European Sustainable Development Week – ein deutsch-französischer Dialog zu Urban Mining
Gold auf der Autobahn und Plastik im Atlantik – ein deutsch-französischer Dialog zu Urban Mining
“Reuse, reuse, reuse” lautet das Plädoyer von Andrea Gassmann bei der Veranstaltung “Deutsch-französische Perspektiven zum Urban Mining” an der Französischen Botschaft in Berlin im Rahmen der European Sustainable Development Week (ESDW). Die Menschheit baut immer mehr Primärrohstoffe ab und produziert zugleich Tonnen an Abfall, die entweder ineffizient wiederverwendet werden – wie zum Beispiel Gold im Straßenbau – oder unsere Umwelt aktiv verschmutzen. Das Konzept des Urban Mining möchte das ändern: Es sieht den Müll, der uns in unseren Städten unmittelbar umgibt, als wertvolle Ressource, wie Christina Müller-Markus, Autorin der Publikation acatech HORIZONTE Urban Mining in ihrer Einführung in das Thema erklärt und dabei betont, dass Urban Mining kein nationales, sondern ein globales Thema ist und alle Stakeholder in unserem Wirtschaftssystem betrifft. Welche Chancen und Herausforderung gibt es auf dem Weg von der Idee zur Umsetzung von Urban Mining in Frankreich und Deutschland? Das diskutierten unter der Leitung der ARTE-Moderatorin Emilie Langlade neben Dr. Andra Gassmann (Fraunhofer-IWKS) Dr. Vincent Semetey (ParisTech-Netzwerks) aus wissenschaftlicher Perspektive, Christian Schiller (Cirplus) und Axel Darut (Citéo) aus dem Blickwinkel der Wirtschaft.
Die Rolle der Wissenschaft: Mit dem Materialpass gegen Europas Abhängigkeit von Rohstoffimporten
Andrea Gassmann und Vincent Semetey forschen in unterschiedlichen Ländern zu unterschiedlichen Themenbereichen innerhalb von Urban Mining – und zeigten in ihren Beiträgen die Komplexität und Relevanz des Forschungsfeldes Urban Mining auf. Am Beispiel Elektromobilität wird schnell klar, dass mit neuen Technologien oft neue Materialien entstehen, für die entsprechende Recyclingverfahren von Anfang an mitgedacht werden müssen. Auch bei Elektroabfällen, dem Forschungsbereich Vincent Semeteys, erfordert die schiere Vielfalt an Materialien und Geräten die stetige Entwicklung innovativer Verfahren zur Wiedergewinnung wertvoller Rohstoffe. Diese Komplexität verlangt laut Andrea Gassmann eine effektive Zusammenarbeit zwischen allen Stakeholdern in der Wertschöpfungskette. Den Informationsaustausch zwischen den Akteuren soll der Materialpass erleichtern. Das digitale Dokument speichert alle Informationen zu der Zusammensetzung eines Produkts, schlüsselt komplizierte Materialzusammensetzungen auf und bildet so die Basis für einen effizienten Recyclingprozess.
Neben technologischer Innovation spielen soziale, politische und ökologische Fragestellungen eine zentrale Rolle, die weit über die lokale Ebene hinausgehen. Vincent Semetey verweist auf informelle Recyclingsektoren im globalen Süden, wo Rohstoffe unter prekären Bedingungen aus Abfall wiedergewonnen werden. Hinzu kommt, wie Andrea Gassmann erläuterte, die Abhängigkeit der EU von Rohstoffen, die zum Teil in Konfliktregionen in problematischen Umständen abgebaut werden. In der Forschung zum Urban Mining stellen sich also, in Deutschland wie in Frankreich, universelle und globale Fragen dazu, wie wir Rohstoffe ethisch und ökologisch in einen europäischen Kreislauf bringen können.
Plastik ist nicht das Problem – sondern Wegwerfprodukte
Wie übersetzen sich die Fragestellungen und Technologien aus der Wissenschaft in die Praxis? Laut Christina Müller-Markus hat die acatech HORIZONTE Urban Mining die Frage als eine der zentralen Heruasforderungen identifiziert. Sie zu lösen, gehe nicht ohne entsprechende politische Rahmenbedingungen. Axel Darut und Christian Schiller stellten fest, dass sowohl in Frankreich wie auch in Deutschland aktuell aber noch klare Strategien und Visionen zum Beispiel zum flächendeckenden Recycling von Plastik und Verpackungen fehlen. Laut Axel Darut müsse dafür zunächst ein Missverständnis aus dem Weg geräumt werden: Das Problem ist nicht Plastik an sich, sondern dass wir Materialien und Produkte nur einmalig nutzen. Christian Schiller verdeutlichte das anhand von Wirkungsmechanismen von Regulierungen im Bereich des Plastikrecyclings: Erst, wenn herkömmlich produziertes Plastik durch negative Anreize teurer wird als recyceltes Plastik, kann es einen echten Marktwandel hin zum Einsatz von Recycling-Plastik geben.
Die Politik hinkt der Gesellschaft hinterher
Für die praktische Umsetzung von Urban Mining braucht es also klarere und vor allem stringentere Gesetzesrahmen als bisher. In dieser Forderung waren sich Axel Darut und Christian Schiller einig. Dabei liegt Nachhaltigkeit in der Gesellschaft schon längst im Trend – die Politik müsse diesen Trend nur aufgreifen, erklärte Darut.
Dass dies bereits geschieht, hatte Emmanuel Cohet, Vertreter der Französischen Botschaft, in seinem Eröffnungsimpuls erklärt. Zahlreiche Gesetzesinitiativen und politische Entwicklungen im Bereich Urban Mining in Deutschland und Frankreich bewiesen, dass Urban Mining als Teil der Kreislaufwirtschaft in Forschung, Gesellschaft, Wirtschaft und in der Politik angekommen ist. Arbeiten die verschiedenen Akteure in einem ständigen Dialog eng zusammen, so der Eindruck dieser Veranstaltung, kann sich eine enorme Wirkkraft hin zu einem nachhaltigen Leben durch Produktionskreisläufe entfalten.
Der länder- und themenübergreifende Austausch zu Urban Mining hat gezeigt, dass die Herausforderungen der Akteure auf nationaler Ebene sich ebenso ähneln wie ihre Ziele: Klimaschutz durch nachhaltigen Konsum und technologische Innovation.
Weiterführende Informationen
Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ist auf dem YouTube Kanal der Französischen Botschaft zu finden.
Übrigens…, Andrea Gassmann, welche Rolle spielen Verbraucher:innen im Rohstofflager Stadt?
HORIZONTE nachgefragt! mit Christian Schiller zum Thema Plastik-Recycling