Nutztierhaltung – Herausforderungen und Alternativen
München, 10. Mai 2021
27 Millionen Schweine, 12 Millionen Rinder und 127 Millionen Geflügeltiere werden in Deutschlands Ställen gehalten. In seiner 2020 erschienenen Stellungnahme forderte der Ethikrat eine stärkere Achtung des Tierwohls in der Nutztierhaltung und steht höher entwickelten Tieren einen „Eigenwert“ zu, der in der Praxis oft nicht genug geachtet werde. Gleichzeitig steigt die globale Nachfrage nach tierischen Produkten. Wie lassen sich Ökonomie, Ökologie, gesellschaftliche Akzeptanz und soziale Verträglichkeit vereinbaren? Perspektiven in der Tierhaltung standen am 4. Mai im Zentrum einer Kooperationsveranstaltung von acatech und der Katholischen Akademie in Bayern.
Es sei Teil des Selbstverständnisses von acatech, über Themen zu informieren, Debatten anzuregen und Vorschläge zu erarbeiten, begrüßte acatech Präsident Jan Wörner das Publikum. Mit dem Thema Landwirtschaft beschäftigt sich die Akademie deshalb schon länger, wie zuletzt im TechnikRadar 2020 mit dem Schwerpunkt Bioökonomie. Auch Michael Zachmeier, Studienleiter der Katholischen Akademie in Bayern, stellte die Aktualität des Themas Tierhaltung heraus.
Nachhaltigkeit in der Tierhaltung sei im derzeitigen Ernährungssystem nicht erreichbar – mit dieser These begann Reiner Brunsch vom Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (Potsdam) seinen Impuls. Landwirtschaft müsse als Teil des Ernährungssystem verstanden und gesellschaftlich gesteuert werden, wobei Grenzen der Ökosysteme nicht überschritten werden dürften. Auch die Sozialverträglichkeit spiele eine große Rolle. Global müsse eine Landnutzungsänderung angepeilt werden, da momentan ein Großteil der Flächen für den Anbau von Tierfutter verwendet werden. Außerdem müssten ethische Aspekte des Nutzens und Tötens von Tieren bedacht werden. Zwar bedeute ethisch vertretbar nicht automatisch nachhaltig, dennoch könne es nachhaltige Tierhaltung ohne ethische Vertretbarkeit nicht geben!
Nachhaltigkeit mit ihren drei Säulen – Ökologie, Ökonomie und Soziales – sei eine zentrale Herausforderung für die Landwirtschaft, erläuterte der Landwirt und Bezirkspräsident des Bayerischen Bauernverbands Gerhard Stadler. Jeder dritte deutsche Bauernhof stehe in Bayern, etwa 1,2 Millionen Arbeitsplätze seien damit verbunden. Tierhaltung sei dabei ein wichtiges Standbein, um von der Landwirtschaft leben zu können. Landwirten sei es wichtig, dass es den Tieren gut geht. Gleichzeitig seien die Verbraucher oft nicht bereit, teurere Produkte, bei denen die Hersteller ein höheres Tierwohl garantieren können, zu kaufen. Ein nationaler Alleingang, durch den gesetzliche Standards angehoben und ein besserer Umgang mit Tieren vorgeschrieben werden könnte, treibe die Tierhaltung ins Ausland. Stattdessen brauche es andere Modelle, wie beispielsweise eine Finanzierung durch Steuern.
Keiner der Akteure sei hundertprozentig zufrieden mit der aktuellen Situation, stellte Inken Christoph-Schulz vom Johann Heinrich von Thünen-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, fest. Die meisten Verbraucher sähen sich in einem persönlichen Dilemma gefangen: der Wunsch nach mehr Tierwohl auf der einen Seite, der möglichst günstige Preis auf der anderen. Sie bekämen Informationen von den unterschiedlichsten Seiten, könnten diese aber nur schlecht bewerten. Landwirte orientierten sich am System der langen Abschreibungsfristen. Oft sei es ein zu großes Risiko, mehr Geld für höhere Tierwohlstandards auszugeben, da unklar sei, ob der Verbraucher den Preis bezahle. Der Einzelhandel liste das, was verkauft werde – und das seien meist die günstigeren Produkte. Die Lösung des komplexen Problems sei es, dass alle Akteure miteinander ins Gespräch kommen und den Mut aufbringen, Fragen zu stellen und zu beantworten.
In der anschließenden Podiumsdiskussion, moderiert von Bernhard Bleyer von der Technischen Hochschule Deggendorf, ging es vor allem um die Hebelpunkte einer Transformation der Landwirtschaft. Reiner Brunsch betonte, dass eine nachhaltige Tierhaltung erst dann möglich sei, wenn insgesamt weniger tierische Produkte konsumiert werden. Ein Tierwohllabel sei zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht ausreichend. Die Frage nach der Zukunft der Tierhaltung müsse als gesamtgesellschaftliche Herausforderung verstanden werden. Gerhard Stadler verwies auf die Notwendigkeit ganzheitlicher Ansätze. So müsse beispielsweise auch das Baurecht neu justiert werden. Regulatorische Maßnahmen seien unumgänglich, stellte auch Inken Christoph-Schulz heraus. Denkbar seien neben einer Tierwohlsteuer auch Mindestpreise für tierische Produkte.
Zielkonflikte zwischen Tierwohl, Ökologie und Ökonomie wurden in der offenen Diskussionsrunde am Ende der Veranstaltung thematisiert. Als Beispiel für derartige Konflikte führte Inken Christoph-Schulz das Zweinutzungshuhn auf: Es eignet sich sowohl als Legehuhn als auch zur Mast und liefert somit Eier und Fleisch. Dies verhinderte zwar das Töten von sogenannten „Eintagsküken“, verbrauche dafür aber auch mehr Ressourcen.