„Bayern denkt Zukunft“ zeigt Stadt und Land als starke Innovationsgemeinschaft

München, 21. März 2022
Stadt und Land nicht als Gegensatz, sondern als Symbiose begreifen, die ganz neue Lösungen für drängende Herausforderungen findet: Mehr als 80 Teilnehmende aus Stadt und Land haben beim virtuellen Stadt-Land-Barcamp am 17. März gezeigt, wie Innovation in einer regionalen Stadt-Land-Gemeinschaft entstehen und Transformation vorangetrieben werden kann.
Wie und wo entsteht Innovation und Transformation? Das virtuelle Stadt-Land-Barcamp, das acatech im Rahmen des Dialogprojekts „Bayern denkt Zukunft“ veranstaltet hat, gibt eine eindrucksvolle Antwort: in einer Gemeinschaft, die losgelöst von räumlichen Konzepten viele Perspektiven, Wissen und Erfahrungen zusammenbringt. Die 13 Sessions, die von Wissenschaftsorganisationen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, privaten Initiativen, Institutionen der öffentlichen Hand und Privatpersonen vorgeschlagen und im offenen Barcamp-Format selbstständig umgesetzt wurden, adressierten verschiedene Herausforderungen, die die Studie Bayern denkt Zukunft: Stadt.Land.Chancen – Ergebnisse für Bayern zuvor identifiziert hatte.
Regionen als Impulsgeber für Transformation
Initiatorinnen von Praxis- aber auch Forschungsprojekten zu Themen wie Ernährung der Zukunft, Mobilität oder innovative Wohnformen für Alt und Jung trafen auf gleichgesinnte Praktikerinnen und Praktiker, Expertinnen und Experten sowie Neugierige, um Wissen, Erfahrungen und Meinungen auszutauschen. Die Allgäu GmbH berichtete beispielsweise von ihren gemischten Erfahrungen, dem Leerstand von Althöfen im Allgäu entgegenzuwirken und traf auf neugierige Zuhörer aus anderen Regionen Bayerns, in denen es keine ähnlichen Initiativen gibt. Neben gesetzlichen Regelungen, die Eigentümerinnen und Eigentümer beeinflussen, waren auch Vorurteile ein Thema, die sich nur durch den Austausch zwischen Stadt- und Landbevölkerung ausräumen lassen. Versteht man die Motivation des jeweilig anderen, können sich überraschende Lösungen zum Vorteil aller entwickeln.
In der Session wurde zudem schnell klar, dass sich neue Ideen nicht ohne weiteres von einer Region auf eine andere übertragen lassen. Gerade das Thema Wohnen und Bauen wird von lokalen Traditionen bestimmt. Herausforderungen wie die Steuergesetzgebung sind gleich, aber für die grundsätzlich eher kleinen Althöfe im Allgäu braucht es beispielsweise andere Nutzungsideen wie für die großen Höfe in Niederbayern.
Eine Idee für große Höfe, die mehrere wirtschaftliche und soziale Herausforderungen gleichzeitig kreativ adressieren kann, ist die eines Pflegehofs – einem weiteren Projekt, das im Rahmen des Barcamps den Austausch mit Interessierten gesucht und gefunden hat. Mit diesem Konzept entsteht Leerstand erst gar nicht. Landwirtschaftliche Betriebe können stattdessen ihr Überleben mit einem zweiten Standbein sichern und gleichzeitig kleineren Gemeinden helfen, Wohn- und Pflegemöglichkeiten für Seniorinnen und Senioren zu schaffen.
Perspektivenvielfalt als Basis erfolgreicher Veränderung
Mehr Einsichten in die unterschiedlichen Mobilitätsanforderungen in der Metropolregion München war die Triebfeder zur Barcamp-Beteiligung des acatech Projekts Integrierte Stadtentwicklung und Mobilitätsplanung. Mobilität in der Stadt kann nur im Zusammenhang mit den ländlichen Regionen neu gedacht werden. Nicht nur die Berufspendlerströme bewegen sich in beide Richtungen. Wenig überraschend war daher der Wunsch der Session-Teilnehmenden aus Stadt und Land nach mehr Verbindungen wie zum Beispiel Fahrradwegen. In verschiedenen Live-Befragungsrunden wurde klar, dass sich die Barcamp-Teilnehmenden zwar ein nachhaltiges Mobilitätsverhalten wünschen, es aber nicht immer realisieren können. Wie lassen sich etwa Supermarkteinkäufe ohne Auto transportieren? Neue Mobilitätskonzepte in der Region müssen deshalb viele Dimensionen wie beispielsweise Raum oder Verfügbarkeit von passenden Mobilitätsoptionen aus den unterschiedlichsten Perspektiven berücksichtigen.
