Neue autoMobilität II – Kooperativer Straßenverkehr und intelligente Verkehrssteuerung für die Mobilität der Zukunft
Hintergrund und Ziele
Automatisierung, Digitalisierung und Vernetzung von Fahrzeugen und Straßenverkehr bewirken einen grundlegenden Wandel unseres Mobilitätssystems. Um diese Entwicklung mit ihren vielfältigen Herausforderungen und Chancen politisch gestalten zu können, ist eine fundierte Analyse zu Status quo, zukünftigen Entwicklungen und Herausforderungen ebenso erforderlich wie eine darauf aufbauende Ableitung von Handlungsfeldern und -empfehlungen. Dazu hat sich die interdisziplinäre und branchenübergreifende Projektgruppe „Neue autoMobilität“ formiert. Die Projektleitung lag beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. acatech koordinierte das Projekt.
In der ersten Projektphase (05/2015 — 12/2016) wurde in einer acatech POSITION und einer acatech STUDIE ein Zielbild 2030 für den automatisierten Straßenverkehr definiert sowie Wege zu seiner Realisierung aufgezeigt. Im Mittelpunkt standen vor allem verschiedene Automatisierungsfunktionen, ihre Anwendungsmöglichkeiten und deren Auswirkungen auf den zukünftigen Straßenverkehr. Internationale Vergleiche und aktuelle Praxisbeispiele aus Deutschland konkretisierten das Ganze.
Ausgehend von den Ergebnissen der ersten Projektphase „Neue autoMobilität – Automatisierter Straßenverkehr der Zukunft“ startete am 15. Januar 2018 das Vertiefungsprojekt „Neue autoMobilität II – Kooperativer Straßenverkehr und intelligente Verkehrssteuerung für die Mobilität der Zukunft“. Nach einem Zwischenbericht im Oktober 2018 ist die acatech STUDIE am 11. September 2019 erschienen.
Das aktuelle Vertiefungsprojekt rückt aus technologischer Perspektive die beiden Aspekte kooperativer Straßenverkehr und intelligente Verkehrsteuerung in den Vordergrund. Es erweitert den Blick von der Fahrzeugtechnologie hin zum Zusammenspiel neuer Mobilitätstechnologien, -trends und Dienstleistungen in einem digital vernetzten Mobilitätssystem. Die Zukunft der Mobilität wird dabei ganzheitlich, systemisch und integrativ gedacht. Damit liefert die Projektgruppe einen Beitrag zur Entwicklung einer Zukunftsstrategie, um den Transformationsprozess der gesamten Mobilitätsbranche hin zu einer emissionsarmen, automatisierten und digital vernetzten Mobilität zu beschleunigen.
Es ist von zentraler Bedeutung, die Fahrzeugkonzepte der Zukunft nicht isoliert, sondern integriert mit den großen technologischen Mobilitätstrends zu entwickeln: Vernetzung, Elektrifizierung sowie Automatisierung und Carsharing. In Summe wird dadurch das gesamte integrierte Verkehrssystem entlastet und damit sicherer, umweltfreundlicher und nutzergerechter.
Thomas Weber, Vizepräsident acatech
Welche Potentiale haben Vernetzung und Digitalisierung für unsere zukünftige Mobilität?
Vernetzte und digitalisierte Mobilität hat das Potential, uns in Zukunft bequemer, sicherer und umweltfreundlicher ans Ziel zu bringen.
Gemeinsam mit der Elektromobilität legen Automatisierung, Digitalisierung, Vernetzung und innovative Mobilitätskonzepte wie Carsharing schon heute den Grundstein für ein zukünftiges Verkehrssystem, das deutlich weniger Ressourcen verbraucht, Raum und sogar Fahrzeuge benötigt und vorhandene Infrastrukturen effizienter nutzt. Gleichzeitig kann das zukünftige Verkehrssystem die Mobilitätsbedürfnisse wesentlich bedarfsgerechter und effizienter bedienen. So können sie den Herausforderungen der Urbanisierung auf der einen und des demographischen Wandels in ländlichen Räumen auf der anderen Seite aktiv begegnen: Die Städte werden entlastet und auf dem Land können auch alternde Bevölkerungsgruppen mobil bleiben.
