New Work im Arbeitsanzug – HR-Debatte über einen Widerspruch, der keiner bleiben darf

München, 30. September 2022
Selten konzentrieren sich „New-Work“-Debatten auf die Beschäftigten in den Werkshallen. Doch ohne ein Update ihrer Arbeitsbedingungen bleibt die vernetzte Industrie 4.0 ein Luftschloss. Deshalb hat der HR-Kreis von acatech die dritte #FutureWorkDebatte am 28. September den Beschäftigten in Industrie und Produktion gewidmet. Ein Fazit: In Unternehmen, Politik und Arbeitnehmervertretungen fehlt es nicht an Bewusstsein – aber an Tempo. Die Gründe und der gemeinsame Weg in Formen der „New Work für Alle“ standen im Mittelpunkt der Debatte.
Hartnäckig halten sich tradierte Bilder industrieller Arbeit: Beschäftigte im „Blaumann“ halten Werkzeuge in der Hand und Fabriken in Schuss, während das Management Anzug und Kostüm vorsichtig durch Sneaker und Shirt ergänzt. Smartphone, Tablet und Notebook sind in diesem Klischee Sache von Management und Verwaltung. Heute jedoch werden Industrieprozesse über die gesamte Wertschöpfung hinweg und bis ins einzelne Produktionsstück digital vernetzt. Arbeitskräfte orchestrieren hochflexible und komplexe Prozesse. Dafür brauchen sie mehr Vertrauen und Selbstbestimmung, neue Fertigkeiten und digitale Helfer.
Die Modernisierung der Arbeitswelten muss also auch die Fabrikarbeit erreichen – darüber waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der dritten Online-Debatte „Fit for Future Work“ einig. Auf Einladung des acatech HR-Kreises diskutierten rund 70 Gäste über innovative Ansätze, aber auch über Gründe zögerlicher Fortschritte und gemeinsame Ansätze. Auf dem virtuellen Podium sprachen:
- Ana Dujić, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Abteilungsleiterin „Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft“
- Constanze Kurz, Robert Bosch GmbH, Stuttgart, Geschäftsführerin und Büroleitung Gesamtbetriebsrat Business Bereich Mobility Solutions und Konzernbetriebsrat
- Christina Ramb, BDA, Mitglied der Hauptgeschäftsführung
- Klaus Remmler, Knorr-Bremse AG, Konzernpersonalleiter
- Lutz Welling, Robert Bosch GmbH, kaufmännischer Werkleiter Werk Ansbach
- Frank Riemensperger, acatech Präsidium (Moderation)
Sehr deutlich wurde, dass digital unterstütztes Arbeiten nicht nur für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen essentiell ist. Für Beschäftigte entstehen Entwicklungschancen und attraktive, zukunftsfeste Arbeitsplätze. “New Work“ sei deshalb kein Modewort sondern „Zukunftssicherung“. Tradierte Klischees und starre, teils archaische Formen der Zusammenarbeit bringen „New Work“ und Fabrikarbeit häufig in einen Widerspruch, der keiner bleiben darf.
„New Work wird das neue Normal – und zwar nicht nur in Management, Verwaltung und bei den digitalen Nomaden: Auch in den Werkshallen wird digital unterstütztes, flexibles, selbstbestimmtes Arbeiten der Standard. Für Beschäftigte wird Arbeit abwechslungsreicher, freier und attraktiver. Zugleich erhalten sie mehr Überblick und einfacheren Zugang zu Weiterbildung. Für Unternehmen liegt darin die Chance, vernetzter, flexibler, kundenorientierter und damit wettbewerbsfähiger zu sein.“
Christina Ramb, BDA, Mitglied der Hauptgeschäftsführung
Ausstattung, Freiräume, aber auch die Qualifizierung der Beschäftigten waren zentrale Themen der Debatte: Deutschland sei durchaus ein Land der Weiterbildung. Große Summen werden hierzulande dafür ausgegeben. Doch viele Angebote seien zu kompliziert, unnötig teuer, langwierig von bürokratischen Hürden verstellt. Teils fehle auch Bewusstsein, wie wichtig einfach zugängliche Weiterbildung auch unterhalb der Management-Ebene ist. Zeit sei dabei nicht das Hauptproblem: Es gebe keine Produktionsprozesse ohne Leer- und Standzeiten. Zeit für Weiterbildung wäre also da – wenn sie Teil der Planung von Produktionsprozessen wird und digitale, niedrigschwellige Angebote verfügbar sind.
„Qualifizierung im Shop-Floor-Bereich bedeutet im Transformationsprozess Zukunftssicherung für Beschäftigte und Unternehmen. Zur Umsetzung sind innerbetriebliche Strategien erforderlich. Dabei sollte das Lernen für Shop-Floor-Beschäftigte positiv motiviert werden. Zielkonflikte zwischen Produktivität und Lernzeiten sind zu reduzieren. Dazu ist ein Alignment der gesamten Führung von Leitung bis Werkstattführung und mit der Arbeitnehmervertretung essenziell. Erforderlich sind Lernangebote, die die ganze Bandbreite an vorhandenen Qualifikationsniveaus berücksichtigen, und eine Begleitung der Mitarbeiter beim Lernprozess.“
Lutz Welling, Robert Bosch GmbH, kaufmännischer Werkleiter Werk Ansbach
Einige Hemmschuhe bremsen die Modernisierung der Arbeit in den Produktionsstätten. Zur Sprache kamen die in Deutschland detailverliebte Regulatorik und Bürokratie, eine teils noch in den 1980er Jahren verhaftete Arbeitsorganisation und eine oftmals mangelhafte Ausstattung der Belegschaften.
