Mobilität der Zukunft gemeinsam gestalten
Tutzing, 12. November 2019
Bei der Mobilität muss ein Wandel her – darüber war man sich auf der Tagung „Mobilität der Zukunft gemeinsam gestalten“ einig. Strittig waren das „Wie“ und das „Wann“. Die Expertenrunde diskutierte vor diesem Hintergrund über die zukünftige Rolle des Autos in der Stadt und auf dem Land, über die Potenziale von Digitalisierung und Vernetzung – und über die Frage, wie durch Kommunikation ein Umdenken herbeigeführt werden kann. Die gemeinsame Veranstaltung von acatech und dem Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften am 3. und 4. November in der Evangelischen Akademie Tutzing war ein Beitrag zur gemeinsamen Dialogreihe „Innovation und Verantwortung“.
47 Millionen PKW seien aktuell auf 82 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner in Deutschland zugelassen, klärte Weert Canzler von der Forschungsgruppe „Verkehr- und Mobilitätsforschung“ am Wissenschaftszentrum Berlin zu Beginn der Veranstaltung auf. Die Tendenz sei dabei steigend – das gelte auch in Bezug auf die Größe der Autos. Der Verkehrsexperte bewertete diese Entwicklung kritisch: Das Auto müsse in einer zukünftigen Mobilität unbedingt eine weniger dominante Rolle einnehmen, damit Klima geschont und Lebensqualität gesteigert werden können. Weert Canzler schlug deshalb eine Bepreisung des öffentlichen Raums, wie beispielsweise höhere Anwohnerparkgebühren oder eine Citymaut, vor und sprach sich darüber hinaus für infrastrukturelle Maßnahmen, wie Fahrradabstellplätze und eine Platzumverteilung, aus.
Vernetzung und Nachhaltigkeit sind für Martina Kohlhuber, Leiterin des Themenschwerpunkts Mobilität bei acatech, die zentralen Kriterien, um die Menschen bei einer Verkehrswende mitzunehmen. Sie stellte die acatech Studie „Neue autoMobilität II“ vor. Vernetzte Mobilität mit intelligenter Verkehrssteuerung und kooperativem Mischverkehr könne unter anderem die Leistungsfähigkeit der Beförderung und auch die Lebensraumqualität erhöhen, so Martina Kohlhuber. Sie verwies außerdem auf die Potenziale von Sektorenkopplung, also der Vernetzung von Verkehr und Energiewirtschaft, zum Beispiel durch Fahrzeuge als mobile Stromspeicher oder die Kopplung ans Smart Home – der Begriff Sektorenkopplung sollte auf der zweitägigen Veranstaltung noch häufiger fallen. Voraussetzung für vernetzte Mobilität sei der Zugang zu den Daten, erklärte Martina Kohlhuber abschließend. Ein Punkt, der von einigen Teilnehmenden kritisch hinterfragt wurde.
Technische und soziale Aspekte müssen betrachtet werden
Die Verknüpfung der technischen mit einer sozialen Vision forderte der Verkehrsplaner Helmut Holzapfel vom Zentrum für Mobilitätskultur. Er wies zunächst auf mögliche Rebound-Effekte von effizienterer Verkehrssteuerung hin. Wenn beispielsweise die Parkplatzsuche dadurch einfacher werde, würden auch wieder mehr Personen das Auto nutzen. Das laufe dem Ziel zuwider, die gefahrenen Kilometer im PKW pro Person in urbanen Räumen um die Hälfte zu reduzieren. Zudem sprach sich Helmut Holzapfel dagegen aus, in die Alltagssteuerung der Menschen einzugreifen – deshalb lehne er Maßnahmen wie zeitlich variable Bepreisung von Straßennutzung ab.
Fünf Millionen Personen leben in Deutschland aktuell von der Automobilindustrie
1,75 Millionen Erwerbstätige würden derzeit in der gesamten Automobilindustrie arbeiten, das seien etwa 4 % aller Erwerbstätigen in Deutschland, so Bernd Bante von AUDI. Bei einer durchschnittlichen Familiengröße von drei Personen seien damit fünf Millionen Menschen von der Automobilindustrie abhängig. Die CO2-Emissionen würden vor allem beim Fahren entstehen, bei der Herstellung der Fahrzeuge strebe man bis 2025 CO2-Neutralität an. Die Nachfrage von Elektroautos steige nur sehr langsam, was vor allem an der ungenügenden Ladeinfrastruktur liege.
Sylvia Hladky vom Netzwerk Klimaherbst verwies auf das Pariser Klimaabkommen, auf die vereinbarten Strafzahlungen für Unternehmen und Staaten und auf den sehr kurzen Zeitraum bis diese fällig würden. Deshalb müssten sehr schnell zum Beispiel autofreie Quartiere eingerichtet beziehungsweise allgemein die Räume neu aufgeteilt und bepreist werden. Dies könne einfach, schnell und kostengünstig ungesetzt werden. In der anschließenden Diskussionsrunde zeigte sich jedoch, dass alte gesetzliche Regularien schnellen Lösungen oft im Weg stehen.
Die Rolle der Kommunikation
Zum Wandel der Mobilität gehörten nicht nur die Ingenieurleistungen, sondern auch Entscheidungsprozesse und Governance, fasste Jessica Le Bris von Green City Experience zusammen. Eine richtige und vernehmbare Kommunikation könne die Transformation beschleunigen. Dazu müssten alle Stakeholder beitragen und so eine Kultur des Wandels etablieren.
Technik und individuelles Verhalten sind für Bettina Gundler, Leiterin des Verkehrszentrums des Deutschen Museums, die zentralen Stellschrauben für das Gelingen des Wandels. Dazu zählen aus ihrer Sicht das Vermeiden von Wegen, das Verlagern des Verkehrs auf Schiene, ÖPNV oder Fahrrad – und die Verbesserung der Mobilität durch Innovation und Technik. Das Museum als außerschulischer Bildungsort habe den Anspruch, die Besucherinnen und Besucher zu befähigen, sich eine eigene Meinung zu bilden, Verantwortung zu übernehmen oder sich einzubringen. Auf diese Weise könne auch ein Umdenken herbeigeführt werden.