Neuer SAPEA Bericht betont Bedeutung wissenschaftlicher Politikberatung
Berlin, 9. Juli 2019
Wissenschaftliche Politikberatung bringt der Politik vertiefte Einsichten und bessere Orientierungen, wenn es um komplexe Themen wie die Bewältigung globaler Herausforderungen oder den Klimawandel geht. Das ist die zentrale Botschaft der internationalen Arbeitsgruppe europäischer Expertinnen und Experten, die im Auftrag der Europäischen Wissenschaftsakademien (SAPEA) einen Bericht zur wissenschaftlichen Politikberatung erstellt haben.
Mehr denn je brauchen politische Entscheidungsträgerinnen und -träger heute qualitativ hochwertige und fundierte wissenschaftliche Beratung als Grundlage für ihre Entscheidungen. Doch – wie der neuste Bericht der europäischen Akademien hervorhebt – sind genau die politischen Fragen, für die wissenschaftliche Beratung am dringendsten benötigt wird, wie Klimawandel, Umweltverschmutzung, Wirtschaftskrisen sowie der digitale Wandel der Gesellschaft, besonders komplex und vieldeutig. Das bedeutet aber nicht, dass wissenschaftliche Expertise dort keine Rolle spielen sollte, sondern sie ist gerade dann von besonderem Nutzen, wenn das Wissen unsicher und die Implikationen der wissenschaftlichen Forschung Interpretationsspielräume eröffnen.
Die Herausforderungen wissenschaftlicher Politikberatung in Zeiten postfaktischer Verunsicherung werden in dem aktuellen von SAPEA veröffentlichten Bericht „Die Bedeutung wissenschaftlicher Politikberatung im Kontext wissenschaftlicher Komplexität und Ungewissheiten“ aufgegriffen. Der Bericht wurde von einer multidisziplinären Gruppe führender Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verfasst, die von Akademien aus ganz Europa nominiert und von der Academia Europaea, einem Mitglied des SAPEA-Konsortiums, koordiniert wurden. Der Bericht fließt in die Stellungnahme der Gruppe der wissenschaftlichen Chefberaterinnen und -berater der Europäischen Kommission ein.
Ortwin Renn, wissenschaftlicher Direktor am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam und Vorsitzender der SAPEA Expertengruppe, die den Bericht verfasst hat, erläuterte die Intention hinter dem Gutachten: „In der heutigen Welt der ‚Fake News‘ ist es von entscheidender Bedeutung, dass wir einen Überblick über die besten verfügbaren Erkenntnisse bekommen und sie den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern und der Öffentlichkeit in aller Klarheit kommunizieren. Wo wissenschaftliche Erkenntnisse ungewiss sind, müssen wir diese Ungewissheiten, Mehrdeutigkeiten und Spannungsfelder offen ansprechen und erläutern.“
Der Bericht betont, dass in demokratischen Gesellschaften öffentliche Kontrolle und Rechenschaftspflicht für politische Entscheidungen konstitutiv sind. Die Wissenschaft kann gerade bei komplexen Themen helfen, die Ausgangslage zu verdeutlichen, Handlungsoptionen aufzuzeigen und zu bewerten, Strategien vorzuschlagen, um Probleme zu lösen, sowie die Umsetzung der Ergebnisse zu überwachen (Monitoring). Die Entscheidungen selber sind aber den legitimierten Vertreterinnen und Vertreter der politischen Gremien vorbehalten. Strukturierte wissenschaftliche Politikberatung trägt damit konstruktiv zum gesellschaftlichen Diskurs über kontroverse Themen bei.
Weiter heißt es in dem Bericht: Wissenschaft ist eine von vielen Informationsquellen, die für die Politik relevant sind. Die besondere Stärke der Wissenschaft beruht darauf, dass sie auf fundierten Forschungsergebnissen, fortlaufender Analyse der wesentlichen Einflussfaktoren und dem Austausch mit der Wissenschaftsgemeinschaft weltweit basiert.
Wissenschaftliche Politikberatung wirkt dann am besten, wenn sie von dem Ideal der Ko-Kreation von Wissen und Handlungsorientierung zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern geleitet wird. Die Beziehung zwischen Wissenschaftsberatenden und politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern beruht auf dem Aufbau gegenseitigen Vertrauens und setzt voraus, dass sowohl die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als auch die Politikerinnen und Politiker ihre Werte und Ziele offenlegen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse beleben die gesellschaftliche Debatte und verbessern die politische Entscheidungsfindung. Allerdings ist wissenschaftliches Wissen nicht das einzige Wissen, das bei politischen Entscheidungen zählt. Auch das Erfahrungswissen und das lokale Wissen der Bürgerinnen und Bürger sollten nach Meinung der Kommission in den laufenden Prozess der Diskussionen zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern und der Öffentlichkeit einbezogen werden.
Sierd Cloetingh, Vorsitzender des SAPEA-Vorstands, fügte hinzu: „In welcher Form und in welchem Format wir den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern der Europäischen Kommission wirksame wissenschaftliche Beratung anbieten, ist eine wichtige Frage, die im Mittelpunkt der Aufgaben von SAPEA steht. Der jetzt vorgelegte Bericht ist ein grundlegender Beitrag zur künftigen Entwicklung der wissenschaftlichen Politikberatung. Es beruht auf der multidisziplinären Expertise einer Gruppe exzellenter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die alle über praktische Erfahrungen in wissenschaftlicher Politikberatung verfügen.“
Über SAPEA
acatech ist Koordinatorin des EU-Projekts SAPEA – Science Advice for Policy by European Academies. Die SAPEA-Evidenzberichte bilden das wissenschaftliche Fundament der Stellungnahmen der Group of Chief Scientific Advisors an die EU-Kommissare. Ziel ist es, wissenschaftliche Erkenntnisse auf europäischer Ebene wirksam und rechtzeitig in den politischen Meinungsfindungsprozess einfließen zu lassen. Die fünf europäischen Akademieverbünde Academia Europaea, ALLEA, EASAC, Euro-CASE und FEAM bündeln die Expertise von über hundert Akademien in mehr als 40 Ländern in Europa.
Weiterführende Informationen
SAPEA Bericht „Die Bedeutung wissenschaftliche Politikberatung im Kontext wissenschaftlicher Komplexität und Ungewissheiten.“ (Englisch)
SAPEA Pressemitteilung (Englisch)