Beschäftigte ohne smarte Geräte und eigene digitale Identität im Unternehmen blieben blinde Flecken im digitalen Zwilling industrieller Prozesse. Damit fehlen ihnen die Grundvoraussetzungen vernetzten Arbeitens – und auch digitale, niederschwellige und zeitsparende Lernplattformen, mit denen sie ihre Kenntnisse neben und während der Arbeit ausbauen können.
„’New Work für alle durch Digitalisierung‘ heißt in Deutschland insbesondere auch ‚New Work in der Produktion‘! Die heutige Debatte hat klar differenziert: Moderne Fabrikarbeit geht nur mit digitaler Steuerung – effiziente Produktion in komplexen Wertschöpfungsnetzwerken ist vor allem auch ein ‚Digital Business‘. Es gibt aber noch große Potentiale für die digitale und individuelle Unterstützung der ‚Menschen‘ in der Produktion. Nicht jeder Blue Collar-Beschäftigte besitzt eine digitale Firmen-Identität und damit Zugang zu den Möglichkeiten der Digitalisierung wie digitale Weiterbildung, persönliche Werkzeuge für die Unterstützung der Arbeit und Möglichkeiten der individuellen Flexibilisierung des Arbeitens. Die Panellisten waren sich einig: Hier gibt es noch viele Potentiale für unseren Standort. Nicht zuletzt ist eine moderne digitale Unterstützung auch ein motivierendes Zeichen der Wertschätzung im Unternehmen, das die Mitarbeiterbindung stärkt.“
Frank Riemensperger, acatech Präsidium und Co-Gastgeber des acatech HR-Kreises
In der Debatte wurden Grundzüge einer „Digital Culture“ deutlich, an der auch Beschäftigte in der Produktion teilhaben: Diese beruhe auf flexibler Zusammenarbeit, Wertschätzung, Eigenständigkeit und adaptivem Lernen. „New Work“ erfordere eine positive Kommunikation, Transparenz und einen gewissen Konsens: Beschäftigte und ihre Vertretungen sowie Arbeitgeber können Zielkonflikte auflösen, indem sie gemeinsame Ziele und Prioritäten definieren. Wenn sie in diesem Sinne zu gemeinsamen Wegen finden, könne dies auch identitätsstiftend wirken.
Die Politik kann dafür Rahmenbedingungen setzen, Weiterbildung fördern, Experimentierräume ermöglichen und Akteure zusammenbringen. Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales eingerichtete „Denkfabrik Digitale Arbeitsgesellschaft“ bildet eine zentrale Anspielstation für Wissenschaft, Praxis und Sozialpartner.
Der Weg in die „New Work“ auf Ebene der Fabrikarbeit führt – so ein Fazit – über die zukunftsgerichtete Zusammenarbeit zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmervertretungen. Diese sollten die Digitalisierung weder als Bedrohung noch als Allheilmittel sehen, sondern als Hilfe und als Chance auf selbstbestimmtes und produktives Arbeiten.
Die Debatte berührte Faktoren und Hemmschuhe neuer, digital unterstützter Arbeitsformen. Henning Kagermann, der als acatech Präsident das Konzept der vernetzten Industrie 4.0 maßgeblich vorangetrieben hatte und auch zu den Initiatoren des acatech HR-Kreises gehört, fasste zum Abschluss der Debatte die Diskussionspunkte und gemeinsamen Ansätze der Runde zusammen:
„Wir brauchen ein Jahrzehnt der Erneuerung, auch in der Art, wie wir Arbeit denken, organisieren und ausstatten. Die digitale Transformation ist dafür der Schlüssel – doch wir brauchen nicht allein technologischen Wandel sondern auch Verhaltensinnovation. Damit ‚New Work‘ wirklich produktiv wird, sollten Politik und Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft in drei Handlungsfeldern zusammenarbeiten: Gemeinsam sollten sie Lebensbegleitendes Lernen unterstützen, Agilität und Anpassungsfähigkeit fördern und dabei Partizipation und Mitbestimmung sichern.“
Henning Kagermann, Vorsitzender des acatech Kuratoriums
Mitschnitt der Veranstaltung
Die dritte #FutureWorkDebatte am 28. September gibt es hier nochmal in voller Länger zu sehen (Video ist mit Zeitstempeln versehen).
Über die Debattenreihe Fit for Future Work
Wie diese Zusammenarbeit funktionieren kann und wie die Digitalisierung vom Schreckgespenst und mutmaßlichen Jobkiller zur Chance für gute Arbeit werden kann, bringen aktuelle Impulse des HR-Kreises auf den Punkt. In seiner Debattenreihe „Fit for Future Work“ stellt der HR-Kreis seine Thesen öffentlich zur Diskussion. Aktuelles und Positionen rund um die Debattenreihe in den sozialen Medien:
#FutureWorkDebatte