Wie können Landwirtschaft und Konsum zur Verringerung von zu viel Stickstoff im Boden beitragen?
München, 26. Mai 2023
Pflanzen brauchen Stickstoff zum Leben. Um die Ernte ertragreicher zu machen, wird er deshalb in der Landwirtschaft als Dünger eingesetzt – mit negativen Folgen für die Natur, zumindest bei zu starker Nutzung (Stichwort „Stickstoffüberschuss“). Bei acatech am Dienstag am 23. Mai, das im Rahmen des Flower Power Festival München statt fand, diskutierten Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Landwirtschaft über unterschiedliche Strategien zur Reduktion des Stickstoffgehalts in Böden und gingen dabei auch darauf ein, was Verbraucherinnen und Verbraucher tun können.
In seiner Begrüßung führte acatech Präsident Jan Wörner den Teilnehmenden bei acatech am Dienstag am 23. Mai den Wert des Elements Stickstoff vor Augen. Für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft sei Stickstoff beispielsweise zentral: In der Verbindung mit Stickstoff, als Ammoniak (NH3) lässt sich Wasserstoff nämlich besonders gut transportieren.
Anknüpfend an die Bedeutung von Stickstoff für Wirtschaft und Gesellschaft ging Thomas Scholten, Inhaber des Lehrstuhls für Bodenkunde und Geomorphologie an der Eberhard Karls Universität Tübingen, in seinem Impulsvortrag auf das Beispiel Landwirtschaft ein. Dort kommt Stickstoff als Dünger zum Einsatz, was neben den Umweltbedingungen der wesentliche Einfluss auf Kornertrag (Quantität) und Proteinertrag (Qualität) der Ernten hat. Durch einen übermäßigen Einsatz entstünden jedoch auch Probleme: Übermäßige Düngung führe zu einem Stickstoffüberschuss, wodurch Stickstoffverbindungen wie Nitrat, Nitrit oder Ammoniak aus den Böden ausgewaschen werden und sich im Ökosystem anreichern.
Um diese Überschüsse zu reduzieren, hat Thomas Scholten zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern im acatech Projekt „Wege in eine nachhaltige Stickstoffwirtschaft“ entsprechende Handlungsempfehlungen für einen systemischen Ansatz zur Reduktion der Stickstoffüberschüsse entwickelt. Dabei wurden ökonomische Rahmenbedingungen, ökologische Effekte und gesellschaftliche Ansprüche gleichzeitig berücksichtigt. Projektleiter Thomas Scholten schloss seinen Impuls, indem er die vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten in den definierten Handlungsfeldern „Nachhaltige Bewirtschaftungsstrukturen“, „Ökonomische und rechtliche Rahmenbedingungen“, „Wissensmanagement, nachhaltige Technologien“ und „Nachhaltiger Konsum“ aufzeigte.
Die Empfehlungen wurden im Anschluss von drei geladenen Expertinnen und Experten kommentiert und eingeordnet. Anette Freibauer, Leiterin des Instituts für Agrarökologie und Ökologischen Landbau der Landesanstalt für Landwirtschaft, stellte dabei die Bedeutung von Wirtschaftsdüngern (Festmist, Gülle, Gärreste, Komposte) für landwirtschaftliche Nährstoffkreisläufe heraus. Allerdings gebe es gerade bei der Gülle Probleme, sie bedarfsgerecht und zielgerichtet auszubringen. Anette Freibauer betonte, wie zuvor auch Thomas Scholten, dass die in Deutschland gemessenen Stickstoffüberschüsse in erster Linie regional aufträten und deshalb standortgerechte Maßnahmen getroffen werden müssten. Zum Abschluss ging sie noch auf die wichtige Rolle der Leguminosen ein, welche ressourceneffizient und umweltfreundlich Stickstoff fixieren. Diese Kleegraspflanzen und Luzernen können genutzt werden, um Stickstoff über den Winter auf dem Feld zu speichern. Ferner können Speiseleguminosen auch als regional angebaute Proteinquellen eine Ergänzung der aktuellen Ernährungstrends darstellen.
Eberhard Nacke, heute als freiberuflicher Berater im landtechnischen und landwirtschaftlichen Umfeld tätig, insbesondere weiterhin für seinen früheren Arbeitgeber, den Landmaschinenherstelle CLAAS, ging in seinem Statement auf die bedarfsgerechte Stickstoffdüngung ein. Ein gezieltes Messen der vorgefundenen Bedingungen sei Voraussetzung eines zielführenden Risikomanagements. Unterschiedliche Böden oder die Nährstoff- und Wasserversorgung sind Faktoren, die die Stickstoffaufnahme im Pflanzenbestand beeinflussen. Mehr Stickstoffdüngung führe daher nicht automatisch zu mehr Ertrag. „Prescription Farming“ – als Fortsetzung des „Precision Farmings“ – sei daher die Devise: Indem dem Landwirt oder der Landwirtin das Wissen über die Zusammenhänge zwischen Bodenart und Bodenzustand, Wasser, Wärme, Sorteneigenschaften zur Verfügung gestellt wird können zielgerichtete und automatisierte Empfehlungen sogar für unterschiedliche Bereiche eines Feldes gegeben werden. Wo sollte zu welchem Zeitpunkt wie viel Stickstoff gedüngt werden, so dass einerseits die Pflanzen optimal wachsen können und andererseits keine Gefahr von Stickstoffauswaschungen im Grund- oder Oberflächenwasser entsteht?
Für den Bayerischen Bauernverband sprach Andreas Puchner. Er betonte in seinem Statement, wie wichtig es sei, dass bei Veränderungen im Düngerecht auf die regionalen Unterschiede Rücksicht genommen werde. Pauschalverbote brächten nichts, denn das Problem der Stickstoffüberschüsse sei in erster Linie ein regional sehr unterschiedlich auftretendes Problem. Der Einsatz von Wirtschaftsdüngern sei auch ein Beitrag nachhaltiger Düngesysteme, da nur so auch synthetische Mineraldünger ersetzt werden können. Jedoch sei es noch erforderlich, Techniken zur Aufbereitung zu entwickeln, um landwirtschaftlich erzeugte Düngemittel (z. B. Gülle) so zu verarbeiten, dass sie in großem Umfang und sehr effizient anstelle von Mineraldüngern eingesetzt werden können.
Martin Bimmer, acatech Geschäftsstelle, moderierte die abschließende Diskussion, bei der auch der Beitrag des einzelnen Verbrauchers beleuchtet wurde. Hierbei wurde klar, dass es zum jetzigen Zeitpunkt für Verbraucherinnen und Verbraucher nur schwer zu erkennen ist, welche Lebensmittel mit einem besonders hohen Stickstoffeinsatz verbunden sind. Eine entsprechende Kennzeichnung wäre wünschenswert, hieß es aus dem Publikum. Die Expertinnen und Experten gaben Hinweise, wie bereits heute jeder unterstützend aktiv werden könne. Beispielsweise ist im Ökolandbau der Einsatz von Stickstoffdünger deutlich strikter geregelt als in der konventionellen Landwirtschaft. Auch der Kauf von Sauerteigbrote mit langen Ruhezeiten leistet einen Beitrag. Diese kommen besser mit einem niedrigeren Proteingehalt im Getreide aus, was wiederum Ergebnis einer niedrigeren Stickstoffdüngung ist.