Klimaschonend unterwegs: acatech HORIZONTE über eine nachhaltige und gerechte Mobilitätswende
München, 16. Juli 2021
Mobilität bedeutet viel mehr als nur die Bewegung von Menschen und Gütern, sie ermöglicht Teilhabe am Leben. Mobilität verursacht aber auch Verkehr, der Raum beansprucht und Umweltschäden verursacht. Lässt sich Verkehr mit seinen Umweltauswirkungen reduzieren ohne Mobilität einzuschränken? Raum- und Verkehrsplanung zusammenzudenken, ist nur einer der Wege, die die neue Ausgabe der acatech HORIZONTE aufzeigt.
Blechlawinen, Lärm, Feinstaub, Abgase, Umweltschäden – das anhaltende, massive Verkehrswachstum bringt nicht einen Zugewinn an Mobilität, sondern schränkt sie ein und steht deshalb dem Bedürfnis der Menschen nach sozialer Teilhabe gegenüber. „Mobilität ist die Lebensader unserer Gesellschaft“, erklärt Dietmar Göhlich, Leiter der HORIZONTE-Arbeitsgruppe. Aber in der gegenwärtigen Form verursache sie erhebliche Probleme. Soll Mobilität auch morgen und übermorgen möglich sein, muss der Verkehr in seiner heutigen Form transformiert werden.
Der Verkehrssektor ist der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen, nach der Energiewirtschaft und der Industrie. Einem steigenden Mobilitätsbedürfnis der Menschen stehen Klimaschutzziele gegenüber. Digitalisierung und technologische Fortschritte werden Deutschland zwar helfen, bis 2045 Klimaneutralität zu erreichen. Aber nur mithilfe der Menschen kann das ambitionierte Ziel tatsächlich erreicht werden. Die acatech HORIZONTE beschreibt Herausforderungen und Lösungsansätze für eine nachhaltige Transformation der Mobilität.
Technologie ist kein Allheilmittel
Innovation bei Antriebstechnik oder Treibstoffen und die Nutzung neuer digitaler Technologien helfen, den CO2-Fußabdruck des Verkehrssektors zu verkleinern. Laut dem aktuellen acatech Mobilitätsmonitor hofft auch eine Mehrheit der Deutschen beim Klimaschutz in der Mobilität auf technische Fortschritte. Gleichzeitig spiegelt die Akzeptanz technologischer Lösungen wie der Elektromobilität noch nicht den Stand technologischer Entwicklung.
acatech HORIZONTE verdeutlicht an zahlreichen Beispielen, warum das Verhalten der Menschen entscheidend für eine zukunftsorientierte Gestaltung von Mobilität ist – und trotzdem oft zu paradoxen Ergebnissen führt. Der sinkende Kraftstoffverbrauch effizienterer Autos führt beispielsweise dazu, dass Verbraucherinnen und Verbraucher immer größere und schwerere Autos kaufen, öfter Auto fahren und legen längere Strecken zurück. Obwohl die Fahrzeuge deutlich effizienter geworden sind, verursacht der Verkehrssektor in Deutschland damit heute noch genauso viele Emissionen wie 1990. Die Corona-Pandemie hat diese Trends noch verstärkt und zudem den Umstieg auf alternative Verkehrsmittel vorerst unattraktiv gemacht. Sie hat auch dafür gesorgt, dass mehr Menschen öfter online bestellen und damit den Waren- und Lieferverkehr in neue Höhen treiben. Einige Städte erproben deshalb bereits neue, umweltfreundlicherer Konzepte, die gleichermaßen die Emissionen und die Verkehrsbelastung für die Stadtbewohner reduzieren.
