Integrierte Stadtentwicklung und Mobilitätsplanung
Lebenswerte Städte und Stadtregionen gestalten
Kommunen und Regionen in Deutschland stehen heute gewaltigen Herausforderungen gegenüber. Dazu zählen die wachsende Bevölkerungsdichte in Ballungsräumen und als deren Folge der größere Verkehrsdruck. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an den Klima- und Umweltschutz sowie an die Qualität öffentlicher Räume. Um hierfür geeignete und gesellschaftlich mehrheitsfähige Antworten zu finden, braucht es integrierte Lösungsansätze.
Gerade im Bereich der Stadt- und Regionalentwicklung sowie bei der Mobilitätsplanung zeigt sich die Komplexität, der sich öffentliche Verwaltung und Politik heutzutage stellen müssen; denn räumliche Strukturen – also Anordnung, Lage und Gestaltung von Bebauung, Freiraum und Infrastruktur – stehen in enger Wechselwirkung mit Mobilität und Verkehr. Zahlreiche Akteure sind von den Entwicklungen betroffen und müssen daher in die Planung und Umsetzung von Steuerungsmaßnahmen eingebunden werden. Herausforderungen und Lösungen lassen sich zudem häufig räumlich nicht klar eingrenzen und sollten daher aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden.
Das acatech Projekt Integrierte Stadtentwicklung und Mobilitätsplanung zeigt, dass eine integrierte Planung räumlicher Strukturen und Mobilität eine ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Gestaltung unserer Alltagsmobilität begünstigen kann. Zentrales Ziel ist dabei die Schaffung vielfältiger und klimaresilienter Städte mit kurzen Wegen und guter öffentlicher Anbindung. Ein integrierter Ansatz berücksichtigt die Wechselwirkungen zwischen räumlichen Strukturen und Mobilität, setzt auf Kooperation und fachliche Synergien von Politik, Verwaltung, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.
Raum und Mobilität gemeinsam denken
Um Städte und Stadtregionen lebenswert zu gestalten, sind Wechselwirkungen von räumlichen Strukturen und Mobilität zu berücksichtigen. Die acatech STUDIE zeigt diese Wirkungszusammenhänge auf unterschiedlichen Betrachtungsebenen, vom Straßenraum über das Quartier und die Gesamtstadt bis zur Stadtregion. Um eine hohe Aufenthaltsqualität und Alltagstauglichkeit zu erreichen, gilt es, die Siedlungs- und Infrastrukturentwicklung auf eine qualitätsvolle Gestaltung, Naherreichbarkeit und Vielfalt auszurichten.
Governance integriert gestalten
Der integrierte Ansatz dient der Umsetzung dieser Ziele, indem verschiedene Dimensionen der Planung integriert betrachtet werden. Dies umfasst
- die räumliche Integration zusammenhängender Räume, auch über Zuständigkeitsgrenzen hinweg,
- die thematische/sektorale Integration unterschiedlicher Fachdisziplinen,
- sowie die Integration aller für den Prozess notwendigen Akteure.
Integrierte Planung ist für Kommunen eine Chance, die zukunftsfähige Gestaltung vor Ort eigeninitiativ anzugehen und strategisch zu steuern. Diesen Vorteilen steht gegenüber, dass die Umsetzung eines integrierten Ansatzes Aufwand, Geduld und Zeit erfordert, um etablierte Praktiken zu überwinden. So müssen Organisationsstrukturen, Prozesse und Entscheidungswege analysiert und gegebenenfalls modifiziert, Instrumente und Formen der Kooperation und Koproduktion weiterentwickelt werden.
Der gemeinschaftlich von acatech und dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) entwickelte kommunale Leitfaden zeigt 16 Handlungsbausteine, die als Anknüpfungspunkt, Orientierungs- und Argumentationshilfe dienen, um Planungspraktiken vor Ort zu prüfen und weiterzuentwickeln.
