Raus aus der „Wegwerfgesellschaft“, hinein in eine Circular Economy
München, 10. Juni 2021
Am 12. Mai 2021 hat Bundesumweltministerin Svenja Schulze das neue Klimaschutzgesetz vorgestellt. Eine der zentralen Änderungen sind ehrgeizigere Klimaziele. Bis 2030 müssen verglichen mit dem Jahr 1990 mindestens 65% der Treibhausgase eingespart werden (statt bisher nur 55%), bis 2040 mindestens 88%. Wir haben mit acatech Vizepräsident Thomas Weber (Vorsitzender der Circular Economy Initiative Deutschland), Susanne Kadner (Leiterin der Geschäftsstelle der Circular Economy Initiative Deutschland) und Martin Stuchtey (Gründer und Managing Partner von SYSTEMIQ, Mitgründerin und Kooperationspartnerin der Circular Economy Initiative Deutschland) darüber gesprochen, wie eine Circular Economy dazu beitragen kann, diese Ziele zu erreichen.
Von links nach rechts: Susanne Kadner, Thomas Weber und Martin Stuchtey (Foto: SYSTEMIQ)
Frau Kadner, wie beeinflusst unsere aktuelle Art zu Wirtschaften das Klima?
Susanne Kadner: Mit unserer bisher vorherrschende Produktions- und Konsumlogik des „take, make, waste“ – im deutschen Sprachgebrauch pointiert auch als „Wegwerfgesellschaft“ umschrieben – stoßen wir zunehmend an die planetaren Belastungsgrenzen. Die Förderung und Veredelung natürlicher Ressourcen verursacht 50 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen und 90 Prozent des globalen Biodiversitätsverlusts und des Wasserstresses. Ressourcenverbrauch, Klimawandel und der Verlust von Biodiversität gehen also Hand in Hand. Mit den Hebeln einer Circular Economy können wir diese Krisen gleichzeitig adressieren – und somit entsprechend auch dazu beitragen, dass die Klimaziele erreicht werden.
Was sind denn die Hebel einer Circular Economy und welchen Effekt haben sie?
Susanne Kadner: Solche Hebel können zum Beispiel eine längere Nutzungsdauer und eine intensivere Ausnutzung von Produkten oder deutlich mehr und hochwertigeres Recycling sein. Das Wuppertal Institut hat für unsere kürzlich erschienene Circular Economy Roadmap für Deutschland eine Modellierung erstellt, die zeigt, dass mit diesen Hebeln bis zum Jahr 2050 die gesamte Menge an Primärrohstoffen um 68 Prozent gegenüber 2018 reduziert werden kann. Damit es uns gelingt, das Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln, müssen wir die Entstehung neuer Wertschöpfungskreisläufe unterstützen und überall dort wo es möglich ist Material- und Energiekreisläufe optimieren und soweit wie möglich schließen.
Herr Weber, können Sie Beispiele nennen, wo die von Frau Kadner beschriebenen Hebel greifen könnten?
Thomas Weber: Gern. Durch die Gestaltung einer Kunststoffkreislaufwirtschaft können wir zum Beispiel dem Abfallproblem begegnen, denn bislang werden beispielsweise nur 47 Prozent der Kunststoffverpackungen werkstofflich verwertet. Maßnahmen reichen von innovativen Verpackungsmaterialien und -designs über verbesserte Sammlung und Trennung hin zu neuartigen Recyclingtechnologien. Ein anderes Beispiel aus der Automobilindustrie sind Batterien für die Elektromobilität – sogenannte Traktionsbatterien. Hier kann aus einem Ressourcenengpass eine neue Dienstleistungsbranche entstehen. Dazu müssen wir drei Hebel in Gang setzen: Erstens müssen wir Informationen über diese Batterien „sammeln“ sie digital zur Entscheidungsfindung bereitstellen – hierfür wäre ein sogenannter „Batteriepass“ geeignet, zweitens benötigen wir eine Plattform für die Modellierung der besten Weiterverwendung am Ende der Lebensdauer der Batterie und drittens ein Demontagenetzwerk, das die Europäische Recyclinginfrastruktur passgenau zur Marktentwicklung ausbaut. Dabei gibt es die Chance, die Digitalisierung und neue innovative Konzepte zu nutzen.
