Demokratie und Technik – ein spannungsreiches Verhältnis
München, 29. Januar 2021
Digitale Kommunikationstechnologien beeinflussen die Meinungsbildungsprozesse in einer Demokratie. Gleichzeitig entscheiden Akteure aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft in einer Demokratie gemeinsam über die Entwicklung und den Einsatz neuer Technologien. In der Veranstaltungsreihe „acatech am Dienstag“ am 26. Januar diskutierten die Teilnehmenden dieses spannungsreiche Verhältnis zwischen Demokratie und Technik.
„Man muss immer zwischen Chancen und Risiken, Nutzen und Missbrauch abwägen“, begrüßte acatech Präsident Dieter Spath das Publikum. Gerade digitale Technologien könnten einen großen Einfluss auf die Meinungsbildung in Demokratien haben. Dabei stellen sich juristische Fragen, zum Beispiel mit Blick auf Transparenz, Offenheit und Schutz der Privatsphäre – besonders, wenn sich Rechtsräume verschiedener Staaten oder Staatenverbünde überlappen. Das acatech Projekt zur „European Public Sphere“ widme sich genau dieser Problemstellung.
Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, fokussierte in ihrem Impuls vor allem auf die Auswirkung digitaler Kommunikationstechnologien auf die Demokratie. Damit die Demokratie leisten könne, was sie auszeichne, brauche es einen freiheitlichen, öffentlichen Diskurs. Digitale Kommunikationsformate hätten auf die Meinungs- und Willensbildung weitreichende Auswirkungen, sowohl positive als auch negative.
Einerseits sei Technik laut Ursula Münch in der Lage politische Partizipation zu fördern, zum Beispiel indem „Open Government“ die Transparenz von Regierungshandeln erhöhe oder durch „Civic Tech“ kommunale Dienste zugänglicher würden. Zudem verbreitere sich das Meinungsspektrum in öffentlichen Debatten. Demokratiebewegungen wie zum Beispiel in Hongkong könnten sich einfacher organisieren. Andererseits beobachte man auch negative Folgen. Ohne die „Gatekeeper“-Funktion der etablierten Medien, würden Bürgerinnen und Bürger mit Informationen überfrachtet. Außerdem könnten durch die Algorithmen gesellschaftliche Mehrheiten unter Umständen problematisch verzerrt dargestellt werden. Insgesamt ergebe sich damit ein ambivalentes Bild von digitalen Kommunikationstechnologien. Während sie auf der einen Seite Demokratie durch neue Teilhabeprozesse stärken können, hätten sie gleichzeitig das Potential, die Vertrauens- und Autoritätskrise politischer Institutionen voranzutreiben. Deswegen sei es wichtig, Kommunikationsplattformen politisch zu regulieren und sie damit demokratisch zu kontrollieren.
Armin Grunwald, Präsidiumsmitglied bei acatech und Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag, warnte davor, die Entscheidungen zu technikbezogenen Fragen den Experten zu überlassen. Da politische Entscheidungen immer komplexer würden, sei es zwar oft nötig, Expertinnen und Experten hinzuzuziehen. Gleichzeitig fehle vielen Politikerinnen und Politikern die Kompetenz, deren Expertisen kritisch einzuordnen. Dadurch bestehe die Gefahr, dass die Politik die Entscheidungen letztlich an die Experten delegiere. In diesem technokratischen Modell werde Demokratie zu einer leeren Hülle.
Da es unmöglich ist, Daten aus der Zukunft zu erheben, sind auch datenbasierte Modelle grundsätzlich rückwärtsgewandt – sie übertragen Muster aus der Vergangenheit in die Zukunft. Menschen hingegen könnten „gegen Daten denken“. In einer Demokratie entschieden Menschen, welche Zukünfte wünschenswert sind – auf der Basis bisheriger Erfahrungen, aber nicht als deren Fortschreibung. Im Kontext der Energiewende stelle sich beispielsweise die Frage, ob das Energiesystem in der Zukunft zentral oder dezentral gestaltet sein solle. Solche Fragen müssten demokratisch ausgehandelt werden.
In der anschließenden Diskussion wurde bemerkt, dass eine Technokratie schon daran scheitern müsse, dass die Experten als solche keine Wertentscheidungen treffen könnten. Ein datenbasiertes Optimierungsmodell für politische Entscheidungen könne demokratische Aushandlungsprozesse nie ersetzen. Schließlich wurde daran erinnert, dass wissenschaftliche Modelle selbst nie objektiv sein könnten. Die Aufgabe von Experten in einer Demokratie sei es, verschiedene Handlungsoptionen mit ihren möglichen Konsequenzen aufzuzeigen.
Weiterführende Informationen
Technik und Gesellschaft – Wie lässt sich Zukunft gemeinsam gestalten?
Die Pandemie verändert unseren Umgang mit Technik
Implikationen der Digitalisierung für die Qualität der Wissenschaftskommunikation
Zeitschrift für Technikfolgenabschätzung in Theorie und Praxis (TATuP)