Um Kommunen und Regionen dabei zu unterstützen, müssen Bund und Länder einen Handlungsrahmen anbieten, der diesen ausreichend Freiräume zur individuellen Gestaltung lässt und gleichzeitig Orientierung, Unterstützung und Rechtsicherheit bietet. Handlungsempfehlungen, wie dies erreicht werden kann, gibt die acatech POSITION „Raum und Mobilität gemeinsam denken“.
Handlungsempfehlungen
1. Räumliche Strukturen und Mobilität auf allen Ebenen zusammen denken
Kommunen und Regionen sollten bei der Stadtentwicklungs- und Mobilitätsplanung stärker zusammenarbeiten und die Wechselwirkungen von räumlichen Strukturen und Mobilität berücksichtigen. Dafür sollte die Zusammenarbeit der beiden Fachdisziplinen Stadtentwicklungs- und Mobilitätsplanung ausgebaut werden. Es gilt, Planungsprozesse zu harmonisieren und auf allen Planungsebenen einen engen und gut organisierten Austausch zwischen Verwaltung und Politik, öffentlichen und privaten Verkehrsanbietern zu pflegen. Dies setzt bei den beteiligten Akteuren die Bereitschaft und das Wissen über grundlegende Wirkungszusammenhänge, aber auch über geeignete Formate und Organisationsformen regionaler Kooperationen voraus.
2. Für eine nachhaltige Zukunft aufstellen
Wissenschaft und Praxis sollten die Grundlagen dafür schaffen, dass zukünftige Expertinnen und Experten über das Wissen und die Kompetenzen für eine integrierte Herangehensweise verfügen und Entscheidungen evidenzbasiert treffen können. Wechselwirkungen und Zusammenhänge im gesamten Themenkomplex sowie Prozesswissen müssen vermittelt und in Curricula für Hochschulen und Verwaltungsausbildungsstätten integriert werden. Bestehende Datenerhebungen sollten fortgeführt, aber auch ausgebaut und konzeptionell erweitert werden. Auch der Zugang zu Daten sowie deren Verknüpfung und Bearbeitung müssen verbessert werden, damit digitale Tools im Sinne einer evidenzbasierten Entwicklung und Umsetzung von Maßnahmen eingesetzt werden können. Um eine Experimentier- und Evaluationskultur zu etablieren, sollten rechtliche Rahmenbedingungen und Förderrichtlinien von Bund und Ländern entsprechend gestaltet werden.
3. Handlungsspielräume erweitern
Bund und Länder sollten durch Anpassung des rechtlichen Rahmens und Überarbeitung der Förderprogramme Kommunen und Regionen Handlungsspielräume und Anreize für integrierte Ansätze bieten, damit sie die für ihre Situation vor Ort geeigneten Maßnahmen identifizieren und festlegen können. Der rechtliche Rahmen ist so anzupassen, dass er die Wechselwirkungen von räumlichen Strukturen und Mobilität künftig berücksichtigt. Experimentierklauseln sollten ausgeweitet werden und ihre Anwendung vereinfacht werden. Kommunen brauchen ausreichend Handlungsspielraum bei gleichzeitiger Rechtssicherheit. Förderprogramme sollten nach dem Vorbild des erfolgreichen Schweizer Programms Agglomerationsverkehr aufgesetzt werden. Diese machen regionale Zusammenarbeit zur Fördervoraussetzung, unterstützen den Aufbau regionaler Kapazitäten und begünstigen die Einrichtung regionaler Kooperationsformate. Das schafft Anreize für integriertes Arbeiten in der Region. Bestehende Planwerke wie INSEK, SUMPs oder VEP sollten in solche Förderkonzepte eingebunden werden.
