Perspektiven der Digitalpolitik
München, 24. Mai 2022
Wie steht es um die digitale Transformation in Deutschland? Diese Frage führt von der Beseitigung von Funklöchern über die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung bis hin zur digitalen Souveränität Europas. Digitalpolitik betrifft alle Politikfelder und digitale Transformation hält sich nicht an klassische Zuständigkeiten. Bei acatech am Dienstag in Kooperation mit dem Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation (bidt) diskutierten Expertinnen und Experten und Gäste der Dialogveranstaltung am 17. Mai darüber, wie der digitale Wandel gemeinsam und vor allem mit echtem Mehrwert für das Gemeinwohl gestaltet werden kann.
In seinem Impulsvortrag betonte Urs Gasser, Dekan der TUM School of Social Sciences and Technology, dass die Herausforderung für uns als Gesellschaft durch die Digitalisierung nicht technologischer, sondern menschlicher Natur sei. Es sei also nicht wie bei einer einzelnen technologischen Entwicklung, beispielsweise wie bei einer Maschine, klar was zu tun ist, damit diese funktioniere. Vielmehr sei es notwendig, offen und aus möglichst vielen Perspektiven auf das Thema zu schauen, um zu sehen in welcher Form digitale Anwendungen für uns funktionieren – oder eben nicht. Der Aufbau der von ihm verantworteten Fakultät an der TU München habe gezeigt, dass insbesondere die aus der Softwareentwicklung stammenden Vorgehensweisen einer agilen, in Netzwerken gedachten und explorativ angelegten Betrachtung von digitalem Wandel, diesem am besten gerecht werden. Die Rolle der Sozial- und Geisteswissenschaften sei es dabei Deutungsangebote zu machen und somit zu helfen, mögliche und wünschbare digitale Zukünfte auszuhandeln.
In Ihrem anschließenden Statement und der Podiumsdiskussion war es Elisa Lindinger, Mitgründerin des Berliner Think-Tanks „SUPERRR Lab“, ein Anliegen zu betonen, dass diese digitalen Zukünfte auch gerecht gestaltet werden sollten. Durch die Digitalisierungsprozesse würden vormals bestehende Ungleichheiten reproduziert und sogar verschärft. Die Gründung des Chaos Computer Clubs und anderer Initiativen (wie z.B. SUPERRR Lab) machten sich zur Aufgabe, singulären Geschäftsinteressen dienende Praktiken aufzudecken und sichtbar zu machen. Denn nur so könne auch das gemeinwohlfördernde Potenzial des digitalen Wandels gegenübergestellt werden, bei dem die digitale Infrastruktur und der Austausch von Daten vielmehr als ein zu förderndes Gemeingut betrachtet werden kann, innerhalb dessen aber auch entsprechende öffentlich ausgehandelte Spielregeln gelten müssen, so Elisa Lindinger.
Christoph Egle, wissenschaftlicher Geschäftsführer des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation (bidt), kritisierte das weit verbreitete Narrativ, nach dem Deutschland bei „der“ Digitalisierung hinterherhinke. Er bevorzugt eines, das zu proaktiverem und produktivem Handeln motiviert. Denn niemand verspürt große Lust bei dem Gedanken, aufholen oder nachziehen zu müssen. Vielmehr müsse ein eigener, zu den jeweiligen Strukturen und Bedürfnissen passender Weg eingeschlagen werden, der auch die eigenen Stärken und Ansprüche widerspiegelt. Folglich bedarf es keiner weiteren groß gedachten Digitalstrategie, die uns auf Augenhöhe bringen soll, sondern konkrete Ansätze wie in allen möglichen Bereichen (öffentliche Verwaltung, Mobilität, Bildung, Gesundheit usw.) digitale Lösungen umgesetzt werden können. Da die Digitale Transformation so viele Bereiche umfasse und in Deutschland noch dazu auf föderale Strukturen treffe, ist es seiner Ansicht nach notwendig, Kompetenzen und Zuständigkeiten in verschiedenen Ministerialebenen zu verankern. Nach dem Vorbild der Privatwirtschaft könne hierzu in jedem Ressort eine Digitaleinheit mit einem Chief Digital Officer (CDO) an der Spitze etabliert werden, der alle digitalen Wandlungsprozesse im jeweiligen Zuständigkeitsbereich kennt, zusammenführt und koordiniert.
Wir müssen zu einer „Kultur des Ausprobierens“ kommen und konkrete Handlungs- und Lösungsräume aufzeigen. Nur so ermöglichen wir eine innovative, kompetitive Digitalpolitik in Deutschland.
Dr.-Ing. Reinhard Ploss, Präsident acatech
Reinhard Ploss, acatech Präsident und ehemaliger Vorsitzender des Vorstandes der Infineon Technologies AG, bemerkte, dass Digitalisierung insbesondere in Unternehmen niemals Selbstzweck sei. Es sei gerade das Hervorheben des dadurch geschaffenen Mehrwerts und der Umsetzungsmöglichkeiten, welches erfolgreiche Digitalisierungsprozesse in der Wirtschaft ausmache. Bezogen auf die nötigen Handlungsräume hob Reinhard Ploss hervor, dass es auch eine schwierige Gratwanderung für den Gesetzgeber sei, nicht mit zu viel Restriktion den explorativen Einsatz von digitalen Technologien zu verhindern und gleichzeitig die hohen Ansprüche an Datensicherheit und -rechte der Bevölkerung zu wahren. Die auf europäischer Ebene verabschiedete Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sei hier ein gutes Beispiel. Laut Reinhard Ploss liefe vieles in Deutschland aber gar nicht so schlecht, wie es öffentlich verhandelt werde. Da wo es Sinn ergebe, werden digitale Technologien schon in großem Stil eingesetzt, nur traue man sich eben oft nicht der Erste zu sein. Als Beispiele für, aus seiner Sicht, notwendige und bereits angestrebte Kooperationen zwischen Industrie, Wissenschaft und öffentlichen Trägern nannte Ploss auch die von acatech koordinierten Datenräume, die es ermöglichen sollen, projektbezogen Daten zu teilen und so die Zusammenarbeit zu fördern.
Aufzeichnung der Veranstaltung:
Veröffentlicht am 2. Juni 2022
Dauer: 1 Stunde 48 Minuten 21 Sekunden
Fragen aus dem Publikum: