Wie gemeinsam digitalen Wandel gestalten? Projektgruppe stellt Ergebnisse in Berlin vor
München, 5. Dezember 2023
Der technologische Wandel ist eine wichtige Voraussetzung für Wohlstand sowie den Schutz von Umwelt und Klima. Jedoch begegnen ihm viele Menschen in Deutschland mit großer Skepsis. Wie also sollte wirksame Technikkommunikation und -beteiligung aussehen? Damit hat sich das acatech Projekt „Technologischen Wandel gestalten“ auseinandergesetzt. Erste Ergebnisse wurden am 30. November in Berlin vorgestellt.
Beim technologischen Wandel müsse man die Bürgerinnen und Bürger „mitnehmen“, heißt es so gerne. Für acatech Präsident und Projektleiter Jan Wörner ein schiefes Bild: „Das klingt so, als würden die Menschen im Auto hinten auf der Rückbank sitzen und das Ziel der Fahrt nicht kennen“, sagte er in seiner Begrüßung. Viel treffender sei es, in diesem Zusammenhang von Fahrgemeinschaften zu sprechen, um die aktive Rolle der Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung des technologischen Wandelns zu betonen. Ein Bild, auf das im Laufe der Abschlussveranstaltung des Projekts „Technologischen Wandel gestalten“ am 30. November im Quadriga Forum zu Berlin, immer wieder Bezug genommen werden sollte.
Wie stark die Forschung zum Thema Technikkommunikation in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen habe und welche zentralen Erkenntnisse dabei gewonnen wurden, stellte Mike S. Schäfer, Professor für Wissenschaftskommunikation an der Universität Zürich, ins Zentrum seines einführenden Vortrags. Auch das Projekt „Technologischen Wandel gestalten“, das Mike S. Schäfer als Mitglied der „kommunikationswissenschaftlichen Expertisebank“ begleitet hatte, liefere nun wieder einen Beitrag zum Erkenntnisfortschritt.
Einen Eindruck davon, worin dieser besteht, erhielten die rund 60 Anwesenden im nachfolgenden Vortrag: Der Ingenieur Ulrich Reimers (ehem. TU Braunschweig) und die Umweltplanerin Bettina Oppermann (Universität Hannover) stellten wesentliche Ergebnisse aus den Fokusgruppen-Untersuchungen vor, die sie als Leitungen der AG „Resilienz und Leistungsfähigkeit der digitalen Infrastruktur“ im Projektverlauf durchgeführt hatten. Die Fokusgruppe mit Bürgerinnen und Bürgern der brandenburgischen Kleinstadt Wittenberge habe beispielsweise Informationen geliefert, welche Bevölkerungsgruppen sich welche digitalen Dienste in einer Kommune wünschen – vom Online-Formular bis hin zur Bürger-App. Aus den Fokusgruppen-Befragungen in Wuppertal, das aufgrund seiner Tallage an der Wupper regelmäßig von Hochwasser bedroht ist, habe man unter anderem Erkenntnisse gewonnen, wie der Katastrophenschutz dank digitaler Technologien verbessert werden könne.
Fotos: acatech
Was ist eine Fokusgruppe?
Im Gegensatz zu den typischerweise in der qualitativen Forschung angewendeten Einzelinterviews handelt es sich bei einer Fokusgruppe um eine moderierte und fokussierte Diskussion einer homogenen Gruppe von Personen, die durch den gegenseitigen Austausch und die Konfrontation mit den Meinungen, Wahrnehmungen und Ideen anderer Diskutantinnen und Diskutanten deutlich mehr Informationen liefern soll als mehrere, nacheinander durchgeführte Einzelinterviews.
Im Rahmen des Forschungsprojekts der AG „Resilienz und Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems durch Datenverfügbarkeit“ sollte die Frage beantwortet werden, ob eine spielerische Website ein geeignetes Instrument zur Meinungsbildung in Bezug auf eine komplexe digitale Neuerung wie der „elektronischen Patientenakte“ (ePA) sein kann. Zumindest, was die Reichweite angeht, sei die Website „ePA Check-up“ jedenfalls schon mal erfolgreich gewesen, erklärten die AG-Leitungen Olaf Dössel (KIT) und Petra Dickmann (Universitätsklinikum Jena) in ihrem Vortrag und untermauerten dies auch gleich mit Zahlen: Insgesamt etwa 111.000 Klicks und rund 70.000 Website-Besuche wurden im Kampagnen-Zeitraum im Sommer 2023 registriert, fast 3.000 Besucherinnen und Besucher durchliefen dabei den kompletten ePA Check-up. Im Verlauf dieser interaktiven Befragung wurde man mit Orientierungswissen konfrontiert und dazu motiviert, sich zur ePA zu positionieren, die ab dem Jahr 2025 automatisch für jeden Bürger und jede Bürgerin angelegt werden soll. Die Analyse, welche Wirkung bei den Teilnehmenden dabei erzielt werden konnte, wird im Frühjahr 2024 in Form einer Publikation vorliegen.
Eine Podiumsdiskussion mit der Medienwissenschaftlerin und Journalistin Alexandra Borchardt, dem Psychologen Rainer Bromme, Bernd Kaltwaßer von Evonik und Claudia Kemfert vom DIW Berlin bildete den Abschluss der Veranstaltung. In der Runde herrschte Einigkeit, dass einerseits Medienkompetenz und andererseits ein Verständnis davon, wie Wissenschaft funktioniert, wichtige Voraussetzungen dafür sind, damit Bürgerinnen und Bürger den digitalen und technologischen Wandel mitgestalten können. Man müsse darüber hinaus in der Technik- und Wissenschaftskommunikation stets offen darüber sprechen, dass einfache Antworten selten möglich sind. So könne sich auch das notwendige Vertrauen entwickeln – die Basis dafür, dass Bürgerinnen und Bürger bei einer Fahrgemeinschaft mit dabei sein wollen und technische Innovationen ihren vollen Nutzen entfalten können.
Fotos: acatech