3 Fragen an Michael ten Hompel zur Expertise „Open Source als Innovationstreiber für Industrie 4.0″

München, 23. Juni 2022
1. Worin liegt das Potenzial von Open Source als Innovationstreiber?
Open Source Software (OSS) ist zu einem essenziellen Bestandteil der modernen Wirtschaft geworden. Schätzungen gehen davon aus, dass je nach Branche bis zu 90 Prozent der modernen Unternehmenssoftware auf Open Source beruht. Dieser starke Einfluss ist nicht nur im öffentlichen, sondern auch im privaten Sektor und sowohl bei technischen Unternehmen als auch im nicht technischen Bereich gleichermaßen verbreitet.
Der Open Source-Ansatz hat beispiellos dazu beigetragen, dass neue Standards schnell und effizient geschaffen und an die Bedürfnisse der Nutzenden angepasst werden. Open Source Communities dokumentieren in ihren Foren Entwicklungsschritte, Herausforderungen und Lösungen in einem neuen Maßstab – allein im Open Source GitHub von Microsoft sind über 4 Mio. Organisationen in mehr als 200 Mio. Projekten (Repositories) aktiv. Auch das Internet selbst basiert zu großen Teilen auf quelloffener Infrastruktur. Zudem laufen die meisten Cloud Server mit freier und quelloffener Software wie Linux, Apache, Docker, Kubernetes et al. Auch beim Top-Thema Künstliche Intelligenz (KI) setzen sich quelloffene Methoden, Komponenten und Frameworks wie TensorFlow, PyTorch oder Keras durch.
Die offene, gemeinschaftliche Entwicklung und Nutzung von Software sind gekennzeichnet durch eine hohe Effizienz und aktive Teilnahme und Teilhabe unterschiedlicher Gruppen und Unternehmen. Es entstehen gemeinsame Standards, Tools und Services, die auch eine erfolgreiche kommerzielle Nutzung in den Unternehmen ermöglichen. Dies gilt insbesondere für so genannte »Emerging Technologies« im Kontext der vierten Industriellen Revolution. Ob beim Internet der Dinge (Internet of Things, kurz: IoT), beim Maschinellen Lernen oder bei immersiven Technologien wie Virtual Reality – immer wieder ist quelloffene Hard- und Software Grundlage und Treiber des Wandels.
2. Welchen Beitrag kann Open Source bei der Umsetzung von Industrie 4.0 leisten?
Open Source ist in erster Linie ein Lizenz- und Kooperationsmodell. Als solches birgt es viele Vorteile und ist nicht auf einzelne Technologiebereiche beschränkt. Dies wurde in der Recherche aktueller Open Source-Projekte bestätigt. In allen Industrie-4.0-relevanten Bereichen, von der Prozessautomation und -flexibilisierung – wie etwa dem boomenden Bereich autonomer Roboter – über die Konnektivität und Kommunikation (bspw. Austauschstandards und Protokolle), bis zur (Cyber-)Sicherheit sind aktive Open Source-Projekte und -Communities zu finden.
Gleichzeit kann aber auch festgestellt werden, dass sich nicht alle Unternehmensbereiche gleichermaßen für Open Source eignen. Im Vordergrund stehen allgemein verfügbare Basistechnologien und verbreitete Basiskomponenten, während Geschäftsmodelle oder patentierte Entwicklungen weiterhin eher proprietär entstehen.
Das Potenzial von Open Source Software für die Realisierung einer Industrie 4.0 ist sehr groß und noch nicht ausgeschöpft. Dies betrifft vor allem Agilitätspotenziale und die einhergehende Beschleunigung der Entwicklung durch die Nutzung von offenen Standards – vom Datenmodell über Algorithmen bis zur Kommunikationsschnittstelle. Zugleich ist Open Source das prioritäre Mittel, um die digitale Souveränität zu wahren. Dies gilt für Deutschland und Europa in besonderem Maße.
3. Welche Handlungsoptionen haben Sie für Open Source Software im Industrie 4.0-Kontext abgeleitet/identifiziert?
Die Handlungsoptionen zielen wesentlich darauf ab, zweifellos vorhandene Potenziale quelloffener Soft- und Hardware gemeinschaftlich für eine große Bandbreite von Unternehmen zugänglich zu machen – vom Start-up bis zum internationalen Konzern.
Die Nutzung und Entwicklung von Open Source in Unternehmen ist immer noch erklärungsbedürftig. Daher zielen einige Handlungsoptionen auch auf diesen Punkt und adressieren die Aufklärung und Unterstützung zu lizenz- und IP-rechtlichen Fragestellungen und die Auswahl geeigneter Ökosysteme.
Andere Handlungsoptionen richten sich auf die Sichtbarkeit und Verankerung von Open Source, in der (universitären) Lehre aber auch auf die Wahrnehmung als Managementaufgabe oder die Integration in Kennzahlensystemen zur Messung der Innovationskraft (beispielsweise in Ergänzung zu Patenten). All dies bedarf einer zielgerichteten und nachhaltigen Ausgestaltung von Fördermaßnahmen seitens der Politik und Forschungsförderung, begleitet, unterstützt und ergänzt durch Maßnahmen bestehender Initiativen wie der Plattform Industrie 4.0.
Die Expertise „Open Source als Innovationstreiber für Industrie 4.0“ finden Sie hier.