acatech, KfW und Deutsche Börse legen Handlungsempfehlungen zur Stärkung der Wachstumsfinanzierung vor
Berlin, 29. März 2019
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat mit seinen Vorschlägen für eine industriepolitische Strategie eine teils kontroverse Debatte ausgelöst. Unbestritten ist: Wir brauchen mehr erfolgreiche und innovative Wachstumsunternehmen. Sie können mit ihren Ideen Märkte verändern, neue Märkte schaffen und sind vielleicht der Mittelstand von morgen. Allerdings ist die Wachstumsfinanzierung nach wie vor eine zentrale Schwäche des deutschen Innovationssystems. Vor diesem Hintergrund haben acatech, KfW und Deutsche Börse gemeinsame Handlungsempfehlungen vorgelegt. Die Kernbotschaft lautet: Die Anstrengungen zur Mobilisierung inländischen Wagniskapitals in Venture-Capital-Fonds sind bestenfalls die halbe Miete. Zur Stärkung des Ökosystems für Wachstumsfinanzierung besteht an zwei weiteren Stellen Handlungsbedarf: Bei zusätzlichen Finanzierungsinstrumenten wie Venture Debt und „geduldigem Kapital“ sowie bei der Zusammenarbeit von Wachstumsunternehmen mit etablierten Unternehmen.
In Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern reißt die Finanzierungskette für aufstrebende Unternehmen häufig in ihrer Wachstumsphase ab. Zum Vergleich: In Asien werden in dieser Phase im Schnitt pro Wachstumsunternehmen rund 60 Millionen Euro investiert – viermal so viel wie in Europa. Das hat Folgen: Viele betroffene Unternehmen holen sich ihr Kapital von ausländischen Investoren und wandern später vollständig ins Ausland ab.
Ein gemeinsames Projekt von acatech, KfW und Deutsche Börse nimmt das Problem der Wachstumsfinanzierung in den Blick und konzentriert sich dabei vor allem auf Hightech-Wachstumsunternehmen im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Gerade dort liegen in Deutschland vielfältige Chancen: Es sind die wissensintensiven Hightech-Unternehmen, die technologiegetriebene Innovationen hervorbringen und deren Geschäftsmodelle auf industrielle Anwendungen im B2B-Bereich abzielen.
In dem breit angelegten Stakeholder-Projekt „Innovationskraft in Deutschland verbessern: Ökosystem für Wachstumsfinanzierung stärken“ hat acatech erstmalig zentrale Akteure aus der Technologie- und Finanz-Szene zusammengebracht, um gemeinsam Handlungsempfehlungen für die Wachstumsfinanzierung speziell im Hightech-Bereich zu formulieren. Die Empfehlungen beziehen sich dabei nicht nur auf die Mobilisierung klassischen Wagniskapitals. Es geht vor allem auch um die Schnittstellen von Hightech-Wachstumsunternehmen, Wissenschaft und etablierten Unternehmen (KMU und Großkonzerne). Sie sind der Schlüssel zu einer aussichtsreichen Wettbewerbsposition Deutschlands im Rennen um die Digitalisierung der Industrie.
„Der Mangel an adäquater Wachstumsfinanzierung bleibt eine zentrale Schwäche des deutschen Innovationssystems. Impulse zur Stärkung der Kapitalbildung in der Wachstumsphase würden hierzulande mehr Börsengänge ermöglichen, Investitionen in Unternehmen attraktiver machen und damit eine größere inländische Szene für Venture Capital etablieren“, erläutert Ann-Kristin Achleitner, acatech Präsidiumsmitglied und Leiterin des Projekts. „Allerdings, so wichtig das klassische Wagniskapital-Modell ist: nicht alle Finanzierungsbedarfe lassen sich dadurch abbilden. Wir müssen eine Erweiterung der Instrumente zur Außenfinanzierung vorantreiben.“
Dazu Reiner Braun, Co-Projektleiter und Inhaber des Lehrstuhls für Entrepreneurial Finance an der TU München: „Wachstumsunternehmen brauchen einen besseren Zugang zu sogenanntem geduldigerem Kapital, damit sie über einen längeren Atem verfügen und aus komplexen innovativen Technologien auch innovative, disruptive Geschäftsmodelle entwickeln können.“ Zudem müsse eine noch intensivere Zusammenarbeit zwischen etablierten Unternehmen und Wachstumsunternehmen erreicht werden. „Vom Wissen und den Ideen der Hightech-Wachstumsunternehmen können Großkonzerne oder KMU gerade beim Vorantreiben der eigenen Digitalisierungsbemühungen profitieren – und zudem leisten die Aufträge einen wichtigen Beitrag zur Innenfinanzierung der Wachstumsunternehmen“, so Reiner Braun.