Perspektivenvielfalt beherrscht auch das Thema Ernährung und ist Fluch und Segen zugleich. Das Barcamp zeigte, dass man die Zukunft der Ernährung von vielen Seiten aus gestalten kann. Die Diversifizierung landwirtschaftlicher Betriebe war Anlass für das Kompetenzzentrum Ernährung des Bayerischen Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in einer Diskussionsrunde darüber nachzudenken, woher die Lebensmittel in Zukunft kommen sollen – mit unklarem Ergebnis. Die unterschiedlichen Meinungen zum Einsatz von Biotechnologie, die die Menschen eigentlich schon seit tausenden von Jahren begleitet, oder auch die verschiedenen Einschätzungen, ob sich die Ernährung wieder vielfältiger oder doch eher monotoner gestalten wird, zeigten den großen Gesprächsbedarf bei diesem wichtigen Zukunftsthema.
Weitgehend Einigkeit herrschte dagegen beim Trend der regionalen Ernährung, dem sich auch zwei weitere Sessions widmeten: Die Teilnehmenden diskutierten neben den praktischen Aspekten des Direktvertriebs landwirtschaftlicher Produkte über gemeinschaftliche Projekte wie Hof- oder Dorfläden und der Stadt als Nahrungsmittellieferant auch den gemeinschaftsbildenden Charakter. Den Beitrag städtischer Grünflächen zum sozialen Zusammenhalt schätzten die Diskutierenden dann auch deutlich höher ein, als den zur Sicherung der künftigen Lebensmittelversorgung.
Transformation braucht Vernetzung und Wissensaustausch
Das Stadt-Land-Barcamp hatte sich das Ziel gesetzt, Menschen und damit Wissen in Stadt und Land zu vernetzen und dadurch Innovation und Transformation in Bayern zu unterstützen. Denn oft braucht es nur einen entscheidenden Impuls von außen, um Neues entstehen zu lassen. Das Ergebnis eines Forschungsvorhabens des Steinbeis-Transferzentrum Innovation and Sustainable Leadership bezieht sich zwar auf die Frage, wie Neues aufs Land kommt. Der intensive Austausch zwischen den Barcamp-Teilnehmenden nicht nur in dieser Session lassen durchaus auf eine Allgemeingültigkeit schließen. Der gleichen Frage widmete sich auch eine Session der Universität Heidelberg aus der Wissenschaftsperspektive. Praktikerinnen und Praktiker aus Stadt und Land diskutierten, wie Wissenschaftskommunikation jenseits der etablierten, urbanen Hochschulstandorte funktionieren und die wahrgenommenen Barrieren einreißen kann. Die Diskussion identifizierte etliche wichtige Handlungsfelder: regionalisierte Hochschulen als Orte der Wissenschaft außerhalb von Großstädten im Bewusstsein der Menschen verankern; auch abstrakte Forschungsthemen in Bezug zur Lebensrealität von Bürgerinnen und Bürgern setzen und damit zugänglicher machen; eine Begegnung von Praxis und Wissenschaft auf Augenhöhe fördern und nicht zuletzt eine gemeinsame Sprache finden.
Der Wunsch der Teilnehmenden nach Vernetzung nicht nur mit den Session-Gebenden, sondern auch untereinander und mit den organisierenden Institutionen stand am Ende jeder Session, verbunden mit der Hoffnung, vom Wissen und den Erfahrungen profitieren und sie auf die eigene Idee anwenden zu können. Neben Angeboten wie einer Vernetzungsplattform, die bereits während der Projektlaufzeit umgesetzt werden, wird der Projektbericht von „Bayern denkt Zukunft“ Empfehlungen enthalten, wie das Bayerische Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als Projektförderer Vernetzung und Wissensaustausch zu zentralen Zukunftsthemen unterstützen kann.
Weiterführende Informationen
Projektseite Bayern denkt Zukunft
Projektseite Stadt-Land-Barcamp
Überblick über alle Barcamp-Sessions und die jeweiligen Verantwortlichen