Mobilität neu denken
Mobilität muss, so der Ansatz der acatech HORIZONTE, nicht nur anders, sondern komplett neu und ganzheitlich gedacht werden. Im Mittelpunkt muss der Mensch stehen, technologische, ökonomische, ökologische und soziale Aspekte müssen gleichermaßen betrachtet werden. Das hat nicht nur Auswirkungen auf Stadt- und Raumplanung. Es eröffnet neue Chancen für eine inklusive Verkehrsplanung in der Stadt und auf dem Land, und bietet Raum für neue Mobilitätskonzepte sowie Geschäftsmodelle. Die Transformation der Mobilität ist deshalb eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Damit sie gelingt, sind aus Sicht der acatech HORIZONTE-Expertengruppe folgende Aspekte besonders wichtig:
- Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Bürgerinnen und Bürger entwickeln gemeinsam neue Mobilitätsangebote: Reallabore bieten Raum für Experimente und Dialog. Sie weisen der Politik den Weg für eine zukunftsorientierte Anpassung von Regeln und Gesetzen.
- Zuschauen oder mitmachen: Bürgerinnen und Bürger können ihre Macht als Konsumierende und Wähler nutzen, und mit ihren Konsumentscheidungen, ihrem Verhalten und ihrer Meinungsäußerung Veränderungen bewirken. Nutzen wir die Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung in Planungsprozessen? Fahren wir ins Einkaufszentrum, bestellen wir online oder kaufen wir in der Nachbarschaft? Brauchen wir ein eigenes Auto, ein kleineres oder ein größeres, ein elektrisches oder ein konventionelles oder reichen Sharing-Angebote? Wo lohnt der Umstieg auf das Fahrrad oder den ÖPNV?
- Mobilität ganzheitlich und damit interdisziplinär denken: Fachkräfte aus dem Ingenieurwesen, der Verkehrsplanung, der Architektur und den Sozialwissenschaften gehen die Planung von Lebensräumen und Verkehr gemeinsam an und können so unterschiedlichste Anforderungen berücksichtigen.
- Wertschöpfung entsteht durch Vernetzung: Aus Produkten und Dienstleistungen, Hardware und Software entstehen mithilfe von Daten „Gesamtpakete“, die Nutzen und Umweltschutz verbinden können, neue Technologie- und Geschäftsfelder erschließen und langfristig Arbeitsplätze sichern. Nachhaltigkeit als Designprinzip schafft Vorteile im weltweiten Wettbewerb.
- Transformation by Design: Die Politik setzt den Rahmen für ein grundlegendes Umdenken und moderiert die die Transformation der Mobilität. Eine technologieoffene Förderung von Innovation ermöglicht die Entwicklung umweltfreundlicher Technologien und skalierbarer, bezahlbarer, menschenzentrierter Mobilitätsangebote.
Die Expertinnen und Experten der acatech HORIZONTE um Dietmar Göhlich (Technische Universität Berlin, acatech Mitglied) sind überzeugt, dass die Transformation der Mobilität Chancen für alle bietet. Sie appelliert an Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Wissenschaft, Mobilität neu zu denken und die Chancen zu nutzen: Neue Mobilitätskonzepte würden ländlichen Raum attraktiver und die Stadt lebenswerter machen und beide Räume besser verbinde, vernetzte Mobilität würden neue Geschäftsmöglichkeiten und Arbeitsplätze schaffen, die Berücksichtigung der Bedarfe und Wünsche der Gesellschaft sicherten den Erfolg. Setzt auch die Politik den richtigen Rahmen, wird es gelingen, unsere Mobilität zukunftsorientiert nachhaltig und gerecht zu gestalten.
Über acatech HORIZONTE
Die Themenreihe „acatech HORIZONTE“ untersucht Technikfelder, die unseren Alltag grundlegend verändern, aber ihre Tragweite noch unklar ist. acatech möchte vorhandenes Wissen anschaulich und verständlich aufbereiten und eine Plattform bieten, solche Technologien differenziert zu bewerten und Handlungsfelder abzuleiten. Die Publikationen der „acatech HORIZONTE“ bilden einen breit angelegten Diskussionsprozess ab. Ein Begleitkreis mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik, Technikkommunikation und der Gründerszene berät acatech bei der Themenwahl.