auf Daniel Kehlmanns Buch „Mein Algorithmus und ich“. Das Buch sei das Ergebnis eines Experiments, ein Buch mit einer KI zusammen zu verfassen – ein Experiment, das der Autor schließlich für gescheitert erklärte. Die Erwartungen, die Daniel Kehlmann im Vorfeld des Projekts an die KI hatte, seien typisch für unser KI-Verständnis: Entweder werde der Mensch durch die Maschine überflüssig, oder er bekommt eine gleichberechtigte technische Gefährtin an die Seite gestellt.
Die Historikerin betonte, dass KI-Systeme durch ihre adaptiven, reagierenden und lernenden Eigenschaften eine kategorial unterschiedliche Form von Maschine darstellten. Die dominierenden tradierten Menschen- und Maschinenbilder, die dualistisch und anthropozentrisch geprägt seien, scheinen hier nicht mehr passfähig zu sein. Zielführend sei es deswegen, so Martina Heßler, den Blick auf Mensch-Maschinen-Praktiken zu richten. Statt zu fragen „Was macht den Menschen bzw. die Maschine aus?“, sollten wir überlegen, wie der Mensch bzw. die Maschine etwas macht, was aus diesen Unterschieden für eine Arbeitsteilung folgt, und welche Konsequenzen das für die Gesellschaft habe.
Peter Dabrock, Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, stellte fest, dass sich am Mensch-Maschinen-Verhältnis die Selbstparadoxie des Menschen zeige: Eine andere Person dürfe nicht vollständig zu einem Zweck instrumentalisiert werden, gleichzeitig behandeln wir Menschen zumindest teilweise zweckhaft. Dies spiegele die Tatsache wider, dass wir Eigenschaften auf KI-Systeme projizieren, die wir aber selbst unterlaufen. Das Besondere am menschlichen Dasein sei gerade die Geheimnishaftigkeit und die potentielle Abbruchgefahr von Interaktion.
KI regt die Diskussion an – nicht nur zur Entwicklung der Technikwissenschaften, sondern auch zu fundamentalen Fragen über uns selbst. acatech wird auch diese Diskussion weiter begleiten.