HORIZONTE nachgefragt! mit Christoph Schmidt
Sorgt die Wasserstoffwirtschaft für mehr globale Gerechtigkeit?
Unser Experte Christoph Schmidt teilt, was er darunter versteht und gibt Handlungsempfehlungen.
In den Jahrzehnten vor der Corona-Pandemie war der Menschheit ein großer Schritt aus massenhafter materieller Not gelungen. Nach wie vor erleiden zwar viel zu viele Menschen weltweit bittere Not und Hunger, vor allem im globalen Süden. Doch in den vergangenen zweihundert Jahren waren noch nie so wenige Menschen bitterarm wie am Ende des vergangenen Jahrzehnts, sowohl relativ als Anteil an der stark gewachsenen Weltbevölkerung als auch in absoluten Zahlen. Der Schlüssel zu dieser Erfolgsgeschichte lag insbesondere in technischem Fortschritt und in steigender weltweiter Arbeitsteilung. Denn wirtschaftlicher Austausch ist typischerweise kein Nullsummenspiel, sondern dient letztlich auf Basis seiner Freiwilligkeit dem Vorteil aller Beteiligten.
Allerdings war das Prosperitätswachstum der Weltgemeinschaft bislang nicht nur sehr ungleich verteilt, es beruhte auch vor allem auf fossiler Energie und führte so die Ökosysteme des Planeten an ihre Tragfähigkeitsgrenzen — zum Teil bereits darüber hinaus. Nun bietet die notwendige Transformation zur globalen Klimaneutralität, die auf regenerativen Energiequellen beruhen muss, vielen Volkswirtschaften des globalen Südens die Chance, ihre natürlichen Stärken — Sonne, Wind und Raum — in die Produktion von grünem Wasserstoff umzusetzen und durch dessen Angebot auf dem Weltmarkt für grünen Wasserstoff ihrer eigenen wirtschaftlichen Entwicklung erheblichen Rückenwind zu verschaffen. Wenn die Gemeinschaft der Industrieländer, die diese Energie dringend benötigt, es schafft, rasch einen solchen globalen Markt in Gang zu setzen, und bereit ist, als Gegenleistung für die Abkehr des globalen Südens von der Förderung und Nutzung fossiler Ressourcen umfangreiche Transfers von Finanzmitteln und Technologie-Knowhow zu leisten, kann der Wohlstand überall in der Welt steigen — im globalen Süden wie auch weiterhin bei uns.
Christoph Schmidt – Präsident Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung