Neue acatech HORIZONTE Quantentechnologien erklärt die „Quantessenz“

München, 9. Dezember 2020
Quantentechnologien bewegen sich in großen Schritten von der Grundlagenforschung hin zu konkreten Anwendungen, die die Spielregeln von Technologien und Märkten verändern. In den USA und China, aber auch in Deutschland und der Europäischen Union werden viele Milliarden investiert – verbunden mit der Hoffnung, sich in dem Zukunftsmarkt zu positionieren. Quantentechnologien bewegen sich außerhalb der klassischen Physik. Sie verstehen, oder gar erklären – das bleibt bislang wenigen Experten vorbehalten. Die neue Ausgabe der acatech HORIZONTE möchte das ändern. Sie erläutert fundiert und anschaulich die Grundprinzipien der Quantenphysik, die heutigen Möglichkeiten der Quantentechnologien und ihre Innovations- und Marktpotenziale.
Quanten und ihre Eigenschaften erleichtern uns schon lange das Leben: Ohne sie und ohne Quantentechnologien der ersten Generation gäbe es heute beispielsweise kein schnelles Internet, keinen Laser, keine Atomuhr.
Nun steht die zweite Generation der Quantentechnologien in den Startlöchern. Dazu gehören neben Quantencomputing, Quantenkommunikation und Quantenkryptografie auch weniger diskutierte, aber gerade für Deutschland wichtige Anwendungen wie Quantensensorik, die Quantenmetrologie sowie die quantenbasierte Bildgebung.
Quantentechnologien der zweiten Generation gründen auf Erkenntnissen der Quantenphysik, die die gezielte Manipulation von Quantensystemen ermöglichen und damit völlig neue Anwendungen. Teilweise ist das Wissen um zentrale Quantenphänomene (Verschränkung, Beobachtereffekt und Superposition) bereits seit Jahrzehnten vorhanden. Die technischen Möglichkeiten, die Theorie in der Praxis umzusetzen, gibt es aber erst seit wenigen Jahren. Die acatech HORIZONTE geben einen Überblick über beides, über die grundlegenden Quantenphänomene ebenso wie über den Stand der technologischen Anwendung.
Neben Universitäten und Forschungsinstituten arbeiten auch Unternehmen mit ihren Forschungs- und Entwicklungsabteilungen an der Entwicklung präziserer Sensoren, besserer Komponenten und innovativer Anwendungen. Das Innovationspotenzial der disruptiven Technologien ist enorm. Insbesondere in diesen Bereichen sehen die Autorinnen und Autoren Deutschland als “Laserland” gut aufgestellt.
Anwendungspotenziale der Quantentechnologien
Der sogenannte Quantenmehrwert ist unstrittig: Mit der Rechenleistung eines Quantencomputers werden wir in der Lage sein, bestimmte, hochkomplexe Berechnungen in Minuten, statt in Jahrzehnten durchzuführen. Die Einsatzgebiete reichen von der Klimaforschung bis hin zu der Entwicklung neuer Materialien oder Medikamente. Die optische Atomuhr kann die Erde in nie dagewesener Genauigkeit vermessen und kleinste Veränderungen sichtbar machen – oder aber den Blick ins Weltall revolutionieren. Die quantenbasierte Bildgebung macht biologische Prozesse auf kleinster Ebene sichtbar, die Quantensensorik Gehirnwellen.
Allerdings ist der Reifegrad der verschiedenen Quantentechnologien sehr unterschiedlich ausgeprägt. Deutschland ist vor allem bei den Basistechnologien und der quantenbasierten Sensorik, Bildgebung und Metrologie in einer sehr guten Ausgangsposition. So lassen sich beispielsweise Quantensensoren voraussichtlich in den nächsten ein bis zwei Jahren kommerziell fertigen. Der erste kommerziell nutzbare Quantencomputer wird dagegen noch Jahre auf sich warten lassen.
Von der Forschung zur Anwendungsreife
Europa ist in der Quantenforschung Spitzenreiter – hier entsteht jede zweite wissenschaftliche Veröffentlichung zum Thema. Unter den europäischen Ländern nimmt Deutschland den Spitzenplatz in der EU-Fördermittelvergabe im Bereich Quantentechnologien ein. Völlig offen ist der Wettlauf um die Spitzenpositionen im kommerziellen Quantenmarkt. Das Markt-Volumen ist aktuell klein, der Weg zur Marktreife lang und oft kostenintensiv, nicht nur beim Quantencomputing. Eine erfolgreiche Entwicklung dieser und weiterer Quantentechnologien der zweiten Generation verlangt einen langen Atem. Es braucht neben dem Kooperationswillen von Forschung und Unternehmen auch ausreichende Fördermittel und eine kluge Förderstrategie der Politik, um ein leistungsfähiges und wirtschaftlich erfolgreiches Quantentechnologie-Ökosystem in Deutschland aufzubauen.
Die Grundlagen aus der Forschung sind also für Deutschland und Europa gut, doch gerade auf dem Weg in die Anwendung gibt es viel zu tun:
- Interdisziplinäres Wissen ist gefragt: Neue oder auch angepasste Studiengänge und berufliche Weiterbildung an den Schnittstellen der Quantenphysik zu anderen Technologiefeldern wie dem Ingenieurwesen oder der Informatik schaffen einen breite Quantenkompetenz.
- Auf die Geschwindigkeit kommt es an: Kooperationen sowohl zwischen Forschung und Wirtschaft, aber auch zwischen Unternehmen verschiedener Branchen müssen rasch etabliert werden. Nur eine intensive Zusammenarbeit stellt einen schnellen Markttransfer von Forschungserkenntnissen sicher.
- Die Forschung muss mehr Kooperationswillen zeigen: Vor allem der Mittelstand würde enorm von gemeinsam nutzbaren Ressourcen profitieren, beispielsweise von Quantenrechenzentren. Umgekehrt benötigen Forschungsinstitute auch die Innovationsleistung der Wirtschaft, um ihre Projekte voranzutreiben.
- Strategisch kluge Förderprogramme senken Einstiegshürden: Wird Forschung- mit Wirtschaftsförderung verknüpft und werden Gemeinschaftsressourcen geschaffen, sinken sowohl für Startups als auch den Mittelstand die Einstiegshürden in den Quantenmarkt.
„Die Quantessenz“
Quantentechnologien haben großes disruptives Potenzial, die Erwartungen an den Mehrwert, den sie liefern sollen, sind hoch. Die Autorinnen und Autoren der acatech HORIZONTE Quantentechnologien um Artur Zrenner (Department Physik an der Universität Paderborn, acatech Mitglied) appellieren, einerseits im Sinne verantwortlicher Wissenschaftskommunikation Hype-Meldungen zu vermeiden und keine unrealistischen Erwartungen zu wecken. Andererseits fordern sie Geduld und Durchhaltevermögen für den Weg von der Forschung in die Anwendung. Sie erwarten, dass Anwendungen auch mittelfristig nicht in jeden Haushalt kommen, sondern in öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen zum Einsatz kommen. Drittens wünschen sie sich für Deutschland und Europa mehr Agilität und Risikobereitschaft. Große ausländische Tech-Firmen seien im Vorteil, da sie schneller und unkomplizierter agieren können und dafür auch die Mittel haben. Gerade deshalb sei es für Europa an der Zeit, große Quantensprünge – im umgangssprachlichen Sinne – zu wagen. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik haben es gemeinsam in der Hand, nicht nur den Forschungsstandort voranzubringen, sondern dank unternehmerischer Pionierleistung auch den Wirtschaftsstandort Deutschland an der Spitze des internationalen Wettbewerbs zu positionieren.
Über acatech HORIZONTE
Die Themenreihe „acatech HORIZONTE“ untersucht Technikfelder, die unseren Alltag grundlegend verändern, aber ihre Tragweite noch unklar ist. acatech möchte vorhandenes Wissen anschaulich und verständlich aufbereiten und eine Plattform bieten, solche Technologien differenziert zu bewerten und Handlungsfelder abzuleiten. Die Publikationen der „acatech HORIZONTE“ bilden einen breit angelegten Diskussionsprozess ab. Ein Begleitkreis mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Technikkommunikation und der Gründerszene berät acatech bei der Themenwahl.