acatech am Dienstag: Wie gestalten wir lebenswerte Städte von morgen?
München, 4. März 2024
Damit die „lebenswerte Stadt“ Realität wird, braucht es ein anderes Mobilitätsverhalten, technologische Innovationen – und eine integrierte Stadtentwicklung. Denn urbane Flächen haben nicht nur einen Einfluss auf Klima und Nachhaltigkeit, sondern auch auf die soziale Gerechtigkeit. Wie Stadträume hin zu vielfältig nutzbaren Lebensräumen entwickelt werden können, erklärte acatech Mitglied und Mobilitätsforscher Klaus J. Beckmann am 27. Februar bei acatech am Dienstag, das zusammen mit vhs.wissen live in Ottobrunn stattfand.
Mobilität und Stadtentwicklung
Die Zukunft des Menschen liegt in der Stadt: im Jahr 2023 lebte bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten; in Deutschland sind mehr als 50 Millionen Menschen in Groß- und Mittelstädten zuhause. Tendenz steigend. acatech Mitglied Klaus J. Beckmann nannte bei seinem Vortrag bei acatech am Dienstag am 27. Februar noch weitere beeindruckende Zahlen: In Städten werden 80 Prozent des globalen Sozialproduktes produziert, sie sind aber auch für 70 Prozent des Energieverbrauchs, 75 Prozent der CO2-Emissionen und 75 Prozent des Abfalls verantwortlich.
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sei es nötig, so Klaus J. Beckmann, über neue Wohnformen und eine Neugestaltung sowohl der Bebauung als auch von Wasser- und Grünflächen nachzudenken. Der Umgang mit Flächen habe schließlich eine direkte Auswirkung auf Klima und Nachhaltigkeit und sei damit ein Aspekt der sozialen Gerechtigkeit, so der Mobilitätsforscher. Als Leiter des acatech Projekts „Integrierte Stadtentwicklung und Mobilitätsplanung“, dessen Ergebnisse im Februar vorgelegt wurden, sprach sich Klaus J. Beckmann für eine neue Mobilitätskultur aus: Mobilität sei nicht allein Mittel zum Zweck der Raumüberwindung, sondern die Möglichkeit zu gesellschaftlicher Teilhabe und Teilnahme. Entsprechend müsse man räumliche und verkehrliche Entwicklung integriert denken.
Deutsche Städte leiden vermehrt an Dichtestress und den Folgen der Klimaerwärmung. Nur durch eine enge Zusammenarbeit über alle föderalen Ebenen hinweg und zwischen verschiedenen Planungsstellen, so Klaus J. Beckmann, sei es möglich, diese Probleme zu lösen. Wie sich dieses Zusammenwirken organisieren lasse, dafür lohne sich ein Blick ins Ausland: Städte wie Paris oder Wien machten vor, wie Prozesse koordiniert werden müssen und man sich dem Zielbild der „lebenswerten Stadt“ annähern könne.
Blick ins Ausland: Was machen die europäischen Nachbarländer?
Wien
Die Seestadt Aspern, ein Stadtteil der österreichischen Hauptstadt Wien, ist ein innovatives Stadtentwicklungsprojekt, das seit 2014 Wohnraum für mehr als 25.000 Menschen bietet und über 20.000 Arbeits- und Ausbildungsplätze verfügt. Diese Stadt verbindet dabei hohe Lebensqualität mit Umweltbewusstsein und Wirtschaftskraft.
Kopenhagen
Die Stadt fördert seit Jahrzehnten den Fahrradverkehr und gilt in der Fachöffentlichkeit als weltbeste Fahrradstadt. Sie bietet zahlreiche Voraussetzungen für angenehmes Radfahren: stark verdichtete städtische Besiedlung mit zahlreichen Zielen in kurzer Entfernung, flaches Gelände, ein weit ausgedehntes Netz gut ausgebauter Infrastruktur besonders für den fließenden Radverkehr, bestehend aus meist von der Fahrbahn abgetrennten Radwegen entlang von Straßen, aber auch durch Grünanlagen.
Barcelona
Im Stadtteil L’Eixample wurden die Straßen breit und die Kreuzungen großzügig ausgebaut. Zur besseren Übersichtlichkeit der Kreuzungen wurden die Blocks an den Ecken abgeschrägt. Stadtplanerisch liegt ein Vernetzungskonzept zu Grunde, das die wichtigsten Merkmale einer modernen Stadt vereint: Mobilität und Kommunikation.
Paris
Zu Stoßzeiten erstickt die Stadt im Verkehr, Staus sind der Normalzustand, die öffentlichen Verkehrsmittel sind überfüllt. Circa vier Millionen Menschen pendeln täglich aus den Vororten nach Paris oder müssen Paris durchqueren, um zur Arbeit zu gelangen. Knapp 60 Prozent von ihnen nutzen das Auto. Um dessen übermäßiger Nutzung den Kampf anzusagen, gibt es Pläne für die Umwandlung der Hauptstadt in eine Stadt, in der alle wichtigen Ziele in 15 Minuten erreichbar sein sollen.
Das acatech Forschungsprojekt „Integrierte Stadtentwicklung und Mobilitätsplanung“
Das acatech Projekt Integrierte Stadtentwicklung und Mobilitätsplanung zeigt, dass eine integrierte Planung räumlicher Strukturen und Mobilität eine ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Gestaltung unserer Alltagsmobilität begünstigen kann. Zentrales Ziel ist dabei die Schaffung vielfältiger und klimaresilienter Städte mit kurzen Wegen und guter öffentlicher Anbindung. Ein integrierter Ansatz berücksichtigt die Wechselwirkungen zwischen räumlichen Strukturen und Mobilität, setzt auf Kooperation und fachliche Synergien von Politik, Verwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.
Die Ergebnisse des acatech Forschungsprojekts sind in einer Studie unter dem Titel „Ankommen statt unterwegs sein“ erschienen. Darin werden Straßen als Lebensräume verstanden, Paris als Vorbild genannt – weil die französische Hauptstadt den Autoverkehr deutlich reduziert hat. Zukunftsfähig würden Städte, die ihren Verkehr nicht nur verbessern (etwa mit Elektroantrieben) und verlagern (vom Auto auf alternative Verkehrsmittel), sondern auch verringern. Weniger Verkehr, aber mehr Mobilität heißt das Ziel: Bürgerinnen und Bürger sollen ihre Ziele mit kürzeren Wegen erreichen können, zunehmend aktiv zu Fuß oder per Rad – etwa nach dem Konzept der 15-Minuten-Stadt.