„Es geht um die Demokratie.“
Ist die Einengung der Forschung denn mit der Verbreitung der Social Media und mit der zunehmenden Bedeutung der Drittmittel stärker geworden?
Ja, da gibt es klare Zusammenhänge. Früher hat man bestimmte Argumente mal in der Zeitung gelesen, im Radio gehört oder im TV gesehen. Heute sind sie omnipräsent, zu jeder Zeit verfügbar, sie sind auf Facebook und Twitter und damit entsteht eine ganz andere Wahrnehmung. Die neuen sozialen Medien lassen viel schneller und ganz andere Mainstreamsituationen entstehen. Zugleich ist der ökonomische Druck bei den klassischen Medien wesentlich intensiver geworden. Auch Journalisten und Medien müssen verkaufen, es geht um Auflage und Quote. Eine weitere Zuspitzung sind die digitalen Echokammern. Man bekommt nur das geboten, was man auch hören will. Manchmal kann man sogar den Eindruck gewinnen, dass wir bei manchen Themen in einer einzigen riesigen Echokammer leben.
Je stärker bestimmte Probleme von den Medien aufgegriffen und längerfristig thematisiert werden, desto wahrscheinlicher ist es aber, dass auch die Wissenschaftspolitik darauf reagiert und zum Beispiel thematisch ausgerichtete Forschungsprogramme aufgelegt werden. Dies ist in vielen Fällen auch richtig. Gelegentlich explodiert die Forschung in solchen Bereichen aber beinahe. Jeder will dabei sein. Da schießt man manchmal auch übers Ziel hinaus.
Es wird deshalb immer wieder der Ruf laut, die ergebnisoffene Grundlagenforschung – sei sie nun Blue-Sky oder programmorientiert – nicht aus den Augen zu verlieren, um zu ermöglichen, dass auch völlig neue Themen erforscht werden. Nur so kann die Basis geschaffen werden, dass auch in Zukunft wirkliche Innovationen möglich sind.
Und weil sie eine einseitige Ausrichtung der Forschung als Folge dieses Mainstream-Denkens für gefährlich halten, setzen Sie auf den Journalismus, der den Finger auf die wunden Stellen legt?
Ja, da ist diese andere Seite, die es Gott sei Dank noch gibt, der Wissenschaftsjournalismus, der exzellent recherchiert, die Dinge kritisch einordnet, hinterfragt und nachhakt: Was wird uns erzählt und was ist die Faktenlage? Da sehe ich die zentrale Aufgabe des Wissenschaftsjournalismus, aber eigentlich des gesamten Journalismus. Der kritische Journalist muss immer wieder hinterfragen, was richtig oder falsch ist, ob wir uns einseitig ausrichten oder uns in einer ausgewogenen Debatte befinden. Wichtig ist dabei, dass auch bestehende Unsicherheiten deutlich dargelegt werden.
Nun ist es aber so, dass infolge der Konkurrenz durch die neuen Medien der konventionelle Wissenschaftsjournalismus stark reduziert wurde. Damit entfällt oft die Möglichkeit einer ausreichend tiefgreifenden Recherche. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Forscher und Forscherinnen und auch mehr Nachwuchs. Die Produktion wissenschaftlicher Erkenntnisse und Publikationen nimmt schon deshalb zu – und wird durch die Öffentlichkeitsarbeit der Forschungseinrichtungen nun auch vermehrt publik gemacht. Das alles ist wie ein Trichter, der oben immer breiter und unten immer enger wird. Oben wird mehr eingefüllt, während unten die Kapazität im Wissenschaftsjournalismus schrumpft.
Diese sich ständig verstärkende Diskrepanz bedeutet für die mediale Berichterstattung schließlich Qualitätsverlust und eine zu wenig kritische Einordnung von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Orientierungen. In den Medien wird häufig eher einseitig informiert. Je plakativer und katastrophaler bestimmte Probleme dargestellt werden, desto stärker werden sie aufgegriffen und veröffentlicht. Damit verliert jedoch die Wissenschaft, aber verlieren auch die Medien an Glaubwürdigkeit. Das ist das zentrale Problem: Die Glaubwürdigkeit geht verloren. Glaubwürdigkeit ist aber die Basis für Vertrauen und dann ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Willkür. Damit öffnet man auch Tür und Tor für irgendwelche Leute, die da sagen, das ist alles ganz anders. Diese Situation bereitet den Boden für Verschwörungstheorien und Fake News. Auch deshalb dürfen wir uns diese Qualitätsverluste nicht leisten.
Könnten Sie das an einem konkreten Beispiel erläutern?
Nehmen wir die Idee, CO2 aus Verbrennungsprozessen abzuscheiden und im Untergrund zu speichern, also Carbon Capture and Storage (CCS) in Deutschland zu betreiben. Zwar konnte gezeigt werden, dass CCS unter den richtigen Rahmenbedingungen gut funktioniert. Zunächst wurde die Technologie auch befürwortet. Doch dann hat sich in Deutschland die gesellschaftspolitische Einstellung in relativ kurzer Zeit um 180 Grad gedreht. Zurzeit gibt es bei uns kein Interesse mehr an dieser Technologie.
Nun behauptete eine reputierte Kollegin, CCS sei auch international tot. Dies ist eine falsche Behauptung. Weltweit gibt es dazu 17 zum Teil riesige Projekte, weitere sind in Planung. Auch in Deutschland wird diese Technologie weiter diskutiert, wenn es etwa darum geht, anderwärtig nicht vermeidbare CO2-Emissionen der Zement- oder Schwerindustrie aufzufangen. Oder um sogar negative CO2-Emissionen zu erreichen: Dabei geht es um das Abfangen und Speichern von CO2, das bei der Nutzung von Biomasse entsteht, die wiederum das CO2 mittels Photosynthese aus der Atmosphäre entnommen hat. Auch gibt es neue Belege, dass CO2 in bestimmten Gesteinsformationen, wie Basalt, wesentlich schneller ins Gestein eingebaut wird, als dies bekannt war. Zu behaupten, diese Technologie sei tot, in Deutschland und auch international, ist einfach nicht in Ordnung. Richtig ist, dass das konventionelle CCS-Verfahren im Zusammenhang mit „Clean Coal“, also um „Kohle sauber zu machen“, in Deutschland gesellschaftspolitisch zurzeit keine Zustimmung findet. Wenn aber in derartige Debatten bereits aus der Wissenschaft falsche Aussagen eingebracht werden, weil sie in ein Mainstream-Konzept passen, dann ist es nicht verwunderlich, dass die damit verbundenen Auseinandersetzungen einseitig verlaufen.
Vierter Teil – über Qualitätsstandards in der Wissenschaftskommunikation