Digitalisierung der Arbeitswelt: HR-Kreis debattiert unterschiedliche Perspektiven
München, 1. Dezember 2021
In den kommenden Jahren muss sich die Arbeitswelt grundlegend verändern, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie, des Klimawandels und des Fachkräftemangels abfedern zu können. Die digitale Transformation ist dafür ein Schlüssel. So hat es auch die neue Regierung im kürzlich erschienenen Koalitionsvertrag festgehalten. Doch es bleiben Fragen: Welche regulatorischen Anpassungen sind nötig? Wie sieht Partizipation in der digitalen Arbeitswelt aus? Darüber diskutierten Mitglieder des HR-Kreises von acatech bei einer virtuellen Debattenveranstaltung am 30. November.
Zu Beginn der Online-Veranstaltung gab Dieter Spath, Arbeitswissenschaftler und ehemaliger acatech Präsident, einen Impulsvortrag. Er betonte, wie wichtig es sei, Beschäftigte zu befähigen, die Instrumente der Digitalisierung zu nutzen. Das gelte auch und insbesondere für Wenigqualifizierte, die man weiterbilden und mitnehmen müsse. Die Digitalisierung sei definitiv dazu in der Lage, Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland zu sichern.
Wir verstehen den durch die Pandemie verursachten Veränderungsprozess in der Arbeitswelt noch gar nicht. Wir müssen daher jetzt aufpassen, nicht voreilig falsche Weichen zu stellen, zum Beispiel im Bereich Regulierung.
Dieter Spath, Arbeitswissenschaftler und ehemaliger acatech Präsident
Jedoch müssten Politik und Unternehmen dafür adäquate Rahmenbedingungen schaffen. Wie können diese aussehen? Und wie gehen Unternehmen mit neuen Technologien und den damit einhergehenden Kompetenzbedarfen um? Mit diesen Fragen leitete Dieter Spath in die Diskussion über, die von Henning Kagermann, Vorsitzender des acatech Kuratoriums, moderiert wurde.
Motivation und Weiterbildung sind essenziell
Petra Scharner-Wolff, Vorständin Finanzen, Controlling und Personal bei der Otto Group, verwies zunächst darauf, dass der Wunsch nach Flexibilität (z.B. bei der Wahl des Arbeitsortes) stärker als vor der Corona-Krise in der Belegschaft vorhanden sei – dass Unternehmen diesem Wunsch allerdings aufgrund regulatorischer Rahmenbedingungen oft gar nicht gerecht werden könnten. Die Pandemie habe die Digitalisierung dennoch auch bei der Otto Group stark vorangetrieben.
Das dickste Brett, das es zu bohren gilt, ist die kulturelle Veränderung. In Bezug auf die Digitalisierung bedeutet das – Stichwort mobiles Arbeiten – zum Beispiel, dass Unternehmen Verantwortung an die Beschäftigten abgeben müssen.
Petra Scharner-Wolff, Vorständin Finanzen, Controlling und Personal bei der Otto Group
Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht bei der Deutsche Bahn AG, pflichtete ihr bei: Die tausenden Bewerbungsgespräche, die der Konzern monatlich führe, hätten von heute auf morgen virtuell stattfinden müssen – und es habe funktioniert. Seiler sprach sich zudem für eine Veränderung des Lernens aus: Einmal aufgesetzte Lernkonzepte verlören heute schneller als früher an Aktualität.
Die Veränderungen können nur gemeinsam mit den Mitarbeitenden gelingen. Wir müssen Perspektiven aufzeigen und zusammen Wege für gute Beschäftigungsmöglichkeiten von morgen gestalten.
Martin Seiler, Vorstand Personal und Recht bei der Deutsche Bahn AG
Julia Borggräfe, Leiterin der Abteilung „Digitalisierung und Arbeitswelt“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, sprach sich vor diesem Hintergrund dafür aus, in Unternehmen mehr mit Experimentierräumen zu arbeiten: In komplexen neuen Situationen, wie sie durch die digitale Transformation ständig hervorgerufen würden, könne man zumeist nicht auf Best-Practices zurückgreifen, sondern müsse ausprobieren.
Die Bildungszeit muss so selbstverständlich werden wie die Elternzeit.
Julia Borggräfe, Leiterin der Abteilung „Digitalisierung und Arbeitswelt“ im Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, gab zu bedenken, dass die durch die Pandemie verstärkte digitale Transformation der Arbeitswelt auch negative Effekte gehabt habe: So sei durch die Home Office-Situation in vielen Familien eine Rückkehr zu tradierten Rollenmustern unumgänglich gewesen. Man müsse daher neue Belastungsfaktoren identifizieren und diese mit der Belegschaft diskutieren, zum Beispiel durch die Einbindung des Betriebsrats. Stefan Oschmann, ehemaliger CEO von Merck und Co-Gastgeber des HR-Kreises, bekräftigte, dass er das Mitbestimmungsmodell in Deutschland nach seiner Rückkehr von einer längeren Karrierephase in den USA immer mehr zu schätzen gelernt habe. Nun müsse man Partizipation ins digitale Zeitalter überführen.
Lebensbegleitendes Lernen ist ein Kernthema
Diskussionsgrundlage der acatech DEBATTE war der Politikbrief „Chancen für Innovation und gute Arbeit. Impulse für die Politik“, der vom acatech Human-Resources-Kreis (HR-Kreis) am 9. November veröffentlicht wurde. Im HR-Kreis bringt acatech Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Wissenschaft zu einem vertraulichen Strategiedialog zusammen. Die Expertinnen und Experten diskutieren, wie aus der Digitalisierung Chancen für Innovation und gute Arbeit erwachsen können. Die Mitglieder des HR-Kreises sind mehrheitlich Personalvorstände führender Technologie- und Dienstleistungsunternehmen. Darüber hinaus nehmen acatech Mitglieder und Fachleute aus der Wissenschaft teil.
Im aktuellen Politikbrief arbeitet der HR-Kreis drei Kernthemen zur Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt heraus:
- Lebensbegleitendes Lernen: Zukunftsorientierte Qualifizierung verbessert die berufliche Entwicklungs- und Beschäftigungsperspektive von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
- Agilität: Anpassungsfähigkeit und -geschwindigkeit sind ein erfolgskritischer Wettbewerbsfaktor und ermöglichen Beschäftigten mehr Flexibilität.
- Partizipation: Eine zukunftsorientierte Mitbestimmungskultur kann die Interessen der Beschäftigten und die Anforderungen an Unternehmen, wie sie sich verändern können, in Einklang bringen.
Um die Kernthemen anzugehen, regt der HR-Kreis Steuerbefreiungen an, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu lebensbegleitendem Lernen zu motivieren. Außerdem sollten staatliche Weiterqualifizierungsangebote besser mit der Unternehmenspraxis verzahnt werden. Darüber hinaus sollte über eine Anpassung der Höchstarbeitszeit und der Mindestpausen nachgedacht werden, damit Beschäftigte selbstbestimmter und flexibler arbeiten können. Unternehmen ruft der HR-Kreis dazu auf, Angestellten den Freiraum zu bieten, um Partizipationsmöglichkeiten auszuprobieren.
Die Arbeitsergebnisse im Politikbrief sollen zu einem offenen politischen und gesellschaftlichen Diskurs über die Zukunft der Arbeit beitragen. Die acatech DEBATTE am 30. November bildet einen Teil dieses Diskurses.