Quantentechnologien – ein Blick in die Zukunft

München, 22. April 2021
Wir leben in einer Informationsgesellschaft, die alles möglich zu machen scheint: schnelles Internet, Bild und Ton in höchster Qualität, virtuelle Realitäten, soziale Vernetzung. Nun machen sich die Quantentechnologien auf, die Grenze des Möglichen nochmal zu verschieben. Über die genauen Potenziale der Technologien sprach acatech Mitglied Artur Zrenner (Universität Paderborn) bei acatech am Dienstag am 13. April. Die Begrüßung übernahm Jan Wörner, der neue Präsident der Akademie. Die Veranstaltung fand in Kooperation mit vhs-wissen.live statt und zog erstmals über 1200 Interessierte an.
Über Quantentechnologien wird derzeit viel berichtet. Vor allem die Schlagzeilen über einen Durchbruch bei Quantencomputern haben für Aufsehen gesorgt. Dabei erleichtern uns Quanten und ihre Eigenschaften schon lange das Leben: Ohne sie gäbe es heute beispielsweise kein schnelles Internet und keinen Laser. Einzelne Quanten lassen sich mit bloßen Sinnen nicht wahrnehmen. Was sind sie also überhaupt? acatech Mitglied Artur Zrenner (Universität Paderborn) begann seinen Vortrag bei acatech am Dienstag am 13. April mit einem geschichtlichen Abriss: Europäische Physiker spielten bei der Entdeckung der Quanten und ihrer außergewöhnlichen Eigenschaften eine maßgebliche Rolle. Anhand ihrer nobelpreiswürdigen Experimente und Entdeckungen lässt sich die Entwicklung der Quantenphysik nachvollziehen.
Den Grundstein für diese Technologien legten vor über hundert Jahren Theoretiker wie Max Planck, Albert Einstein, Niels Bohr, Werner Heisenberg und Erwin Schrödinger sowie eine Reihe von Experimentalphysikern wie Ernest Rutherford, Otto Lummer, Ernst Pringsheim und Wilhelm Wien. Sie stellten mit ihrer Forschung ihr eigenes Weltbild auf den Kopf: Bis dahin war die Forschungsgemeinschaft der Physikerinnen und Physiker davon ausgegangen, dass sie mit den bisherigen physikalischen Erkenntnissen das Universum verstehen und die Welt um uns herum in Gänze beschreiben könne. Im mikroskopischen Bereich beobachtete man jedoch Anfang des 20. Jahrhunderts einige Phänomene, die sich nicht allein durch klassische Physik erklären ließen. Hier setzt die Quantenphysik an.
Quantentechnologien der ersten und der zweiten Generation
Es ist sehr schwierig oder sogar unmöglich, Quantentechnologien der sogenannten ersten und zweiten Revolution ganz trennscharf voneinander abzugrenzen. Fachleute bevorzugen für die verschiedenen Fortschrittslevel von Quantentechnologien deshalb den Begriff „Generation“. Um die Quantentechnologien in Generationen einteilen zu können, bietet sich folgende gedankliche Unterscheidung an: Für die Erfindungen der ersten Generation – wie Laser oder Atomuhr – wurden die Quanteneigenschaften eher „einfach nur“ kollektiv genutzt. In der zweiten Generation versuchen Physikerinnen und Physiker nun, diese Eigenschaften beziehungsweise den Zustand von individuellen Quantensystemen gezielt zu manipulieren, um neue Funktionalitäten zu schaffen. Insbesondere die systematische Nutzung der Verschränkung ist ein Merkmal der zweiten Generation. Letzten Endes ist die genaue Abgrenzung beider Generationen nebensächlich. Wichtig ist nur, zu verstehen, dass man mit Quantentechnologien enorm leistungsfähige Computer, bessere Sensoren, Komponenten und Anwendungen entwickeln und bereitstellen kann, beziehungsweise können wird.
Potenziale für Wirtschaft und Gesellschaft
Vor allem in der Magnetfeld- und der Schwerefeldmessung hat die neue Generation der Quantensensoren das Potenzial, aktuelle Sensorkonzepte um ein Vielfaches zu übertreffen. Fortschritte in der Magnetfeldmessung könnten vor allem in der medizinischen Diagnostik zur Messung von Magnetfeldern des Gehirns und von Gehirnströmen von Nutzen sein. Eine verbesserte Schwerefeldmessung der Erde kann hingegen helfen, ein besseres Bild des Erdinneren zu liefern. Dies könnte vor allem als Frühwarnsystem bei Erdbeben und Vulkanausbrüchen, beim Aufspüren von Bodenschätzen helfen. Die Effekte auf die Gesellschaft könnten enorm sein. Sollte man durch Quantensensorik riesige Vorkommen an neuen Ressourcen entdecken oder Krankheiten frühzeitig besser erkennen können, würde die Gesellschaft sehr davon profitieren. Mit Quantencomputern wird man in der Lage sein, schwierige oder bisher als unlösbar eingestufte Probleme zum Beispiel in der Material- und Molekülforschung zu lösen. Die Arbeiten dazu werden im wissenschaftlichen Umfeld und in den Forschungsabteilungen von Konzernen erfolgen, die erzielten Fortschritte werden aber uns allen zugutekommen.
