„Eine Entscheidung für mobiles Arbeiten muss im Dialog getroffen werden“
München, 14. April 2021
Die Arbeitswelt nach der Corona-Krise wird eine andere sein als zuvor, darin sind sich viele Expertinnen und Experten einig. Vor allem Beschäftigte im Bereich der Wissensarbeit werden häufiger als früher von unterwegs oder zuhause aus arbeiten. Wie deshalb Führungs- und Unternehmenskulturen angepasst werden müssen, wie Teamgeist trotz räumlicher Distanz entstehen kann und wie sich die Rolle des Büros verändern wird, darüber sprechen Elke Frank, Chief Human Resources Officer bei der Software AG, und Dieter Spath, Arbeitswissenschaftler und ehemaliger acatech Präsident, im Doppel-Interview. (Interview: Tim Frohwein)
Frau Frank, mit der Industrialisierung wurde in Deutschland die räumliche Trennung von Wohn- und Arbeitsort zum Normalfall: Beschäftigte verließen die Wohnung in der Früh in Richtung Fabrik oder Arbeitsstätte und kehrten am Abend dorthin zurück. Mit dieser Trennung wurden auch die heute lebenden Generationen in Deutschland groß. Dann kam die Corona-Krise und mit ihr ein Homeoffice-Boom. Überspitzt gefragt: Befinden wir uns in Bezug auf die Trennung von Wohn- und Arbeitsort auf dem Weg zurück in vorindustrielle Zeiten?
Elke Frank: Nein, ich denke nicht. Ich sehe einen klaren Unterschied sowohl in der Art der Arbeit als auch den Beweggründen für die Tätigkeit zu Hause. Im vorindustriellen Zeitalter führte das ausgeübte Handwerk zwangsläufig zu einer Verschmelzung beider Orte. Heute haben Wissensarbeiterinnen und -arbeiter in der Regel dank mobiler Endgeräte und digitaler und vernetzter Infrastruktur die Möglichkeit, ihre Arbeit flexibel, zeit- und ortsunabhängig zu erledigen.
Zudem belegen es diverse Studien: Angebot und Nachfrage für remote Work ist da – auch schon vor der Pandemie. Die Krise führte dahingehend lediglich zu einer Beschleunigung eines bereits existierenden Trends. Und wir sind da keine Ausnahme: Unsere globale Mitarbeiterumfrage hat ergeben, dass es sich rund 85% unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorstellen können, in Zukunft mindestens die Hälfte der Zeit von zu Hause zu arbeiten. Für die Gesellschaft, Unternehmen und Beschäftigte eröffnet das viele Möglichkeiten. Zum Beispiel die Chance einer familiären Verbundenheit und Nähe, die eine strikte Trennung von Arbeits- und Wohnort nicht bietet – insbesondere, wenn sich Arbeitsstätte und familiärer Wohnsitz weiter voneinander entfernt befinden.
Herr Spath, sollte remote Work sich nach der Corona-Pandemie tatsächlich flächendeckend stärker durchsetzen, müssen sich auch Unternehmens- und Führungskulturen ändern. Was sind in diesem Zusammenhang aus Ihrer Sicht die wichtigsten Punkte?
Dieter Spath: Ja, hier gibt es sicherlich Anpassungsbedarf. Ziel muss eine Unternehmenskultur sein, die Katalysator für produktives, hybrides Arbeiten ist und gleichzeitig die veränderten Rahmenbedingungen berücksichtigt. Das bedeutet natürlich auch, dass die Eigenverantwortung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stärker in den Fokus rückt – und auch, dass diese Eigenverantwortung von den Vorgesetzten zugelassen werden muss.
In hybriden Arbeitsmodellen wird zwar nicht weniger Führung benötigt, wohl aber müssen die Rolle der Führungskraft und der Mehrwert von Führung neu gedacht werden. Auch in Zukunft wird es so sein, dass Führungskräfte Regeln und Strukturen schaffen. Gleichzeitig müssen Entscheidungskompetenzen und -verantwortung glaubwürdig delegiert und den Mitarbeitenden genügend Freiräume zur Erfüllung ihrer Aufgaben zugestanden werden. Die Zielvision sollte eine produktive Balance zwischen Transparenz und Kontrolle sein.
Insgesamt wird sich Führung noch stärker in Richtung einer Vermittlerrolle verändern: Die Führungskraft wird vom „Instructor“, also vom Anweiser, zum „Facilitator“, also einem Moderator. Das Paradigma von der Führung „top-down“ war schon vor Corona überholt und wird in der Zeit nach der Pandemie nicht mehr zu halten sein. Stattdessen braucht es viel Kommunikation und Vertrauen, um ein Empowerment der Beschäftigten zu erreichen.
„Man muss lernen loszulassen, Führung mit Vertrauen, Empowerment.“
Elke Frank: Das kann ich nur unterstreichen: Kommunikation und Vertrauen sind die Schlüssel für Führung in der neuen Arbeitswelt. Kommunizieren kann man nicht zu viel. Der direkte Austausch ist das A&O. Insbesondere wenn es darum geht, Mitarbeitende zu ermutigen und zu befähigen, nicht nur für ihre To-do-Listen, sondern auch für eigenes Wohlbefinden Verantwortung zu übernehmen. Hauptaufgabe des Arbeitgebers ist es daher, einen ganzheitlichen Rahmen, der sowohl Verhaltens- als auch Verhältnisprävention unterstützt, zu schaffen.
Unterstützen und motivieren kann der Arbeitgeber über konkrete Angebote. Bei der Software AG setzen wir das schon lange um, z.B. im Bereich Gesundheitsmanagement: Wir bieten unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Sportkurse und Gesundheitstage an, mittlerweile alles auch virtuell. In unseren Kalendern gibt es die Möglichkeit als Besprechungsort ein „Walking Meeting“ auszuwählen, das, basierend auf der gewünschten Dauer, eine Route durch die unsere Konzernzentrale umliegende Natur vorschlägt. Das lässt sich im Homeoffice genauso machen. Kürzlich haben wir zudem all unseren Beschäftigten uneingeschränkten Zugang zu Headspace, einer Achtsamkeits-App, die Coaching zur Mediation, Bewegung und Schlafoptimierung anbietet, ermöglicht.
Der zweite wichtige Aspekt ist Vertrauen. Aufgrund der räumlichen Distanz muss ich mich voll auf mein Team verlassen können, da kann und will ich nicht ständig kontrollieren. Vertrauen spielt eine wesentliche Rolle. Es ist wichtig die gegenseitige Erwartungshaltung klar abzustecken, offen zu kommunizieren und sich auch an die Vereinbarungen zu halten. Bei uns gilt beispielsweise die globale Vereinbarung: jeden zweiten Montag keine internen Meetings, sondern Zeit, sich intensiv einem Thema zu widmen.
Dieses Vertrauen gilt natürlich auf vielen verschiedenen Ebenen: das Unternehmen als Ganzes, für Teams und in der individuellen Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Führungskraft. Wir arbeiten hier sehr viel mit den Führungskräften zusammen: Man muss lernen loszulassen, Führung mit Vertrauen, Empowerment. Lasst die entscheiden, die am meisten davon verstehen.
Interaktives Schaubild zum hybriden Arbeiten
Elke Frank und Dieter Spath haben sich mit den Fragestellungen dieses Interviews in den letzten Wochen auch in einer Arbeitsgruppe des Human-Resources-Kreises (HR-Kreis) von acatech auseinandergesetzt. Die Ergebnisse der Arbeitsgruppe wurden in einem Schaubild festgehalten. Hier findet sich eine interaktive Version der Grafik.
Ähnlich wie die Rolle der Führungskraft befindet sich auch die Rolle des Büros im Wandel. Wie wird Corona die Funktion des „Büros“ verändern?
Elke Frank: Erheblich! Das Büro wird vielmehr zum „sozialen Ankerplatz“ der Mitarbeitenden – hier treffen sie sich, tauschen sich aus, sind gemeinsam kreativ und innovativ. Eine komplette Rückkehr in die alte Arbeitswelt halte ich für ausgeschlossen und auch nicht sinnvoll.
Schon vor der Pandemie war unsere Arbeitswelt von dynamischen Märkten und disruptiven Veränderungen geprägt, vor allem im Bereich der Wissensarbeit. Corona hat uns nur noch einmal verdeutlicht, wie unvorhersehbar sich die Welt wirklich entwickelt. Nach der unmittelbaren Erstreaktion haben wir uns nun ein Gleichgewicht erarbeitet, das uns erlaubt, zu handeln. Jetzt ist es an der Zeit, die Zukunft aktiv zu gestalten.
Diese Zukunft ist aus meiner Sicht eine hybride Arbeitswelt, die das Beste aus beiden Welten vereint. Teile unsere Aufgaben werden wir dauerhaft und besser remote erledigen können. Andere Teile wiederum besser im Office. Das Büro wird aber in jedem Szenario unverzichtbarer Teil dieser neuen Arbeitswelt sein – seien wir ehrlich: „Zur Arbeit gehen“ war noch nie nur eine Frage des Arbeitens, es ging schon immer auch um Austausch und Vernetzung mit anderen. Nur durch soziale Verbindung und echte menschliche Interaktion kann remote Work auf Dauer funktionieren.
Auch wenn das Büro seine konkrete Rolle in der hybriden Welt noch finden muss, wird es mit Sicherheit flexibler auf eine Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten zum Arbeiten ausgerichtet sein. Für uns heißt das: Fokus auf Kollaboration und die bestmögliche Unterstützung kreativer Arbeit. Was dies für den einzelnen Standort genau bedeutet, bestimmt sich durch die jeweils vertretenen Fachbereiche und die Bedürfnisse der Teams.
Dieter Spath: Ich kann hier nur zustimmen, das Büro wird weiterhin eine Rolle spielen, aber eben eine andere. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass wir bislang vor allem über Veränderungen in der Wissensarbeit gesprochen haben. Beschäftigte in einem industriell-betrieblichen Umfeld, die beispielsweise in Schichtarbeit eingebunden sind, können dagegen wesentlich seltener von zu Hause aus arbeiten. Aber auch für diese Arbeitskontexte werden zunehmend Lösungen entwickelt, die mehr Selbstbestimmtheit und Flexibilität fördern – im Interesse der Beschäftigten und des Arbeitgebers. Dabei helfen digitale Anwendungen: Plattformen zur selbstgesteuerten und optimierten Planung von Produktionskapazitäten zum Beispiel, die Beschäftigten es ermöglichen, selbstverantwortlich über ihre Arbeitseinsätze mitbestimmen können. Am Fraunhofer IAO haben wir mit dem Forschungsprojekt „KapaflexCy“ ein Pilotvorhaben am Laufen.
Schlussendlich muss es immer darum gehen, individuell passende und gleichzeitig an betrieblichen Bedarfen orientierte Lösungen zu schaffen. Eine Entscheidung für mobiles Arbeiten muss also im Dialog zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite getroffen werden.
Wenn Ihre Prognosen zutreffen, werden nach der Pandemie dauerhaft weniger Büroflächen benötigt. Frau Frank, Sie kennen hier die Perspektive eines Unternehmens: Halten Sie es für realistisch, dass dadurch gerade in Großstädten Büroflächen nach der Krise nicht mehr gebraucht werden und stattdessen z.B. als Wohnraum genutzt werden können?