Ingrid Hengster, Mitglied des Vorstands der KfW, stellt die Notwendigkeit verschiedener Finanzierungsinstrumente je nach Unternehmensreife heraus: „Innovative Technologieunternehmen in Deutschland benötigen besseren Zugang zu Kapital auf ihrem Wachstumsweg. Die neue KfW-Tochter KfW Capital investiert deshalb – mit Unterstützung des ERP-Sondervermögens des Bundes – in den nächsten zehn Jahren rund zwei Milliarden Euro in Venture Capital-Fonds und hebelt dabei privates Kapital. Darüber hinaus erweitern die KfW und der Bund im Rahmen der ‚Tech Growth Fund-Initiative‘ das Angebot an Wachstumsfinanzierungen in Deutschland im Venture Debt Bereich durch das neue Programm Venture Tech Growth Financing. Es bietet technologisch innovativen und schnell wachsenden Unternehmen, die über ein belastbares und aussichtsreiches Geschäftsmodell verfügen, Kredite zur Finanzierung des weiteren Wachstums an. Gemeinsam mit privaten Kreditgebern möchten wir den Venture Debt-Markt in Deutschland mit Direktinvestitionen in die Unternehmen entwickeln.“
Hauke Stars, Mitglied des Vorstands der Deutschen Börse, fordert einen gemeinsamen europäischen Weg im Bereich Wagniskapital: „Mit Blick auf die Möglichkeiten der Wachstumsfinanzierung in China und den USA müssen wir beim Thema Wagniskapital stärker europäisch denken und handeln. Wir müssen größere und weniger bürokratische Fonds entwickeln, um eine höhere Schlagkraft zu erzielen. Der Europäische Investitionsfonds ist in diesem Zusammenhang ein gutes Beispiel. Gleichzeitig müssen wir Unternehmern und Kapitalgebern auch attraktive Exit-Optionen aufzeigen, zum Beispiel über den Kapitalmarkt. Da wir in Deutschland durch die geringe Aktienquote und einen Mangel an Investoren in Wachstumsunternehmen beschränkt sind, wäre eine Verknüpfung mit der kapitalgedeckten Altersvorsorge sinnvoll. Andere Länder wie die USA oder Schweden zeigen bereits, dass die stärkere Nutzung von Aktien in der Altersvorsorge auch die Finanzierung von Wachstumsunternehmen über Börsengänge erleichtert.“
Weitere ausgewählte Empfehlungen aus dem Projektbericht:
- Einen liquiden Markt für Direktinvestitionen mit Fokus auf Hightech-Wachstumsunternehmen schaffen – zum Beispiel durch eine neue Co-Investment-Plattform
- Eine Jump-up-Initiative für schnell wachsende Tech-Unternehmen ins Leben rufen, um die Zusammenarbeit etablierter Unternehmen mit Wachstumsunternehmen in innovativen Zukunftsfeldern zu stärken
- Regionale Innovationscluster stärken – zum Beispiel durch Ausbau bzw. Stärkung professioneller Entrepreneurship-Center an Hochschulen im gesamten Bundesgebiet
Überblick über die am Projekt beteiligten Unternehmen und Organisationen: