PISA-MINT…& more
11. Dezember 2023
Mit Überraschung und Bestürzung reagieren weite Teile der Gesellschaft, der Politik, der Wissenschaft und der Wirtschaft auf die neuesten Ergebnisse der PISA-Studie. Viele Begründungen werden gesucht, bis hin zu Verschwörungstheorien, dass das viel bessere Abschneiden der britischen Schülerinnen und Schüler an der gezielten Auswahl der Schulen liegen würde. Oder man begründet es rasch mit der Pandemie oder der Konzentration auf das Handy…
Entsprechend schnell werden dann auch neue oder längst bekannte Patentrezepte aus der Tasche gezogen, die durch Aktionismus das Problem zu lösen versprechen.
Für aufmerksame Personen ist das Ergebnis der PISA-Studie keine Überraschung, gab es doch zum Beispiel auch durch acatech STUDIEN immer wieder Hinweise darauf, dass die schulischen Leistungen, gerade in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik), zum Teil bedenklich sind.
Bevor wir über den Schülerinnen und Schülern den Stab brechen, sollte sich jeder und jede mal Gedanken machen über die eigene Position, das eigene Wissen und die eigene Bereitschaft, Neues zu lernen und zu verwenden.
Wie schnell hört man „In Mathematik war ich noch nie gut“ oder „Sprachen liegen mir nicht“ oder „Mit Politik habe ich nichts am Hut“. Die Fehleinschätzung dabei ist, dass die derartig bereichsbezogenen negativen Äußerungen nur das jeweilige Gebiet betreffen würden. Tatsächlich summieren sich die einzelnen negativen Äußerungen zu einem Gesamtbild, das dem Anspruch auf Bildung widerspricht. Fragen wir doch mal selbst:
- Können wir erklären, was unter einem Quantensprung zu verstehen ist?
- Wissen wir, was ein Lichtjahr ist?
- Was ist der 10er-Logarithmus von 1000?
- Kennen Sie noch die Definition von Sinus und Cosinus?
- Erinnern wir uns, wie die formal richtige Anwendung des Konjunktivs geht?
- In welcher Reihenfolge werden im englischen Satzbau Ort und Zeit genutzt?
- Kennen wir den Unterschied von Adagio und Allegro, Dominanten und Subdominante?
- Wie entstehen aus den Prozentanteilen der Wahlen die Sitze im Parlament?
- Was ist der Unterschied zwischen Bundestag und Bundesrat?
Eine Person, die das deutsche Schulsystem vor beliebiger Zeit erlebt hat, sollte die Fragen im Wesentlichen beantworten können.
Auch die „Quadratur des Kreises“ wird schnell mit „unlösbar“ gleichgesetzt, dabei gibt es Verfahren, die eine für die Praxis ausreichende Näherung darstellen.
Ich nutze diese Beispiele nicht, um anzuklagen, sondern um ganz gezielt weiter zu denken – über die Frage der Fähigkeiten in einem bestimmten Bereich hinaus.
Es ist offensichtlich, dass Bildung und Motivation die zentralen Aspekte der Zukunftsbewältigung sind, insbesondere vor dem Hintergrund des immer noch sehr zutreffenden Satzes von Antoine de Saint-Exupéry: „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.“
Im Englischen spricht man deshalb häufig nicht von STEM (Science, Technology, Engineering and Mathematics), sondern fügt ein A ein: STEAM, wobei A als „arts“ oder „any other subject“ verstanden wird.
Meine persönliche Erfahrung ist, dass Kinder und Jugendliche auch heute noch viel Neugier mitbringen, die auch für das Lernen motivierend wirkt: Seit vielen Jahren halte ich im Rahmen der Veranstaltung „Saturday Morning Physics“ an der TU Darmstadt einen Vortrag über Raumfahrt und erlebe eine große Anzahl von Schülerinnen und Schülern (und auch Lehrerinnen und Lehrern), die die Information nicht einfach konsumieren, sondern kritische Fragen stellen, sowohl über die Technik als auch über die Wirkungen. Gerne zeige ich dabei ein Video, bei dem die Orbitalfrequenzen des 39 Lichtjahre entfernten Sonnensystems Trappist-1 durch eine Multiplikation mit 212 Millionen für unsere Ohren hörbar und die harmonische Sortierung erkennbar wird.
Hören wir also auf mit der Schelte des Schulsystems und der vielen sehr eifrigen Lehrerinnen und Lehrer und der Suche nach einfachen Lösungen.
Die Herausforderungen Klimawandel, Konflikte, demographische Entwicklung u.v.m. dürfen nicht zu latenten „Problemen“ werden, denen man mit dem erhobenen Zeigefinger gegenüber anderen auftritt. Herausforderungen sind auch Chancen für eine bessere Welt.
Es geht also um einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz. Wenn es überhaupt ein „Rezept“ geben kann, dann muss es lauten: BILDUNG! Und diese ist nicht nur auf Schule, Ausbildung und Hochschulen begrenzt, sondern eine lebenslange Aufgabe für jede und jeden.
In diesem Sinn wünsche ich allen Leserinnen und Lesern dieses Blogs ein Frohes Weihnachtsfest und ein gutes, hoffentlich friedlicheres Jahr 2024.
Stimme Ihnen zu: Ja, man sollte sich immer zuerst an die eigene (Erwachsenen-) Nase fassen, bevor man über „die“ Jugend schimpft.
Wie wäre es mit Tests, bei dem jeder freiwillig seine eigenen Fähigkeiten einschätzen kann. Passend dazu sollte es allgemein anerkannte Niveaus geben, ähnlich wie bei die Abstufung bei Sprachen (A1 bis C2).
Die Festlegung solcher Niveaus für MINT-Fächer und entsprechende Tests, wäre für einen Verband wie acatech doch eine lohnenswerte Aufgabe.
sind wir weiter als 1997, https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Roman-Herzog/Reden/1997/04/19970426_Rede.html?