Automatisierung und Vernetzung von Fahrzeugen können maßgeblich zu einer erhöhten Sicherheit im Straßenverkehr beitragen. Eine neue, intelligente Verkehrssteuerung ermöglicht die Effizienz des Verkehrs zu erhöhen, ohne die Verkehrssicherheit zu beeinträchtigen und ohne die Vorteile neuer automatisierter vernetzter Fahrzeuge zu reduzieren. Sie ist damit ein zentraler Bestandteil für den kooperativen Straßenverkehr der Zukunft, in dem Fahrzeuge und Infrastruktur miteinander kommunizieren und agieren können und jeder bequemer, sicherer und umweltfreundlicher ans Ziel kommt.
Das in der ersten Projektphase entworfene Zielbild des automatisierten Straßenverkehrs der Zukunft wird im aktuellen Vertiefungsprojekt deshalb um Zukunftsvisionen für die Bereiche Intelligente Verkehrssteuerung und Kooperativer Straßenverkehr, Infrastruktur und Interoperabilität sowie eine gleichwertige Mobilitätsversorgung in Stadt und Land ergänzt.
Systemisches Zielbild: Ebene des Mobilitäts- und Verkehrsmanagements
Zukunftsbilder der Mobilität
Das Zielbild und die Vertiefungsthemen des Projekts Neue autoMobilität II werden in Zukunftsbildern veranschaulicht. Sie zeigen, wie das Zusammenspiel verschiedener vernetzter Mobilitätsanwendungen in Zukunft aussehen könnte.
Ein Zukunftsbild setzt beim Pendelverkehr an, der heute Menschen stresst und Anwohner belastet: Pendler stecken viel zu lange im morgendlichen Verkehrsstau in die Stadt, während die stadtauswärts führenden Fahrspuren oft leer sind. Digitale, dynamische Verkehrsbeschilderung könnte zusätzliche Fahrstreifen schaffen, indem sie die Fahrstreifenbreite verengt oder auch stadtauswärts führende Fahrspuren flexibel für den stadteinwärts fließenden Verkehr nutzbar macht.
Flexible Befahrungsgebühren für besonders überlastete Strecken könnten den Verkehr auf Ausweichstrecken umleiten oder auf öffentliche Verkehrsmittel. Innovative Mobilitätskonzepte wie zum Beispiel Ridesharing können die Straßen noch weiter entlasten. Automatisierte Straßen- und U-Bahnen können in kürzeren Taktzeiten fahren und damit mehr Menschen aufnehmen. Noch weiter lassen sich Verkehrsaufkommen zu Stoßzeiten und Pendelstress durch flexible Arbeitszeitplanung und Homeoffice mindern.
Ein weiteres Zukunftsbild setzt bei der Lebensqualität in Städten an. Es zeigt, wie die gemeinsame Nutzung von Sharing-Flotten, automatisiertes Parken und gebündelte Paktauslieferung eine Verkehrsreduzierung und menschengerechtere Flächennutzung ermöglichen: In einem Pilotquartier für automatisierte Mobilität wird der Parkraum in Tiefgaragen verlegt, sodass die gewonnenen Flachen als Grünflächen, Flaniermeilen und Spielplätze genutzt werden können. Bewohner und Besucher des Quartiers nutzen gemeinsam eine automatisierte Carsharing-Flotte. Ein intelligentes räumliches und zeitliches Parkraummanagement kann dabei helfen, parkende Fahrzeuge optimal über den Stadtraum zu verteilen und bringt der Stadt zusätzliche Einnahmen.
Zudem werden alle Pakete für das Quartier in Logistik-Hubs zusammengefasst und auf der „letzten Meile“ gesammelt durch einen Anbieter angeliefert. So wird eine Vielzahl von Lieferfahrzeugen für jeweils wenige Pakete vermieden und der Verkehr im Quartier insgesamt vermindert.
Im Zukunftsbild „Ländlicher Mobilitätshub“ wird beschrieben, wie vernetzte und autonome Mobilität zu einer deutlichen Attraktivitätssteigerung des ländlichen Raumes beiträgt. Neue Möglichkeiten des öffentlichen Verkehrs wie autonome Züge und autonom fahrende Bürgerbusse können auch in dünn besiedelten Regionen wirtschaftlich effizient betrieben werden und neue Mobilitätsangebote wie Bike- und E-Scootersharing mit geringem Investitionsbedarf senken die Reisezeit auf der letzen Meile ganz erheblich. So wird die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln mit der Ergänzung durch den ländlichen Mobilitätshub in der Fläche erst wirklich attraktiv.
Die hinter den Zukunftsbildern stehenden Forschungsbedarfe wurden in der acatech STUDIE detailliert erarbeitet.
Zukünftige Handlungsfelder
Die acatech STUDIE fokussiert sich auf die Vertiefungsthemen Kooperation unterschiedlich automatisierter Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr (z.B. die automatisierte Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Fahrradfahrern) und intelligente Mobilitätssteuerung (z.B. zentrale oder dezentrale Lösungen zur Optimierung des Verkehrsflusses). Auch sich daraus ergebende Bedarfe an Infrastruktur und Interoperabilität der Systeme werden adressiert. Über die technische Dimension hinaus erörtert sie die Rolle der Kommunen sowie Möglichkeiten gesellschaftlicher Partizipation als bedeutenden Faktor bei der Einführung neuer Technologien und der Mobilitätsplanung.
Die Rolle der Kommunen bei der anstehenden Transformation hin zur vernetzten Mobilität und die sich daraus ergebenden Herausforderungen und Gestaltungschancen werden in der acatech STUDIE detailliert beleuchtet. Es sind die Städte und Kommunen, die die zukünftige Mobilität entlang der Bedürfnisse der Menschen vor Ort gestalten können. Damit sind sie Schlüsselakteure im Mobilitätssystem der Zukunft. Abseits der Ballungsräume fehlt es allerdings an finanziellen Mitteln und den entsprechenden Kompetenzen, um die neuen Möglichkeiten des vernetzten und automatisierten Verkehrs zukünftig auch umsetzen zu können. Insbesondere der Zugang zu verkehrsrelevanten Daten ist wichtig, um ihrer integrierenden Rolle in einem Ökosystem für Mobilitätsdaten gerecht werden zu können. Vernetzte Mobilität als Teil der künftigen öffentlichen Daseinsvorsorge muss sowohl in Stadt und auf dem Land gelingen, um sich insgesamt durchsetzen zu können.
Von zentraler Bedeutung für den Erfolg der künftigen Veränderungsprozesse ist die gesellschaftliche Akzeptanz. Im Rahmen der Studie wurden deren Einflussfaktoren zusammengetragen, best practises analysiert und Vorschläge entwickelt, wie den Vorbehalten in der Bevölkerung mit Partizipation, Datenschutz und Transparenz begegnet werden kann, ohne die Dynamik der technischen Entwicklung und der neuen digitalen Geschäftsmodelle auszubremsen.
Daran anschließend formuliert die acatech Studie konkrete Handlungsfelder für den Weg in die Mobilität der Zukunft:
- Verkehrsträger vernetzen und zusammenführen
- Kommunen stärken und fit für die Gestaltung des automatisierten und vernetzten Fahrens machen
- Kooperations- und Interaktionsprinzipien für den Mischverkehr entwickeln
- Zulassungsmethoden für kooperative Fahrzeuge auf den Weg bringen
- ein Ökosystem für Mobilitätsdaten schaffen
- Intelligente Verkehrssteuerung einführen und föderale Kompetenzen abstimmen
- Erlebnis- und Experimentierräume mit gesellschaftlichem Dialog und Beteiligungsformaten verbinden
- in Forschung und Entwicklung investieren, Industrie und Wissenschaft stärken
Die Handlungsfelder sollten in den Augen der Projektgruppe von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft gemeinsam diskutiert und bearbeitet werden, um die vernetzte Mobilität der Zukunft zu ermöglichen und erfolgreich zu gestalten.