Zum Vortrag von Professor Zrenner:
Prof. Dr. rer. nat. Artur Zrenner ist Professor für Experimentalphysik an der Universität Paderborn. Er forscht auf dem Gebiet der Optoelektronik und Photonik mit Quantensystemen. Im Rahmen eines aktuellen DFG Sonderforschungsbereichs beschäftigt er sich mit photonischen Quantentechnologien für eine sichere Datenübertragung. Seit 2014 ist Prof. Zrenner Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) und Sprecher des Themennetzwerks Nano- und Quantentechnologie.
Veröffentlicht am 26. April 2021
Dauer: 1 Stunde 8 Minuten und 43 Sekunden
Im Anschluss an den Vortrag von Artur Zrenner schloss sich eine Fragerunde an. Eine Auswahl der Fragen, die vom Publikum gestellt wurden, sowie die dazugehörigen Antworten von Artur Zrenner finden Sie hier im Anschluß:
Wann werden Quantencomputer für privat Personen kommen, also sowas wie ein PQC?
Selbst wenn ein voll funktionsfähiger, skalierbarer Quantencomputer irgendwann entwickelt ist, wird dieser aufgrund der aufwendigen Hardware vermutlich nicht bei jeder Privatperson in der Wohnung stehen, sondern eher als Co-Prozessor im großen Rechenzentrum von Unternehmen neben anderen klassischen Rechnern für ganz spezielle Aufgaben genutzt werden. Quantencomputer sollen zumindest in der gegenwärtigen Vorstellung also nicht die klassischen Computer ersetzen, sondern ganz spezifische Probleme bewältigen und herkömmliche Rechner komplementieren. Man soll zwar niemals „nie“ sagen – man dachte zu Beginn des Informationszeitalters auch, der klassische Computer würde sich nicht allgemein durchsetzen –, vor übertriebenen Erwartungen sei an dieser Stelle jedoch gewarnt.
Was glauben Sie, an welcher Stelle werden Quantencomputer/ Quantentechnologien in Zukunft unseren Alltag am stärksten verändern?
Im Unterschied zu Quantentechnologien der ersten Generation ist es dank technischem Fortschritt heute möglich, einzelne Quantensysteme kontrolliert zu manipulieren – mit dem Ziel, bahnbrechende innovative Technologien zu entwickeln. Dem Quantencomputer wird unter allen Quantentechnologien der zweiten Generation zweifelsohne das größte Potenzial für bahnbrechende Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft zugeschrieben, auch weil viele Verschlüsselungsmethoden, die wir momentan verwenden, durch einen Quantencomputer leicht „geknackt“ werden könnten. Ob der Quantencomputer tatsächlich die gesamte Computerindustrie und unser Leben bahnbrechend verändern oder sich die Erwartungen an ihn nicht erfüllen werden, kann niemand vorhersehen. Für Privatpersonen werden die Quantentechnologien als Teil von Geräten und Dienstleistungen, die allen zugutekommen, im Alltag unsichtbar bleiben. Firmen und Regierungen werden voraussichtlich zunächst diejenigen sein, die Quantentechnologien tatsächlich anwenden.
Unsere heutigen kryptografischen Verschlüsselungsverfahren wären mit dem Einsatz von Quantencomputern nicht mehr sicher. Gibt es bereits eine Quantenverschlüsselung?
Wird der Quantencomputer realisiert, kann sich das auch auf die Sicherheit unserer Kommunikation auswirken: Denn ein Quantencomputer könnte viele Verschlüsselungsmethoden, die wir gegenwärtig verwenden, „knacken“. Deshalb müssen unsere Sicherheitssysteme grundlegend überdacht und überarbeitet werden, um die Sicherheit unserer Kommunikation auch für die nächsten Jahrzehnte gewährleisten zu können. Hier setzen die Quantenkommunikation und die sogenannte Quantum-Safe-Kryptografie (diese wird häufig auch als „Post-Quantum-Kryptografie“ bezeichnet) an, deren Verschlüsselung selbst ein Quantencomputer nicht knacken kann.
Wie sind wir in Deutschland in Sachen „Quantentechnologie“ aufgestellt?
In der Quantenmetrologie, Quantensensorik und quantenbasierten Bildgebung ist Deutschland schon jetzt insgesamt hervorragend aufgestellt. Das ist wichtig, denn hier erhofft man sich auch in Zukunft weitere Durchbrüche, beispielsweise in der (Bio-)Medizin oder der Bodenerkundung. Die Fortentwicklungen der Quantentechnologien der ersten Generation, bei denen Deutschland als „Laser-Land“ bereits gut vertreten war, sind auch hier enorm wichtig, weil die industrietaugliche Umsetzung innovativer Quantenkonzepte erst durch den unterstützenden Einsatz moderner photonischer Technologien ermöglicht wird. Das kommt dem Entwicklungsstandort Deutschland bei der Entwicklung von Quantenmetrologie, Quantensensorik und quantenbasierter Bildgebung entgegen. Besonders der deutsche Mittelstand ist in den Bereichen Laser und Sensorik sehr stark. Hier stehen die Chancen gut, als Vorreiter oder auch als Zulieferer von hochwertigen Komponenten neue Märkte zu erschließen.
Was machen andere Länder anders?
Wir haben in Deutschland gewisse Denkstrukturen, die die Politik nicht einfach per Hebel ändern kann. In anderen Ländern werden neue Technologien oft mit mehr Optimismus und vor allem mit mehr Risikobereitschaft vorangetrieben und sind auch von der Gesellschaft akzeptiert. Wissenschaftler werden in Deutschland eher für neue Ideen anerkannt und weniger für deren Transfer in die Anwendung.