Professoren mit Praxiserfahrung vermisst – Technikwissenschaften brauchen neue Berufungskriterien
Berlin, 26. April 2018
Technikwissenschaftliche Fächer brauchen eigene, adäquate Qualitätskriterien für die Bewertung von Forschungsleistungen und die Berufung von Professorinnen und Professoren. acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften formuliert in einem heute veröffentlichten Positionspapier zehn Qualitätskriterien, die in einem breiten Meinungsbildungsprozess entstanden sind. Insbesondere sollen konkrete Entwicklungen und die Zusammenwirkung im Innovationssystem ebenso stark gewichtet werden wie Publikationslisten. In einer zweiten acatech POSITION fordert die Akademie mehr Berufungen von praxiserfahrenen Professorinnen und Professoren in den Technikwissenschaften.
Die Verbindung von Grundlagenforschung, Entwicklung und Umsetzung in konkreten Technologien ist die Aufgabe der Technikwissenschaften. Die Anzahl an Publikationen oder an Zitationen stellt nur ein Kriterium unter anderen dar. Deshalb brauchen die Technikwissenschaften eigene Kriterien, mit deren Hilfe sich Qualität bewerten lässt. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Wolfgang König (TU Berlin) hat zehn Kriterien erarbeitet, welche die Akademie in einer acatech POSITION zusammenfasst. Wolfgang König: „In der Bewertung wissenschaftlicher Leistungen sind allgemein englischsprachige Publikationen besonders wichtig. Gemessen werden sie beispielsweise im Hirsch-Faktor oder im Impact-Faktor. Internationale Publikationen sind jedoch nicht die vordringliche Aufgabe der Technikwissenschaften – hier geht es um die Entwicklung konkreter Technologien und die interdisziplinäre Zusammenarbeit im Innovationssystem.“
Als Qualitätskriterien für die Technikwissenschaften schlägt acatech vor:
- Publikationen – nicht allein gemessen am Impact im globalen Wissenschaftssystem sondern auch an Nutzen und Wirkung im nationalen Innovationssystem
- Drittmittel – gemessen an der Zahl der eingeworbenen Stellen
- Zahl der betreuten Promotionen und Habilitationen und Qualität der Betreuung
- Leitung und Beteiligung an Forschungsverbünden
- Patente und insbesondere Lizenzen für die Anwendung
- Ausgründungen – verbunden mit Kriterien wie der Anzahl an geschaffenen Arbeitsplätzen oder der Höhe des Umsatzes
- Organisation anerkannter wissenschaftlicher Veranstaltungen
- Internationaler Wissensaustausch, für den beispielsweise wechselseitige Gastaufenthalte einen Indikator darstellen
- Das – zumeist ehrenamtliche – Engagement in Wissenschaft und Wissenschaftsförderung: Dazu gehören Positionen in wissenschaftlichen Gesellschaften und Vereinen, in Standardisierungsgremien, in der Selbstverwaltung der Wissenschaft oder in Fördereinrichtungen
- Wissenschafts- und Innovationspreise sowie Auszeichnungen
Mehr praxiserfahrene Professorinnen und Professoren an deutschen Universitäten
Mehr praxiserfahrene Professorinnen und Professoren an deutschen Universitäten
Ein zweites Positionspapier setzt sich – anschließend an die formulierten Qualitätskriterien – für entsprechende Berufungen von Professorinnen und Professoren ein. Wolfgang König: „Wir beobachten, dass bei Berufungen Praxiserfahrung als Auswahlkriterium an Gewicht verliert. Das ist ein problematischer Trend.“ acatech Präsident Dieter Spath unterstreicht die Bedeutung des Praxistransfers: „Gerade der Transfer zwischen Forschung und Anwendung in Unternehmen macht die Stärke eines Innovationssystems aus. Dafür brauchen wir Professorinnen und Professoren, die die Brücke zwischen Forschung und Praxis in beide Richtungen überqueren.“
acatech fordert entsprechend Hochschulen auf, Kriterien jenseits der Publikationsleistung stärker zum Maßstab von Berufungen zu machen – wie sie die aktuelle acatech POSITION zum Thema vorschlägt. Eine reine Hochschullaufbahn sollte nicht zur Regel werden. Außerdem sollten Politik und Hochschulleitungen Freiräume für selbstverantwortete Forschung und Lehre schaffen, um den Weg von der Wirtschaft zurück in die Wissenschaft attraktiver zu machen. Dies könnte durch die Reduktion der individuellen Lehrbelastung gelingen. Im Gegenzug sollte die Wirtschaft Publikationsmöglichkeiten für ihre leitenden Beschäftigten erweitern, um deren Chancen auf eine Berufung an Hochschulen zu erhöhen.