4. Handlungsfähigkeit sicherstellen
Kommunen und Regionen sollten verantwortungsbewusst mit Unsicherheiten und Risiken umgehen. Ein solches Vorgehen sollte, unterstützt durch klare Argumentationslinien, proaktiv angegangen werden, weil die größten Risiken in einem grundsätzlichen Verzicht auf Problemlösungsversuche und entsprechende Handlungsansätze liegen. Bund und Länder sollten den Aufbau von Fach- und Prozessexpertise in Kommunen und Regionen langfristig unterstützen und fördern. Bei der Ausgestaltung von Förderinstrumenten sollten daher auch langfristig entstehende Kosten und Entwicklungsperspektiven für Mitarbeitende ausreichend berücksichtigt werden. Die Teilnahme und der Austausch in kommunalen Netzwerken sollte gefördert werden, um Wissens- und Erfahrungsaustausch zu generieren. Darüber hinaus können Bund und Länder unterstützen, indem sie Orientierungshilfen wie Vorlagen und Leitfäden sowie professionelle Prozessbegleitung, beispielsweise durch Anlaufstellen in den jeweiligen Landesbehörden, anbieten.
5. Aktive (Mit-)Gestaltung ermöglichen
Gesellschaft und Wirtschaft sollten Möglichkeiten zur aktiven (Mit-)Gestaltung eröffnet werden. Dafür ist es notwendig, die bestehenden Prozesse und Instrumente stärker für eine Beteiligung zu öffnen, neue Austauschformate zu entwickeln und die direkt Betroffenen zur aktiven Gestaltung zu befähigen. Die dafür notwendigen Ressourcen und finanziellen Mittel sind einzuplanen und sollten etwa im Rahmen von Förderprogrammen zur Verfügung gestellt werden. Politik und Verwaltung sind dazu angehalten, ihre langfristigen strategischen Ziele transparent zu kommunizieren und einen Grundkonsens über einen planerischen Zielkorridor zu etablieren, der ebenfalls langfristig, also auch über Legislaturperioden hinweg verfolgt wird. Das Engagement von zivilgesellschaftlichen Gruppen, Vereinen und Verbänden, wirtschaftlichen Akteuren sowie Medien kann dazu beitragen, eine nachhaltige Mobilitätskultur gesellschaftlich zu verankern und zu zukunftsorientiertem Denken und Handeln befähigen.
Veröffentlichungen aus dem Projekt
Unsere Projektleitungen im Interview
Mitglieder der Projektgruppe
- Wolfgang Aichinger
Projektleiter Städtische Mobilität, Agora Verkehrswende - Klaus J. Beckmann
KJB.Kom Prof. Dr. Klaus J. Beckmann – Kommunalforschung, Beratung, Moderation und Kommunikation, Berlin - Helmut Holzapfel
Zentrum für Mobilitätskultur, Kassel - Felix Huber
Professor für Stadt-, Umwelt- und Infrastrukturplanung
Bergischen Universität Wuppertal
Wissenschaftlicher Beirat des VDV, FGSV - Caroline Koszowski
Wissenschaftliche Mitarbeiterin Professur für integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik Technische Universität Dresden - Barbara Lenz
Humboldt-Universität zu Berlin - Jens Libbe
Bereichsleiter Forschungsbereich Infrastruktur, Wirtschaft und Finanzen
Deutsches Institut für Urbanistik, Berlin - Martina Löw
Professorin für Planungs- und Architektursoziologie
Technische Universität Berlin - Stephan Reiß-Schmidt
Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL)
Stadtdirektor a.D.
Ehemaliger Leiter der Hauptabteilung Stadtentwicklungsplanung bei der Landeshauptstadt München - Roland Stimpel
Vorstand FUSS e.V.
Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL)
Ehemaliger Chefredakteur des Deutschen Architektenblatts - Gebhard Wulfhorst
Professor für Siedlungsstruktur und Verkehrsplanung, TU München
Partnerinnen und Partner
- Dr. Elke Bojarra-Becker
Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) - Dr. phil. Jürgen Gies
Deutsches Institut für Urbanistik (Difu) - Burkhard Horn
freiberuflicher Berater, Mobilität & Verkehr – Strategie & Planung - Dr. Charlotte Halpern
Sciences Po, Paris - Alvaro Artigas, PhD
Sciences Po, Paris - Elias Pajares
Plan4Better, München