Organisation und Arbeitsweise
Im Projekt kamen über 50 Experten aus mehr als 30 Organisationen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammen. Zur strategischen Auseinandersetzung mit dem Thema Verkehr und Mobilität der Zukunft wurden themenspezifische Workshops abgehalten, deren Ergebnisse in den Zwischenbericht sowie die acatech STUDIE eingebracht wurden. Zu den Workshops wurden neben Mitgliedern der Projektgruppe auch externe Referenten und Referentinnen eingeladen. Hierbei wurden insbesondere auch Städte und Kommunen sowie Startups einbezogen. Themenspezifische Workshops und die Koordination durch ein acatech Redaktionsteam sorgten für eine agile Projektdurchführung.
Als Projektpartner stellte das Deutsche Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR) mit Prof. Dr. Karsten Lemmer, Vorstand für Energie und Verkehr, den Projektleiter und brachte die spezifische wissenschaftliche Expertise zum Thema ein.
Mitglieder der Projektgruppe
- Dr. Till Ackermann, Verband deutscher Verkehrsunternehmen
- Dr.-Ing. Uwe Becker, TU Braunschweig
- Michael Bültmann, HERE Deutschland GmbH
- Phillip Dahl, Fraunhofer EMI
- Susanne Ernst, TU Braunschweig
- Bernd Fastenrath, HERE Deutschland GmbH
- Bernhard Fehr, DLR
- Prof. Dr.-Ing. Thomas Form, VW AG
- Prof. Dr. Martin Fränzle, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, OFFIS
- Felix Grün, TU Braunschweig
- Dr. Ivo Häring, Fraunhofer EMI
- Kirstin Hegner, UnternehmerTUM
- Dr. Tobias Hesse, DLR
- Dipl.-Ing. Mathias Höhne, DLR
- Dr. Stefan Hopf, BMW Group
- Prof. Dr. Andreas Jain, Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften
- Dr. Johann Kelsch, DLR
- Dipl.-Ing. Sascha Knake-Langhorst, DLR
- Prof. Dr. Frank Köster, DLR
- Henry Kuhle, VDA
- Barbara Lausmann, Deutsche Bahn AG
- Prof. Dr. Markus Maurer, TU Braunschweig
- Kerstin Mayr, Robert Bosch GmbH
- Wiebke Metzler, Siemens Mobility GmbH
- Prof. Dr. Katharina Morik, TU Dortmund
- Stephan Pfeiffer, ioki – Deutsche Bahn AG
- Wolfram Pfister, Deutsche Bahn AG
- Christopher Plachetka, TU Braunschweig
- Dr. Uwe Pützschler, Nokia
- Jan Richelmann, TU Braunschweig
- Dr. Lutz Rittershaus, Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt)
- Jan Schepmann, VdTÜV
- Frank Schneider, VdTÜV
- Dr. Dustin Schöder, Deutsche Bahn AG
- Dr. Christoph Schroth, BMW Group
- Graham Smethurst, VDA
- Joerg Tegtmeier, Robert Bosch GmbH
- Dr. Chung-Anh Tran, Deutsch Bahn AG
- Dr. Jan Henrik Voß, Siemens Mobility GmbH
- Prof. Dr. Ralf Wörner, Hochschule Esslingen/Daimler AG
- Olaf Zinne, ZVEI e. V.
- Markus Zwick, Siemens Mobility GmbH
Weiterführende Informationen
Neue autoMobilität – Automatisierter Straßenverkehr der Zukunft (Phase 1)