Elke Frank: Ja, der Trend lässt sich jetzt schon ablesen: Während der Bedarf einer solchen Umnutzung für mich weitestgehend außer Frage steht, halte ich die praktische Umsetzung jedoch für eine Herausforderung. Was wir brauchen sind vor allem Wohnungen, die für ein breites Publikum bezahlbar sind. Meist kleinere, modularere und daher leichter umzugestaltende Büroräume finden sich vor allem in Innenstädten – in der Regel lagebedingt eher mit hochpreisigen Mieten, die durch die Kosten eines Umbaus perspektivisch zusätzlich steigen. Das trifft auch auf größere, meist am Stadtrand gelegene und auf eine rein geschäftliche Nutzung ausgelegte Gebäude zu. Der aufwändige Umbau muss sich auch hier über den Investitionsertrag, sprich die Miete, bezahlt machen. Das heißt am Ende lohnt sich die Umnutzung und damit einhergehende rechtliche Umwidmung der Fläche nur dann, wenn der Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum auf eine Art bedient werden kann, die in finanziell tragbarem Rahmen technisch umsetzbar ist.
Die Software AG ist ein Unternehmen mit Standorten überall auf der Welt. Die Arbeitskulturen unterscheiden sich also von Standort zu Standort; das Büro dürfte in Sao Paulo nicht genau die gleiche Funktion haben wie in Sydney. Wie geht die Software AG mit dieser Herausforderung um? Haben Sie das Gefühl, es hat sich in einer globalisierten Welt eine Art internationaler Konsens in Bezug auf das Arbeiten herausgebildet?
Elke Frank: Leider gibt es keine „one-size-fits-all“ Lösung, auch wenn das die Implementierung eines hybriden Arbeitsmodells so viel einfacher machen würde. Der Weg, den wir einschlagen, ist eine Kombination aus global etablierter Vision und Baseline – einem Handbuch, wenn Sie so wollen – mit lokalisierter Implementierung, um regionalen Besonderheiten gerecht zu werden. Wie gesagt, lassen wir die entscheiden, die am meisten davon verstehen und es am Ende mit Leben füllen. Nichtsdestotrotz streben wir natürlich ein gewisses Maß an einheitlichen Rahmenbedingungen für alle unsere Standorte an. Daher wird das Handbuch Regeln und Leitplanken, z.B. zum IT Equipment, enthalten, die in jeder Region, jedem Land – ja bis runter auf die Teamebene – gleichermaßen gelten. Jede Form von Selbstorganisation braucht einen Rahmen, so auch hier.
Da wir noch mitten in der Entwicklung dessen stecken, was am besten zu uns und unserer Strategie passt, gehen wir diesen Prozess mit einem Agilen Ansatz an. So können wir unsere „Spielregeln“ anpassen, mehr Erfahrungen sammeln und lernen, was funktioniert und was nicht. Und es trainiert unsere Fähigkeit mit Feedback und Veränderungen schneller und konstruktiver umzugehen.
„Die Digitalisierung verändert die Wirtschaft, in hoher Geschwindigkeit und nahezu überall auf der Welt.“
Dieter Spath: Agilität spielt in der Arbeitswelt der Zukunft eine immer wichtigere Rolle, auf der Ebene der Spielregeln, aber auch auf der Individualebene. Die Digitalisierung verändert die Wirtschaft, in hoher Geschwindigkeit und nahezu überall auf der Welt. Geschäftsmodelle und -inhalte sind also im Wandel begriffen und bringen spezielle neue Kompetenzanforderungen für die Beschäftigten mit sich. Zu einer Unternehmenskultur, die diesen Herausforderungen gewachsen sein will, gehören daher nicht nur entsprechende Führungsansätze und technische Ausstattungen. Auch das Thema Lebenslanges Lernen muss dort verankert werden. Weiterbildungsangebote dürfen dabei aber nicht nur auf die Vermittlung bestimmter Kompetenzen abzielen. Weiterbildung im Unternehmen sollte vielmehr auch das Ziel haben, bei den Mitarbeitenden ein bestimmtes Mindset auszuprägen, damit Veränderungen auch als Chance für Gestaltung verstanden werden. Diese Perspektive ist wichtig – ob im Homeoffice, im Büro oder am Fließband.