Welche politischen Rahmenbedingungen sind dafür notwendig?
Thomas Weber: Eine unserer zentralen Empfehlungen an die Politik, die wir in unserer kürzlich erschienenen Circular Economy Roadmap für Deutschland formulieren, lautet: Wir müssen nicht nur in Deutschland, sondern auf EU-Ebene und zum Teil sogar global klare Ziele für Recycling und Rückgewinnungsraten von jedem wichtigen Batteriematerial sowie Standards für die Berechnung von CO2-Fußabdrücken für Rezyklate, Primärmaterialien und ganze Produkte, wie etwa Batteriesysteme, setzen. Die EU-Kommission hat mit dem Entwurf der Batterieregulierung bereits einen Vorschlag für einen neuen Rechtsrahmen gemacht. Es ist jedoch alles andere als einfach, die dynamischen Daten des Batterielebenszyklus transparent, robust und sicher zur Verfügung zu stellen und dabei das geistige Eigentum zu wahren. Hier braucht es neue Standards und die intensive Kooperation aller Stakeholder.
In diesem Fall ist also die EU gefragt. Herr Stuchtey, gibt es auch Empfehlungen, mit denen Sie sich direkt an die Bundespolitik richten?
Martin Stuchtey: Eine Circular Economy kann nicht alleine in Deutschland umgesetzt werden. Hier müssen wir Europa- und weltweit Kräfte bündeln. Daher sollten Bundespolitikerinnen und -Politiker die Weiterentwicklung zu einer Circular Economy innerhalb der Europäischen Union als Impulsgeber vorantreiben. Wir brauchen zum Beispiel eine Neuausrichtung finanzieller Anreize – inklusive Steuern, Subventionen und Bepreisung von Umweltschäden – zur Unterstützung von klima- und ressourcenoptimalen Wirtschaftsentscheidungen. Sprich: wir müssen wirtschaftliche Akteure entsprechend der Höhe ihrer Ressourcenverbrauche und Umwelteffekte belasten, beziehungsweise entlohnen. Unterstützen würden solche Maßnahmen dann sowohl den Schutz des Klimas und der Biodiversität als auch die Entwicklung innovativer digitaler Geschäftsmodelle nach dem Vorbild von Industrie 4.0.
Wie kann eine solche Maßnahme aussehen?
Martin Stuchtey: Ein Beispiel für eine solche Maßnahme ist die Verschiebung von Abgaben in Richtung der Bepreisung von CO2 und Ressourcennutzung – wobei es parallel hierzu weiterer wissenschaftlicher Analysen der Wirkung solcher Maßnahmen bedarf. Existierende Emissionspreissysteme wie der EU ETS oder die deutsche CO2-Abgabe können als Vorbilder dienen, bedürfen aber noch Optimierungen.
Herr Weber, gibt es denn auch Maßnahmen, die Unternehmen schon jetzt auf den Weg bringen können, unabhängig von politischen Rahmenbedingungen?
Thomas Weber: An unserer Initiative sind neben unseren Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und zivilgesellschaftlichen Organisationen auch 23 Unternehmen beteiligt und wir haben schnell bemerkt: Viele Unternehmen unterstützen eine industrie- und umweltpolitische Orientierung explizit. Aufgabe der Unternehmen selbst ist es, neue innovativen Konzepte und Technologien für zirkuläre Geschäftsmodelle zu schaffen und dann auch zügig in der Praxis umzusetzen. Viele Vorstöße sind schon jetzt möglich – dennoch braucht es natürlich einen politischen Rahmen, der die richtigen ökonomischen Anreize setzt und in dem ordnungsrechtliche Instrumente Orientierung geben.
Das Interview führte Marieke Schmidt